Freitag, der 10. Februar 2006.

4.40 Uhr:
[Kinderwohnung, Küchentisch. Filterkaffee.]
War bereits vor elf schlafen gegangen und sofort weggesunken. Mir träumte abermals von ******: Wir waren zusammen, jedenfalls sah das für andere so aus; aber wir berührten uns nicht. Das beschäftigt mich offenbar wirklich: mich heißt mein Unbewußtes. Tags ist das gar nicht so deutlich, nachts – n e b e n meinem Willen – kommt es hervor.
Offenbar hat mich der Wecker dann aus dem Tiefschlaf geweckt. Das war aber nicht schlimm, weil der Junge neben mir ganz aufgedeckt lag und ich ihn zudecken wollte, also handeln mußte. Ich habe den Eindruck, es ist sehr warm, aber als ich aus dem Fenster seh, liegt wieder eine feine Schneedecke über Berlin. Ich bin damit zufrieden: endlich wieder ein Winter, den man als solchen auch für voll nehmen kann. Dieses halbe Muddelzeug wie im letzten Jahr macht mir immer viel mehr zu schaffen; mit Extremen kann ich umgehen, mit Lauheiten nicht.
Aber daß zumindest mein Körper noch nicht ‚ganz da’ ist, merk ich daran, daß ich eben fast fünf Minuten brauchte, um die Morgenzigarette zu drehen. Ging einfach nicht. Ich verlier dann normalerweise die Geduld, spring auf, will was tun (und wär’s nur, rauszurennen und mir eine Schachtel zu besorgen), spürte auch den Impuls, aber er hatte bei dem noch abwesenden Körper keine rechte Chance. (Daß ich Ihnen so etwas formuliere, das ja wirklich ganz gleichgültig ist, hat damit zu tun, daß ich immer wieder versuche, solche leisen inneren Vorgänge irgendwie in die Worte zu kriegen; insofern ist dieses Tagebuch auch Schreibtraining. Wenn Sie das nervt, überspringen Sie’s halt oder kommen gelangweilt nicht wieder.)
Jetzt formulier ich eben das DTs, dann geht’s sofort an ARGO. Bis gegen 21 Uhr gestern war mein Kopf voller VERBEEN, danach, wegen der Schauspieler-Zuordnung, voller SAN MICHELE; ich schrieb sogar noch eine Widmung über das Stück und baute sie in die Ansage ein, war aber und bin mir mit ihr nicht sicher, nicht mit ihrem zweiten Teil (dem ersten schon: für Arian), und muß darüber, bevor das Stück an die Schauspieler hinausgeht, noch nachdenken. Jetzt, momentan, beschäftigt es mich nicht so, und ich kann an den Roman.

Heute abend ist >>>> Lesung.

Auffällig übrigens: Seit Sie in Der Dschungel nur noch kommentieren können, wenn Sie die kurze Registraturphase durchlaufen, halten Sie sich mit Kommentaren nicht nur zurück, nein, es erscheinen so gut wie g a r keine Kommentare mehr. Ich meine jetzt meine Verächter: so wichtig war es offenbar nicht, etwas zu sagen, daß es Ihnen zwei Minuten tippender Geduld wert ist. Legen Sie tatsächlich solch einen Wert darauf, Bosheiten und Anwürfe ausschließlich anonym loszuwerden? Oder steckten tatsächlich immer nur eine(r) dahinter, allenfalls zwei, doch unter wechselnden Masken?

8.12 Uhr. Arbeitswohnung:
[Händel, Semele.]
Einmal abgesehen davon, daß es wirklich so warm ist, daß ich in der weiterhin unbeheizten Arbeitswohnung – ein vollgestopftes 30-qm-Stübchen, Leute! – völlig ohne dicken Pullover am Scheibtisch sitzen kann, ist irgendwie ein Wunder geschehen: nämlich scheint sich mein Accuphase-Verstärker nun d o c h selbstrepariert zu haben. Jetzt überlege ich, ob es dem Kerlchen nicht vielleicht einfach zu kalt gewesen ist. Nicht jeder hat ja meine Beharrens-Kraft; daß ich so mit 16/17 – ohne damals schon Bloch gelesen zu haben, also kann es keine ins Vitalistische gewendete BildungsAnspielung gewesen sein – ein „Das Prinzip Trotz“ formulierte, sagt schließlich einiges aus.
Bin vorhin, wegen der Musik zu SAN MICHELE… hm, nein, erzählen darf ich Ihnen das hier nicht, es wäre unklug, egal… bin also, meine Damen und Herren, auf einen Gedanken verfallen, der geradezu abenteuerlich ist. Und werde gleich eine SMS hinausschicken, die allerdings auch völlig ins Leere zerflattern kann. Wir werden sehen. Und Sie vielleicht hören.

Schön, so ein großes Glas dampfenden Tees neben einem… N o c h was wollte ich erzählen, für die mir Bösen unter Ihnen, die meine Lust an Düften als unangemessen luxuriös beargwöhnen und immer hurtig vom Geruch auf den Kontostand schließen:
Ich habe in den letzten dreißig Jahren eine seltsame Eigenart entwickelt: nämlich eine Zeit lang die Parfums von Frauen weiterzutragen, mit denen mich eine Obsession verband. Voraussetzung ist dafür, daß diese Obsession ab- und jeder weitere Kontakt ausgeschlossen ist. Weiterhin miteinander befreundet zu sein oder ‚einer liebt noch die andere’, gilt also nicht. Von diesen Parfums sind mir zwei, sagen wir, duftende Sehnsüchte g e b l i e b e n: Houbigants „Quelques Fleurs“ und Patous „Mille“. Wobei „Mille“ als echtes Parfum eine völlig andere Sinnlichkeit entfaltet, als es das Eau de Toilette vermag. Jedenfalls lege ich beide Düfte immer mal wieder auf, neben meinem geliebten „Patou pour homme“, das aber seit zwei Jahren nicht mehr erhältlich ist oder sich nur für einen Schweinepreis, den ich nicht aufbringen kann, aus den USA beziehen läßt; und neben meiner Neuentdeckung „Arabie“ von Serge Lutens.
Nun saß ich an unser beider Geburtstagsabend mit dem Profi und seiner U. beisammen, wir aßen, dann beschenkten wir uns. Ich hatte aber auch das kleine Päckchen dabei, das mir Do bereits vor anderthalb Wochen hatte zukommen lassen. Darin nun fand sich ein Flacon „Mille“, nein, das ist nicht Dos Parfum; erstens hat sie nicht die mindeste Spur von Geschmacklosigkeit oder übergriffige Tendenzen, und zum zweiten wäre das aus den erzählten Gründen ohnedies ausgeschlossen. Sondern es ist das Parfum meiner allerersten erotischen Obsession. Damals war ich 25, und ich habe den wilden, zugleich kühlen Gestus dieser Frau bis heute im Blut behalten, diese raffinierte Mischung aus Glut, Gier und einer Kontrolle, die sich sozial ausgesprochen zu sichern verstand. Wie bewundernswert das ist, habe ich erst sehr viel später begriffen. Damals war ich dem – sagen wir: influierend, also nachdem damit Schluß war – wehrlos ausgeliefert.
Nun steht der edle Flacon neben „Arabie“ auf meinem Schreibtisch, und ich wähle die Momente sehr genau, an denen ich mich für „Mille“ entscheide. Dies i s t so einer gewesen, und ich schreibe das hier aus dem Geiste des Duftes. Wenn Sie das kitschig nennen wollen, dann mögen Sie das tun. Es ist zwar wahr, übersieht indes die ästhetische Schärfe, die hinter einem solchen Akt steht. U., übrigens, als sie das Parfum an besagtem Abend roch, äußerte sich so: „Welch ein schwerer Puder! Die Schwulen werden dich lieben! Du schwirren doch jetzt schon immer um dich herum….“ Da Homosexuelle im allgemeinen viel Geschmack haben, erheblich mehr als wir, geben wir’s zu, meist ziemlich tumben Heteros, ist das kein Argument: Das ist so auch bei jedem anderen Duft, der mir gefällt.
Und jetzt muß ich >>>> für Die Dschungel eine poetologische Notiz verfassen, bevor es mit ARGO weitergeht. Da sie ARGO betrifft, gehört das aber in die Romanarbeit mit rein.

BEMERKUNG ZUR DYNAMIK DER DSCHUNGEL.
Ich stelle das Tagebuch morgens auf die Hauptseite; ist aber der erste ‚öffentliche’ Beitrag eingestellt, dann versinkt das Tagebuch jeweils in seiner ihm gehörenden Rubrik. Wie etwa jetzt.

9.45 Uhr:
Leider ist der Verstärker nun d o c h wieder ausgefallen; ich komme um die Reparatur nicht herum. Und höre nun meinen Händel über Laptop und Kopfhörer. >>>> Hediger hat mir ein Bild der Strafanstalt geschickt, in der Verbeen Mitte der Fünfziger einsaß. Dieses Netz ist einfach wunderbar.

17.54 Uhr:
[Händel, Ariodante. Und ein Grappa.]
Soviel ich gestern am VERBEEN auch geschafft habe, so wenig kam ich heute daran. Den Vormittag über verbrachte ich noch mit ARGO, sowohl Texterfindung wie konstruierenden Kniffeleien; dann meldeten sich die ersten Schauspieler für SAN MICHELE. Erst Ilka Teichmann, die sehr interessiert ist, aber am 27.2. einen Dreh in Leipzig hat; sie wolle dennoch auf jeden Fall mitmachen, vielleicht werde sie gerade da nicht gebraucht. Dann sagte ein Schauspieler aus Termingründen ab; aber, das ist sehr höflich, rief dennoch nach meiner Bandansage bei mir an. Daraufhin ein schönes, angenehmes Gespräch mit Antje von der Ahe, deren Stimmlage ausgesprochen dem entgegenkommt, was ich mir vorgestellt habe. Nur stehe ich jetzt lose Teichmann quasi im Wort, fest war ja noch nichts, aber sie war die erste, die anrief. Schließlich noch Markus Hoffmann. Allen habe ich das Typoskript geschickt, zweimal als Email-Anhang, einmal material auf Papier. Was mich wiederum aus der Arbeit riß, weil das Papier ausging und ich welches besorgen mußte. Schließlich eine längere Mail von Thomas Kraft, der in Bayern VS-Vorsitzender geworden ist und mir einerseits gerne helfen, andererseits mich in den VS zurückholen möchte, den ich vor fünfzehn oder zwanzig Jahren aus politischen Gründen protestierend verließ – so, wie ich jetzt sehr geneigt bin, aus dem deutschen PEN auszutreten, der den offiziellen Auftrag der Vollversammlung mißachtet und es wegen interner Vorstandsstreitereien nicht hinbekommen hat, wegen der Buchverbote eine Arbeitsgruppe zusammenzurufen, die sich mit den Fällen beschäftigt. Im Ausland ist der deutsche PEN immer hilfreich zur Verteidigung der Kunstfreiheit da und hält sich hierzulande sehr viel – und zu Recht – darauf zugute. Muß aber möglicherweise vor den eigenen Türen gefegt werden, fangen die Rücksichtnahmen voreinander an, also auch vor jenen Kritikern, die mit großem Jubel die Buchverbote begrüßt haben. Nicht, daß der Auftrag gelautet hätte, f ü r die verbotenen Autoren Stellung zu nehmen; nein, der Auftrag lautete: sich mit den Vorgängen zu beschäftigen und d a n n erst eine öffentliche Haltung zu vertreten. Die wäre ohnedies mit der Mitgliedschaft abzustimmen gewesen. Aber schon das war diesem mutigen deutschen PEN zu heikel. Ich hab die Schnauze von Verbänden also gestrichen voll. So habe ich das an Kraft auch geschrieben.
Jedenfalls war nix mit VERBEEN. Zwischendurch den Jungen von der Schule abholen und zur Musikschule bringen, dann schon alles fürs Wochenende in der Arbeitswohnung zusammenpacken, noch zwei Telefonate führen – und nun sitz ich hier, protokolliere kurz den Tag und werde dann das Abendbrot bereiten, damit mein Junge und ich pünktlich Viertel nach sieben aus dem Haus und rechtzeitig zu der >>>> Lesung im Mittenwalder Salon kommen. Eventuell notier ich nach unserer Rückkehr hier noch was.