9.30 Uhr:
[Scelsi, Triphon]
Gestern nach 22 Uhr noch eine Freundin aus Frankfurtmain getroffen, die Frau eines ebenfalls Frankfurter Freundes, der aus der Neuen Musik kommt und mit dem es immer wieder vorsichtige Diskussionen über Gegenwarts-Ästhetik gibt, der zumal meine theoretischen Arbeiten offenbar sehr genau verfolgt. Sie ist Indienreisende, s e h r genau informiert, sehr detailsicher hoch gebildet; sie rief an, daß sie mit ihrer Tochter in Berlin sei, ob wir uns nicht auf einen Kaffee treffen wollten. Das war bereits mittags, ich hörte den T1-Anrufbeantworter aber erst nachmittags ab. Rief an, sagte ab, da ich an der Erzählung sitze und das nicht unterbrechen wolle. Dann war ich aber ja gegen 21.30 Uhr tatsächlich fertig, las noch einmal, der Text muß jetzt (ihn immer wiedermal durchsehend) ruhen. Deshalb rief ich C. dann an und fuhr noch mit dem Rad nach Mitte.
Was mich jetzt so bewegt, daß ich heute nacht überhaupt nicht schlafen konnte, bzw. immer wieder dachte, es sei bereits fünf oder sechs, und einen Kampf darum führte aufzustehen, aber liegenblieb und schließlich d o c h zum Wecker schaute, und da war er erst halb vier… so daß ich dann endlich einschlief und tatsächlich erst um neun wieder aufwachte – das war: Ihre Tochter ist ebenfalls ein Michling, wie K., und beinahe in den Alter, als ich sie erstmals traf. Und die körperliche, ja gestische Ähnlichkeit ist derart frappierend, daß ich sie immer nur (dezent, vorsichtig; gewiß) anstarrte. Es geht bis in Lippenbewegungen, bis in die Art, kleine Wendungen zu betonen. Imgrunde war ich gänzlich hilflos. Zeigte das nicht, selbstverständlich nicht, blieb verbindlich, charmant, aber suchte doch ständig etwas an ihr, das mich sicherte. Hatte den Eindruck, sie habe Bauch, was ich erlöst wahrnahm: etwas, das mir Distanz gibt und mich vor Frauen immer zurückscheuen läßt. Aber dann, als sie aufstand, war das ein Irrtum. Sie verreise, ihre Freundin saß mit dabei, und wenn sie zurück sei, brauche sie eine Unterkunft. Mutter und Freundin rieten zu d e m Freund, zu jenem, und ich biß mir auf die Lippen, ihr nicht anzubieten, bei m i r zu übernachten (ich kann ja von Wohnung zu Wohnung wechseln, es wäre also überhaupt kein Problem). Aber ich tat es nicht, fühlte mich etwas schofel deshalb und wußte und weiß zugleich, daß es restlos gefährlich wäre, eine solche auch nur räumliche Nähe selbst nur für ein paar Stunden herzustellen. (Abgesehen davon lebt sie sehr weit weg und ist frisch verheiratet; jeder Versuch einer Näherung wäre absurd, vom Altersunterschied ganz abgesehen, der mir bei ihr zum allerersten Mal hinderlich zu sein scheint; vielleicht, weil sie die Tochter von Freunden ist.) Doch dieses speziell indisch/europäische Amalgam wirkt auf mich ganz ungeheuer; hier tritt noch eine auch politische, auch Alltags-Gebildetheit hinzu und ein künstlerischer Beruf – was es bei K alles so ausgebildet, so fertig, nicht gab und wohl auch immer noch nicht gibt.
Wie verfallen man einem Bild sein kann. Gestern in der Analyse kam kurz meine Frage auf: Wie bildet sich solch ein persönlicher Archetypos?
Ich war verwirrt. Bin es immer noch etwas. Und melancholisch. Annika rief ich nachts nicht mehr an, weil ich den Eindruck hatte, das wäre Unrecht. Diese Dinge habe ich in mir selbst auszumachen, denn ich ströme es aus, wenn ich in einem solchen seelischen Raptus mit Frauen spreche. Sie spüren das, sie wittern das, und es hätte Annika ganz zu Recht verletzt. (Davon hier in den Tagebüchern Der Dschungel zu schreiben, ist ein andres: Das gebietet die poetologische Wahrhaftigkeit, mit der ich das „Projekt Privatheit“ verfolgen muß, wenn es denn nicht beliebig, ja strategisch werden soll. Wer von denen, die mit mir verbunden sind, das Tagebuch liest, läuft in ein Risiko. Und ich auch. Das ist so. Punkt.)
(Zum ersten Mal übrigens ein Bedauern in mir, daß die Analyse nun eine Woche lang ausfällt. Und auch heute ist nicht klar, ob nicht abgesagt wird. Eigentlich h a t der Analytiker abgesagt, aber da er nahbei praktiziert, besteht die Möglichkeit, daß sein anderer Termin nur kurz ist und der Mann dennoch kann. Ich habe ihm angeboten, mich einfach anzurufen, wenn es nun d o c h klappen sollte.)
Latte macchiato.
Tagesplanung.
9.30 Uhr:
DTs.
DIE DSCHUNGEL.
11 Uhr:
Analyse. (Eventuell).
Ansonsten: CLARA GROSZ (Jubelkind) wiederlesen, korrigieren.
12.30 Uhr:
EXPOSÉ für das Opernprojekt.
(RHPP hatte angerufen, daß es Interesse von der Oper Wuppertal gebe.)
16 Uhr:
Kinderzeit. Wohnungswechsel.
Nach 21 Uhr:
ARGO.
11..04 Uhr:
Nun also doch keine Analyse, es kam kein Anruf. Habe begonnen und bin noch dabei, die Weblog-Einträge in eine Textdatei hineinzukopieren, um einen ersten Entwurf des Dschungel-Buches herzustellen. Sehr mühsam, zumal dann plötzlich der twoday-Server down ist. Aber das Ganze bekommt jetzt schon, beim Überfliegen zwischendurch, einen enormen Sog. Noch nicht klar bin ich mir allerdings, wie ich mit den Kommentaren umgehe, ob ich sie ausweise oder einfach hineincollagiere, vielleicht in Kursiv oder überhaupt in einer anderen Schrift. Sicherlich sowieso nicht alle, auch wenn ich sie jetzt erst einmal mit hineinnehme. Aber diese Mischung aus Partikeln literarischer Geschichten, aus Theorie, Aphorismen und Tagebuch hat etwas ungemein Schillerndes, Lockendes… es wird, hab ich den Einruck, wirklich ein Buch zum Schmökern, Fantasieren, Denken.
23.23 Uhr:
[Stille. Nun ja, Verkehrslärm. Schönhauser Allee.]
Nun ist der Kleine wieder bei mir. Was für ein schönes Kind! Und wenn er dann nach dem Zähneputzen kommt, an mich heranklettert, seine Wange in meine Hand legt. – Lange vorgelesen, zum zweiten Mal “Der kleine Hobbit”, fast schon wieder zur Hälfte durch.
Er freut sich aufs Zelten mit Annika.
Fast den ganzen Tag an dem Dschungel-Buch gearbeitet. Und arbeite j e t z t noch. Zwei Monate (Juni und Juli 2004) in eine Datei kopiert, an den Texten gefeilt, einiges hinausgeworfen. Die Kommentare sind zum Teil ein Problem. Ich muß sie kürzen,oft bearbeiten – also insgesamt behandelt wie meine eigenen Beiträge. Das gibt möglicherweise ein Urheberrechtsproblem. Zumal ich bei Leuten, mit denen ich dann stritt, besonders vorsichtig sein muß: Anna Puck, Laralia, Walpurgis. Hier verändere ich s t a r k. Dann ist die graphische Gestaltung der Seiten wahrscheinlich knifflig. Manches will Mittung, anderes einen schlichten Abdruck. So sind das jetzt alles erst Versuche.
Immerhin, die beiden Monate haben (ohne die Kommentare) fast 200 Seiten, hochgerechnet auf dieses erste Dschungeljahr komme ich damit auf 1200, was entschieden zuviel ist. Oder nicht? Aber welcher Verlag wagt so etwas, wenn schon meine ‘einfachen’ Arbeiten ein Problem sind? Wahrscheinlich werde ich schon vorab auf der fiktionären Website eine Rubrik “Dschungelbuch” o.ä. einführen und dort die jeweils skizzierte Arbeit als pdf-Datei bereitstellen. Jedenfalls komme ich derzeit gar nicht mehr davon los.
Arbeitsfortschritt:
CLARA GROSZ, erste Überarbeitung (Leukert und Platz lasen gegen).
DSCHUNGELBUCH, Juni und Juli 2004 montiert.
Äusserst. Gespannt auf das Dschungelbuch! Es lockt schon jetzt…