Freitag, der 31. März 2006.

5.54 Uhr:
ARGO-Pause; offenbar ist die VERBEEN-Produktion zu nah. Bin eben erst hoch; es war aber a u c h schon wieder nach eins, als ich mich schlafenlegte. Das muß sich ändern, nur wird es das sicher nicht vor Ende nächster Woche tun. Denn der VERBEEN wird je von 17 Uhr bis 0.30 Uhr produziert, da ist an meinen Frührhythmus kaum zu denken, schon gar nicht an seine Wiederherstellung. Außerdem kenn ich mich und weiß, daß ich nachts im Hotelzimmer, worin nun immer ein Fernseher steht, auch diesmal noch wenigstens eine Stunde lang die Porno- und Prostituiertenwerbung der „Freien“ Sender angucken werde, bis ich im Flimmerlicht über Erektion und Müdigkeit unter Morpheus’ warmem Bauch zusammengesunken sein werde, dieses „Ruf an, ruf an!“ mit in mein Träumen ziehend. (Oder ihm hinterher? dem Lockruf der Sirenen folgend?: Leopold Bloom in Baden-Baden. Dabei gibt es, find ich, nichts Öderes als Telefonsex: daß das wirklich Männer t u n und Geld für sowas ausgeben, ist mir hochgradig schleierhaft. Ich bin also wohl eher Stephen Dedalus und verweigere der auf dem Sterbebett liegenden Mutter das Glaubensbekenntnis.)
Guten Morgen erst einmal.
Es steht weiterhin VERBEEN an: letzte Revision des Typoskripts. Vielleicht schreib ich auch mal wieder ein Theoriefragment übers Literarische Weblog. Gestern kam das ‚Zeitschrift’ genannte Buch über Medieninnovation und Medientheorie an, worin meine >>>> Anthropologischen Thesen nun auch gedruckt vorliegen. Ich guck mal nachher, ob’s dafür einen Amazon-Link gibt. Dann nachts noch ein Telefonat mit >>>> Titania Carthaga, die für mich eine Lesung in Jena organisieren will und nun ständig auf Widerstand stößt: „Wer ist Alban Nikolai Herbst?“ fragt man dort. Ein Buchhändler der THALIA habe in seinem Computer nachgesehen, nur das >>>> Illusionsbuch mit den Funkarbeiten gefunden und gleich abgewunken. Wahrscheinlich hat er nachgeguckt, was er in seinen Beständen hat, bei Libri schaut er nicht, und das Feuilleton ist ihm, außer für Bestseller, zu kompliziert. Der Buchhandel ist, fand ich schon vor zehn Jahren, mit völligem Recht eine sterbende Branche. Na, wurscht. (Dabei liegt dem Illusionsbuch diese wirklich schöne Aufnahme meines Poetik-Hörstücks an.)
Gut, ich spazier noch ein paar Minuten durchs Netz, dann weck ich meinen Jungen.

13.38 Uhr:
[Jarrett, Osaka 1976.]
Sò!!!! Die letzten Telefonate geführt, die Zweite Fassung erstellt und an alle hinausgemailt::: VERBEEN ist, von der Typoskriptseite aus, abgeschlossen. Ich könnte mir also den Mittagsschlaf gönnen. Tu ich aber nicht, es sieht zu wüst, zu verdreckt hier aus, alles voller Asche, Stöße Papiers aufeinander, Bücher, Zettel – na machen Sie sich eben selbst ein Bild. Also:

V O R H E R Jetzt aufräumen. Glanz auf den Schreibisch bringen. Seit 1978 ist er mit mir zusammen. Ein Geschenk damaliger Mitbewohner. Da lebte ich noch in Bremen.
N A C H H E R . Zu salben, was man liebend hart gebraucht: Die Platte und die Seiten mit Olivenöl eingerieben.

[Jarrett, Nagoya 1976.]
:15.03 Uhr.

Und ich habe schließlich den noch gefunden, dank U., der mir morgen Verbeens auf Farsi geschriebenes Arimathia-Gedicht auf Farsi in den DAT-Recorder sprechen wird. Nun ist wirklich alles alles komplett.

22.57 Uhr:
[Kinderwohnung. Händel, Alcina, Ama, Sospira]
Abend. Die Beine seelisch baumeln lassen. Der Musik am Küchentisch lauschen. Der Junge hört zum zweiten Mal zur Nacht >>>> Helmut Kraussers wundervolles Buch „Die wilden Hunde von Pompeii“; er hat es sich neulich gewünscht, diese Geschichte, diesen so sinnlich-nahen Roman ein zweites Mal vorgelesen zu bekommen. Vorher mit Katanga gesprochen, mit dem Profi telefoniert, Emails geschrieben und beantwortet. Eine Mußestimmung, die sich mit einer Diskussion in Der Dschungel füllte. Ich trinke einen Álcamo, Westsizilien, zwischen Palermo und Trapani gelegen, etwas südlich von Corleone und Prizzi; „Mafiawein“ nannte ich ihn vorhin. G u t e r Wein, der ganz ganz leicht nach Vulkanerde schmeckt, aber nicht mit der Kraft des Regalealis. Und soeben fange ich im Netz mit einer lange nicht Gelesenen wieder zu sprechen an. Verbeen-Nachklang. Vielleicht schlafe ich morgen einmal aus und stelle dafür k e i n e n Wecker. ARGO-Pause, ich sagte es schon morgens. Und so beschließe ich es nachts.
0.17 Uhr:
[Händel, Alcina. Mi restano le lagrime.]
Plötzlicher Anfall eines gleich wieder zurechtdisziplinierten Weinens. (Der große, wirklich große Händel. Er ist mir soviel näher als Bach. Letzte Zigarette. Dann schlafen.)