Das Weblog als Dichtung. (6).

Das macht jede NetzPublikation für Literaten so reizvoll: hier ist das Ästhetische – als Abbildung – tatsächlich mit dem Realen zwar nicht identisch, aber analog. Ein Weblog kann dabei eine herausragende Rolle spielen: nämlich eine überdies interaktive B ü h n e sein. Man darf deren Wirkung keineswegs unterschätzen. Gerade manche Plauderblogs haben mehr Leser als ein deutschsprachiger Autor der, um ein böses, unter anderem auf mich gemünztes Wort Don Dahlmans zu verwenden, C-Prominenz. Selbst wenn – derzeit noch – die galligen Wehmutstropfen zu schlucken sind, daß es sich damit kaum etwas verdienen läßt, ist doch die Präsenz, die erreicht werden kann, enorm. Erwähne ich heutzutage sagen wir >>>> den Lektor meines verbotenen Buches, Denis Scheck, so kann ich davon ausgehen, morgen bereits unter seinen ersten zehn bis zwanzig google-Links zu stehen. Das entspricht dem kapitalistischen Umschlagsverfahren: Die Verpackung ist teurer und wird auch stärker beachtet als ihr Inhalt, den sie zunehmend surrogiert. Die Zwischenhändler verdienen an dem, wofür der Produzent selbst kaum noch etwas bekommt. Dies alles einerseits. Denn von daher, andererseits, wirkt die bezeichnende Dialektik, daß Weblogs eben auch aus einer Art journalistischem Widerstand entstanden. Da dieser aber einen offiziell verpflichteten ständischen Ethos nicht kennt, wird er meist für so unseriös gehalten wie seinerzeit die APO und eben jede Form außernormierter, also nicht sanktionierbarer und deshalb wenig beeinflußbarer politischer Betätigung. Dennoch sind es sachliche Weblogs, nämlich auf Ziele und definierte Inhalte bezogen und insofern funktional. Das hat seine Bedeutung, ist aber eben nicht das, was die Praxis eines Literarischen Weblogs interessiert: Hier geht es vielmehr emphatisch um Poetik: eine funktionale Trennung von Form und Inhalt wird unterlaufen, die Struktur des Netzes selbst zur handelnden Dynamik und insofern sogar noch die hardware als ein Teil von software verstanden. Ob jemand eine Geschichte mit der Hand, mit der Schreibmaschine oder am Computer verfaßt, ist eben nicht egal, sondern verfaßt bei gleichem Sujet einen jeweils völlig verschiedenen Text. Anders als >>>> einerseits Don Dahlmann glaube ich aber nicht, daß das Eigentliche eines Literarischen Weblogs in der Kürze der Texte besteht, weil das Netz vorgeblich weniger konzentriert lesen lasse; im Gegenteil kommt mir diese Einlassung allzu einig mit dem mainstream vor, den gegenwärtig auch in den Printmedien die Publikumsverlage bedienen. Andererseits greift mir >>>> auch lotmans Haltung viel zu kurz, Weblogs prinizipiell als Tagebücher zu begreifen. Das Entscheidende ist vielmehr – wie bei aller Kunst – der formale Character des Weblogs und daß es, sofern es literarisch (poetisch) ist, diese Form in einen ihrer eigenen Gegenstände und Bewegungsgesetze transzendiert oder doch zumindest den Versuch dazu unternimmt.

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