Freitag, der 11. November 2005. Stuttgart.

4.43 Uhr:
[Britten, Doppelkonzert.]
Sehr sehr müde. Gefriergetrockneter Kaffee, sehr sehr heiß. Ich hatte mehr als nur den Impuls, noch weiterzuschlafen, den Wecker auf halb sechs oder halb sieben zu stellen, tat es sogar, schaltete noch einmal das Licht aus, legte mich zur Seite – bekam ein schlechtes Arbeitsgewissen, wühlte mich also wieder hoch. Dabei war es so warm und weich, und das Fenster stand so schön weit offen, und so gute kalte Luft strömte ins Zimmer. Da war dann etwas von früher: Das Schlafzimmer in der Wohnung meiner Großmutter immer ganz kalt, immer gut geschlossen zur übrigen Wohnung gehalten, immer für Tiefe und Güte des Schlafens garantiert.
Gut, aber ich sitze im MaritimBademantel vor dem kleinen Schreibtisch, und die Sinne kehren mit den Gedanken ins Bewußtsein zurück. Hatte einen ziemlich wilden Traum, weiß aber nicht mehr, von was; doch ging es um Netzkunst. Was Wunder. Bis viertel vor zwölf war ich gestern drüben, diskutierte (aber sanft, nicht hitzig wie normalerweise), schönes Gespräch und auch Einvernehmen mit René Bauer, der gleich zu Anfang des Festivals – gestern morgen, ich saß noch im Büro des Literaturhauses – auf mich zukam: „Sie sind wirklich Herbst?“ und von einem Freund erzählte, der gerade seine Magisterarbeit über THETIS abgeschlossen habe usf.
Abends, in der Auseinandersetzung mit >>>> dem Vortrag der Herren Wyss und Huber, abermals Nähe. Skeptisch tritt Forian Cramer hinzu.
Selbstverständlich, unter den NetzKunstlern bin ich ebenfalls Außenseiter, aber randständig auf eine angenehme, gegenseitig neugierige Weise; zumal ist das intellektuelle Niveau der Gesprächsführung spürbar entwickelter als im normalen Literaturbetrieb. Man ist Auseinandersetzung akademischerseits meist gewöhnt, ja strebt sie an; so mein Eindruck. Das paßt gut auf meine (egoististische, zugegeben) ErkenntnisLust, die ich jeder sozialen Harmonie vorziehe.




Was an mir von gestern hängenblieb: BioPoetik. Gar keine Frage. Gedichte werden in genetischen Code übersetzt und einem Bakterium injeziert, das sich dadurch unter Beförderung durch UV-Licht verändert, ja mutiert. Des Mutierten genetischer Code wird nun ‚rückgelesen’ und in die Form eines Gedichtes übersetzt. Interessant für ARGO dabei: Die Gestalt des Mutierten: Ein Gedicht, das Körper und Bewußtsein wurde und herumläuft und einen in der Straßenbahn anschaut. Das einen vielleicht bedroht, vielleicht aber auch lieben will. Weshalb sollte nicht der erste Niam-Vorentwurf aus dem THETIS-Vorspiel in Garrafff ein solches Gedicht sein, das mit dem Erbgut einer Frau amalgamiert wurde? Niam Goldenhaar als die dunkle Form der erotischen Poesie. Sowas werde ich in ANDERSWELT mit hineinfantasieren.
Angenehmes NetzGespräch bei >>> Finya übrigens mit Sola-Ngozi, die mich zugleich warnt, sie habe, wie ich wüßte, eine dunkle Seite… – was mich ja nur besonders aufmerken läßt, zumal sie nun bewußt gestaltete Romanfigur wurde. – Ah /?p=11882” target=_blank” onmouseover=”status=’Wieso kein Pferd? fragte er.’;return true;”>ja, d i e s noch, bei Betrachten und Hören des Clips eines Musik-VJs (den die Vortragenden völlig überschätzen).




5.07 Uhr:
Ästhetische Erkenntnis durch sinnliche Überraschung: Ich habe in den foobar-Player Brittens Doppelkonzert, Bergs Wozzeck-Suite und für danach noch einmal das Doppelkonzert geladen. Jetzt schließt Berg unmittelbar an Britten an, und ich denke, immer noch das Doppelkonzert zu hören, da merke ich, daß es längst der Wozzeck ist, der sich harmonisch offenbar ohne Bruch aus dem Konzert herausgeschält hat. Dabei sind die MusikGattungen völlig verschiedene. So etwas muß mir mit dem Roman gelingen, so etwas strebe ich an.




9.35 Uhr:
Das i s t schon Luxus: Bis viertel nach sieben Uhr arbeiten, tatsächlich eine ganz Seite ARGO hinbekommen, dann in die Sauna, 3 x ¼ Stunde schwitzen, dazwischen Eisgüsse, schwimmen, auf der Liege das Herz pochen lassen, dann gleich zum Frühstück und Berge aus Müsli, Nüssen, Joghurt, Fisch, Käse verspeisen, die ausgeschwitzte Flüssigkeit durch Pampelmusensaft und Fischobst ersetzen und nunmehr, zurück auf dem Zimmer, derart erschöpft sein, daß man den Mttagsschlaf vorzieht.
So werd ich’s halten. Gegen elf dann hinüber ins Literaturhaus, dieses ganze Zeug posten, dann zum Neuen Kunstmuseum spazieren, die nötigen Aufnahmen tätigen, Notizen machen, ins Hotel zurück und den Fitneßraum aufsuchen, um spätestens um 16 Uhr für das Interview und danach die Fortsetzung des NetzLiteraturFestivals bereit zu sein. Hat was von AktivUrlaub.





[Bereits im Veranstaltungsraum, Suter & Bauer sitzen probend schon vorn, auch die Musiker rechts von ihnen. Ich hab hinten Platz genommen, von wo aus Gassner und ich für >>>> Literaturwelt.de‚berichten’.]16.55 Uhr:








Mußte unterbrechen, weil Sabine Grimkowski wegen des Interviews über den „Neuen Dandy“ ankam und mit mir sprach. Okay, und jetzt geht gleich die Veranstaltung los, also werd ich später posten oder direkt von hier aus (sowie ich einen Wlan-fähigen Laptop habe).




Ein schöner Gang über den kleinen Friedhof, übrigens, Der Unvergeßlichen, da versucht man zu begeifen, zu fassen, zu erfühlen, wie sie gewesen sei. Und möchte ihr eine Geschichte schreiben.

10 thoughts on “Freitag, der 11. November 2005. Stuttgart.

    1. Ja, Fischobst. Und das ist erst der Anfang. In der Gegenwart kommt das Polymorphe zu sich. Das wäre e i n e Aussage meiner Arbeiten, auch und gerade der Romane.

      NACHTRAG, 20.32 Uhr:
      Ähem… ich seh jetzt erst, daß Fischobst tatsächlich von m i r stammt. *lacht. – Das hab ich wirklich bis eben nicht bemerkt. Tanzendes polymorphes Unbewußtes.

  1. 4.43 Uhr Gedichte vortragende Bakterien Eine nette Idee, die mich sehr an den Roman (ich glaube es war) “The Three Stigmata Of Palmer Eldrich” von Philip K. Dick aus den 60ern des letzten Jahrhunderts erinnert. Dort waren es winzige elektro-mechanische Fliegen, die in großer Zahl ausschwärmen, um über die Lüftungssysteme der Schwebeautos ins Wageninnere zu gelangen, dort auf dem Boden aufplatzen, einen Werbespruch akustisch von sich gebend. Heute wären das Nanobots. Hier ein interessanter Link dazu: http://www.bbm.de/projekte/nanobots.html
    Vielleicht gar nicht so unwahrscheinlich und nicht allzuweit hergeholt?

    1. Hier tragen sie keine Gedichte v o r. Sondern ein Teil ihres Erbguts besteht aus einem Gedicht. (Stellen Sie sich Ihren Vater vor, der mit einem Gedicht von Ingeborg Bachmann schläft, das daraufhin als ein weiteres Gedicht S i e empfängt und gebiert, woraufhin der also entstandene Text innerhalb einer Retorte zu Ihnen-wie-Sie-sich-kennen heranwächst.)

    2. Natürlich… …das war mir auch klar. Nur eben das BILD, daß in meinem Kopf entstand, wurde assoziiert mit der Dick’schen Geschichte. Die Idee mit den Bakterien erscheint wie eine Gibson’sche Weiterentwicklung dieses Bildes. Einem Werbespruch einen Körper geben. Einem Gedicht einen Körper, noch mehr sogar einen genetischen Code geben, womit eine Weiterentwicklung des Gedichtes möglich wird. Sehr schön!

    3. Wie vergesslich, werter Herbst, wie vergesslich… Hier oben sitzt Bauer.
      Offenbar noch in Stuttgart mit Ihnen im Gespräch und gleichzeitig in Zürich sehr arbeitssam bei Prof. B. Höll-Chimaere.
      Auf dem Sprung in die Fiktion
      Hochachtungsvoll
      Ihr
      Moosbach

    4. Lieber Herr Moosbach, danke, daß Sie mir auf die Sprünge helfen; auf d i e s e n Bauer war ich gar nicht gekommen, sondern hatte überlegt, ob möglicherweise einer von Zilts’ Kollegen gemeint gewesen ist. Wie auch immer, jetzt ist einiges Fragliche von mir abgefallen, und ich hätte nun sicher nicht mehr >>>> diese Email geschrieben. Aber hinaus ist hinaus, und Herr Kiening dürfte ohnedies der falsche Ansprechpartner sein; ich fand aber keine andere offene EmailAdresse, über die sich hätte die pdf mitverschicken lassen. Ursprünglich hatte ich Müller Nielaba avisiert, da fand sich aber eben für die Email nur ein Formular der Uni Zürich. Egal.
      Seltsam und problematisch ist für mich nun der Umstand, daß mir der die Zilts-Erzählung sprachlich nicht zu halten scheint, was die übrigen Bücher doch immerhin zufriedenstellend schafften; weshalb ich sie hier zur Überarbeitung und evtl. NeuEdition auf dem Schreibtisch liegen habe… aber ich unterbrach die Arbeit, wie Sie gemerkt haben. Nun beziehen Sie sich auf einen Text, den ich nicht einmal selbst verlinke oder nur versteckt in meinem WerkRegister auf der fiktionären Website. Die sagen wir rhizomige Folge ist nun klar: Ich muß den Zilts wiederaufnehmen und weiterbearbeiten und eben neu edieren lassen, und zwar schnell. Vielleicht schiebe ich das nun noch zwischen zwei ARGO-Abteilungen.

      Ich werde Ihren Text über die fiktionäre Website ebenfalls >>>> zugänglich machen, setze Ihr Einverständnis voraus. Da ich zwar Ihre Adresse nicht habe, aber aus Ihrer Arbeit weiß, daß Sie intensiv Die Dschungel lesen, meine ich, davon ausgehen zu können, daß d i e s e Ankündigung, gefällt Ihnen mein Vorhaben n i c h t, zum Anlaß eines Widerspruchs genommen werden wird.

      Ich grüße Sie ganz herzlich
      ANH

    5. Einen Nachsatz noch. Einen Tag nachher. Auch pdf’s haben Spuren; Katanga ging einer nach und hat – ich hoffe, das ist in Ihrem Interesse – diese Spuren für Spätere gelöscht – so b l e i b e n Sie a l s M o o s b a c h der Verfasser.

    6. Spurensuche Werter Herbst,
      Diese Spur wurde unwissentlich gelegt. An der anderen gelegten Spur hätte der Ihnen auch bekannte German Schleifheim von Sulsfort wohl seine Freude gehabt. Sei es, wie es sei: Anhand Ihres Nachsatzes kann ich wohl schliessen, dass Ihnen meine sogenannte Identität nun bekannt ist. Wenn nicht, so wird Ihnen der Zufall in Professor Kienings Gestalt des kleinen Rätsels Lösung bald nachgeliefert haben. Wie aber Bauer bereits sagte: Es spielt keine Rolle, ob man jemand und wer man in Wirklichkeit ist; es schadete mir auch sehr wahrscheinlich nicht, wenn es herauskäme und würde mich folglich auch nicht stören. Aber eines seien Sie versichert: Ich stehe voll und ganz zu dem, was ich im Ribbentrop-Rhizom geschrieben habe. Nötigenfalls auch mit meinem anderen Namen. Nur ist es so, scheint mir, bedeutend reizvoller.
      Deshalb (ver-)bleibe ich
      – mit gutem Neujahrsgrusse –
      hochachtungsvoll
      Ihr
      Moosbach

    7. Ihre Arbeit, Herr Moosbach, ist hervorragend. Ich habe sie mit Genuss gelesen.
      Dass das breite Publikum (hier: breit = ein grösserer Leserkreis als derjenige bestehend aus Verfasser und der Professor) eine Lizentiatsarbeit zu lesen bekommt, ist selten. Dank deshalb auch an ANH, der sie hier zugänglich gemacht hat.

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