Sonntag, der 28. August 2005.

5.43 Uhr:
[Mantler, Cerco un paese innocente.]

Gepackt! Aber es half ein dringender Druck, der mich, als um halb sechs der Wecker klingelte, ins Bad scheuchte. Es wäre einfach dumm gewesen, mich dann noch mal ‚fur eine halbe Stunde’ hinzulegen. Tief- und Leichtschlafphasen fließen ganz anders ineinander, als der disziplinierte Wille es will. Nun sitz ich in der Küche der Kinderwohnung, die Jacke des absurden pinkgrünen Trainingsanzugs über, den ich für die Früharbeit bereits bei THETIS in Rom immer trug, dabei die Kapuze überm Kopf und in den Kopfhörern eb’s Musik für gestern; einen großen Milchkaffee deutscher Mach(!)art vor mir, außerdem. Und werde an ARGO weiterschreiben. ALLORA: Wiederherstellung der Arbeitsstruktur, Erster Teil, „Das Persönliche“: Sie begann mit mangelnder Unklugheit, die mir gestern nacht einfach nicht mehr erlaubte, bis in die Puppen Netz-Unfug zu treiben. Was Sie wörtlich, also metaphorisch, nämlich à la Playboy nehmen können. Falls das Ihren Stil nicht verletzt.

Und d a s unterbrach dann die Arbeit:

9 Uhr:
[Karl Amadeus Hartmann, Sinfonie Nr. 4.]

Das sollte eigentlich die heutige Musik für >>>> eb werden, bei der ich gerade las, sie sei zurückmutiert ins nackte Wort, no jo, kann ich da nur replizieren: s o nackt ist ein Wort ja nicht. Und bin wegen der Musik jetzt unsicher. Die MDTFEB-Reihe soll ja eine Art lockende Einführung in die modernen Klangwelten werden, und irgendwie paßt das nicht. Es reißt nicht unmittelbar mit, man muß viel Vorauswissen haben, um in den Hartmann einsteigen zu können; ganz sicher wäre das „Versuch eines Requiems“ nach Whitman geeigneter, aber das wiederum ist derart depressiv, daß ich drauf keine Lust hab heut morgen. Also poste ich den Beitrag wohl erst gegen Abend, wenn ich wieder in der Arbeitswohnung und zwischen meiner Sammlung sitzen werde.
Gut gearbeitet an ARGO, es läuft ‚einfach’ (O über die Wörter!); jetzt mach ich mich und den Jungen für die Kinderoper fein. Hab zwei Fotos gemacht vorhin, aber auch das Verbindungskabel zum Laptop ist drüben; das Posting hol ich dann ebenfalls am Abend nach. Wer also Lust aufs Aussehen eines absurden Dichters im häßlichsten Trainingsanzug hat, den die Welt je produziert, der kann ja mal von Zeit zu Zeit wieder ‚spannen’: also:: h a t er nun oder hat er noch n i c h t? Ein ARGO-Fragment kommt wohl ebenfalls später.

10.23 Uhr:

Noch was Absurdes ist nachzutragen: Ausgerechnet mir wird eine Einladung zum Evangelischen Landeskirchentag 2006 zugesandt: Ob ich daran teilnehmen, ob ich dort sprechen wolle? Hm, denk ich mir: Ist dies nun ein Zeichen hoher kirchlicher Toleranz, ausgerechnet den Vertreter erotischer Unmoral sich nach Gelnhausen zu holen, oder kennen die Veranstalter mich nicht und haben sie mich einfach aus der Grimmelshausen-Preisträgerliste herausgeschrieben und vorausgesetzt, ich sei seriös?

13.15 Uhr:

Wie typisch für mich in den letzten Monaten: Hab das Datum verwechselt. Also kamen wir ziemlich exakt eine Woche zu früh bei der Komischen Oper an. Den Link im DTs laß ich jetzt dennoch stehen, möge er w e r b e n. Statt dessen auf den Mauerpark-Flohmarkt; Adrian war ein wenig enttäuscht, ich wollte das wieder gutmachen. Dort um vier Euro einen horseshoe-krebsgroßen batteriebetriebenen Cyborg-Skorpion erstanden, auf dem jemand von Klonkrieger-Aussehen hinter einer, na logisch, Star-Wars-Kanone sitzt; konnte ich ahnen, daß sich das gerittene Vieh nicht nur eigenständig auf seinen sechs stakig-krallenden Beinen bewegt (davon ging ich aus), sondern daß der Klon oben drauf dauernd „Fire! Fire!“ brüllt? Und dann sah ich das Fahrrad. Muß ich mehr erzählen? Jetzt muß was gegessen und vor allem Auf- und Absteigen geübt werden; auch die Gangschaltung ist für Adrians Kinderhände noch ein wenig zu widerspenstig eingestellt. Andererseits, er wird die paar Muskeln schnell kriegen. Ein richtiges Jungenrad jedenfalls, zäh, beanspruchbar und sieben Gänge, also ist’s schnell. Und der Rahmen in elegantem Goldlack. Guter Tag, soweit.

7 thoughts on “Sonntag, der 28. August 2005.

    1. jaja; die letzten sechs zeilen sagen etwas ganz deutlich, das man nur (in ähnlichen situationen) selbst erleben kann. eine art therapeutischer schritt ist damit getan, und man verliert ein stück angst, und gewinnt dadurch ein stück innerer sicherheit. das freut mich sehr für sie, lieber herbst. (umsomehr, als der auslösende parameter dafür die liebe zu dem kind und das verantwortungsgefühl war/ist.)

  1. Lieber Ferromonte. And to whom else it may concern. Nein, humorlos war ich an sich nie. Allerdings meinen hiesigen Lesern bekanntermaßen seit meiner Trennung, die parallel mit dem Verlust meines Verlages einherging, in einer von manisch-heiteren Intermezzi unterbrochenen Melancholie befangen, die von der unter anderem ökonomischen Situation noch durch allerlei Mangel-Injektionen grundiert wurde. An alledem hat sich prinzipiell nichts geändert; dennoch spüre auch ich, wie jetzt einiges nach und nach von mir abfällt.
    Das hat persönliche Gründe, zum einen private, zum anderen künstlerische. Ich schrieb bereits über den Eindruck, den mir Else Buschheuers Drittes New-York-Tagebuch gemacht hat und als wie erlösend ich die Lektüre empfinde. Sie läßt mich, da ich ihre Dynamik in mir zulasse und auf die mir eigene Art zu einer nicht nur erträglichen, sondern auch zunehmend angenehmen Haltung forme, zunehmend gewisser aus diesem lachhaften pinken Trainingsanzug schauen, den ich nach Abschluß der Morgenarbeit typischerweise – ich symbolisiere gerne, auch in der Kleidung – gegen einen sonnenhellgrauen Anzug tauschte. Zwar ist es wahr und zumindest die Wahrscheinlichkeit sehr groß, daß ich zu Lebzeiten keinen Verlag mehr bekommen werde, jedenfalls keinen namhaften und so großen, daß er mir die finanzielle Existenz sichern könnte, – aber was soll’s? Ich stehe unterdessen in jedem größeren Lexikon, meine Arbeit wird rezipiert – die Download-Zahlen auf der fiktionären Website belegen das mehr als genug -, ich führe ein vielgelesenes Literarisches Weblog, und wenn es denn sein soll, nun, so werde ich mich von dem mir zwar sehr lieben, letztlich aber doch eben eitlen Printmedium Buch trennen und ausschließlich noch im Netz publizieren. Daß die Deutsche Bibliothek ind Frankfurtmain, bzw.die Deutsche Bücherei in Leipzig nicht mehr umhin kann, diese Arbeit zu bibliografieren, zeigt ebenfalls ihre Bedeutung. Weshalb also soll ich mich weiter auf die Spielchen und Regeln eines Betriebes einlassen, dem es imgrunde weniger auf die Dichtung als mehr auf persönliche Geschaftlhuberei ankommt? Wenn mir jemand ein akzeptables Angebot macht, nun wohl, dann werde ich mich nicht zieren; aber meinerseits werde ich weiterhin nicht den Mund halten, sondern dort sprechen, dort aufzeigen und dort polemisieren, wo ich meine, daß es gerechtfertigt ist. Und zwar ohne schlechtes Gewissen mir selbst gegenüber und auch ohne das Gefühl, ich schadete mir letztlich damit. Verstehen Sie, ein solches Gefühl höhlt aus, es zwängt einen zwischen alle nur denkbaren Ambivalenzen, zumal wenn Sie für ein Kind Sorge tragen müssen. Wie ich in der jetzigen und sicher sich im ferneren existentiell noch verschärfenden Situation klarkommen werde, weiß ich nicht; aber das macht mir nichts mehr aus.
    Der zweite Grund ist ein privater. Die Leser Der Dschungel sind darüber informiert, daß ich seit meiner Trennung eine ziemlich rigide Position gegenüber der Mama meines Jungen eingenommen habe; ich habe genug Sturheit im Blut, um so etwas – wie ich es etwa gegenüber meiner eigenen Mutter tue und weitertun werde – bis an mein oder das Lebensende des anderen und darüber hinaus durchzuhalten; kleine Kontaktversuche zwischen durch einmal beiseite. Indes hat sich objektiv etwas verändert, nicht bei mit selbst, wohl aber bei meinem Jungen und in seinem Verhältnis gegenüber seinen Eltern. Er ist jetzt Schulkind, und erste Probleme sind aufgetaucht. Unmittelbar wurde mir da klar, daß eine weiterhin durchgezogene Abwehr persönlicher Kontakte mit der Mama meines Jungen für ihn verheerende Folgen haben könnte und würde, und zwar nicht subjektive – solche schmerzhaften Gefühle auszuhalten, muß auch ein Kind lernen -, sondern faktisch-objektive. Es geht jetzt nicht mehr darum, ob einer seiner Elternteile den anderen sehen will oder nicht, auch nicht, ob ihn oder sie das seelisch belastet; es geht jetzt darum, daß den Lehrern meines Jungen klarsein muß: es läßt sich zwischen den Jungen und seine Eltern und also auch zwischen diese beiden in Bezug auf das Kind keinerlei Art von Keil treiben. Es wurde zwischen die Eltern schon Keile genug von Fremden getrieben. Hier aber stehen sie Schulter an Schulter vor ihrem Kind. Das geht aber nicht, wenn die Kommunikation zwischen ihnen weiterhin wie bisher allein per SMS oder allenfalls Email läuft; sondern hier muß gesprochen, hier müssen Zwischentöne gehört, hier müssen auch Positionen untereinander formuliert und entwickelt werden, mit denen es die Institution Schule dann zu tun bekommt. Mir wurde das erstmals bei Adrians Einschulung vor zwei Wochen sehr deutlich und spätestens bei dem Vorfall mit Adrians Lehrerin vor dreivier Tagen. Seither ist es für mich keine Frage mehr, daß ich meine Ablehnung weiterer oder neuer Kontakte mit Adrians Mama fallenlassen werde – und fallengelassen habe. Und zwar auch dann, wenn mir jedes Treffen wehtut; ich übergab den Jungen auch vor knapp zwei Stunden wieder persönlich, und die abermalige Begegnung wirkt jetzt mit allerdings längst nicht mehr so scharfer Trauer wie früher in mir nach. Zugleich aber ist es, als würde ich durch die Klarheit ganz l e i c h t, die mir die objektive (schulische) Situation meines Jungen vermittelt. Seinetwegen ist es gar nicht mehr schlimm, daß mir etwas so wehtut, w i e es tut. Sondern ich habe – ganz wie in literaturbetrieblichen Belangen – das sehr deutliche Gefühl: Es ist so schon in Ordnung. Und das ist, glauben Sie mir, ein g u t e s Gefühl. Denn es bedeutet eine große innere Sicherheit.

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