Leere Mitte: Lilith. Probe 4. Stuttgart. (27.1.2005).

Heute früh ein fantastisch disponierter Nicholas Isherwood, der ergreifend das Ende deklamiert, das RHPP jetzt auch deklamieren l ä ß t. Momentlang ein Schauer auf der Probebühne. Überaus präsent auch Vincent Royers Bratsche; mit einem Mal wird es sanglich, fast konzertant-schön. Nur Laszlo Hudacek bleibt skeptisch an seinem Schlagzeug. Und als wir endlich zur ersten größeren Regiebesprechung kommen und ich die ganze Szene noch einmal erkläre, wird deutlich, weshalb: Es ist ihm unangenehm, einen Soldaten zu spielen, und zwar, ohne den Soldaten zu denunzieren. Er will, als eingefleischter Kriegsgegner, A b s t a n d dargestellt haben; seine Vorstellung von Bühnenwirklichkeit ist eine, in der sich der Darsteller tatsächlich und ungebrochen mit dem von ihm Dargestellten identifizieren kann. Daß “Kritik” gerade darin liegen kann (und, meine ich, muß), daß man genau das nicht tut, sondern die Distanz den Zuschauer/Zuhörer vornehmen läßt, ist ihm nicht unmittelbar eingängig. Aber wir diskutieren, und allmählich wird es auch klar. Dazu kommen Feinheiten: Er hat das im Libretto genannte Silberlaub für eine poetische Metapher gehalten und einfach nicht gewußt, daß es ein konkretes militärisches Rangabzeichen ist. Das also jetzt, da die musikalische Struktur sich allmählich hörbar macht, noch einmal erklärt. Auf Details eingegangen, fast eine kleine poetologische Regierede gehalten. Und mit einem Mal wird deutlich – Isherwood formuliert das dann auch -, welche Provokation und welche tragödische Zumutung in dieser kleinen Oper liegt. Zu erreichen ist bei höchster Aggressivität, der die Not der Eingeschlossenen entspricht, eine Trauer, die Raum für klangliche Schönheit läßt, für die Seele also.
Das alles in knapp zweieinhalb Stunden Probe, der ganze Anspruch des Stücks liegt jedem Akteur auf der Haut. “Die Leute werden erschrocken sein, sie werden abwehren vielleicht”, sagt Isherwood, “denn sie wollen davon nichts hören.” “Bist du Soldat gewesen?” hat mich Laszlo noch vormittags gefragt. “Nein”, hab ich geantwortet, “ich bin Kriegsdienstverweigerer.” Irritiert hat er mich angesehen. “Ich gestalte den Konflikt, daß ich nicht weiß, was ich tun werde und will, wenn mich eine Partei angreift, die für ihre Freiheit und die Freiheit ihrer Kultur kämpft, die ihr der Westen, zu dem ich gehöre, streitig macht. Egal, welche Partei recht hat, ich w ü r d e ja angegriffen. Wie verhalte ich mich dann? Wie verhältst d u dich? Was tun wir, wenn wir auch, schon unserer Kinder und im übrigen völlig anderer Kulturzusammenhänge wegen, keine Möglichkeit haben, für eine ‘richtige’ Seite zu kämpfen? Wer immer sich auf die Seite der Frauen stellt, die in der Oper in den terroristischen Widerstand getreten sind, würde ja von denen als Verräter an der eigenen Kultur betrachtet werden…”
Es komme auch nicht darauf an, formuliere ich, daß der Zuhörer die gesamten Zusammenhänge sofort begreife oder auch vom Text her verstehe; wichtig sei, daß er den Konflikt, der hier herrscht, als einen nahezu unlösbaren s p ü r e.

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