Dienstag, der 20. Juni 2006. Berlin – Bamberg.

7.14 Uhr:
[Kinderwohnung.]
Systematisch zugeschüttet hab ich mich gestern. Und sage zum Profi, sage zu U.: “Das ist nicht gut, ich fange jetzt schon mittags zu trinken an.“ Futtere am Wannsee ein Bauernfrühstück, trinke dazu, trinke weiter, während U von dem Segelunfall erzählt, der ihr und einer Freundin passiert: Plötzlich war da Gewitter, plötzlich waren da Sturm und Seegang. Die Jolle gehorcht nicht mehr dem Ruder, die Segel sind zwar eingeholt, aber es bringt nichts. Das Bootchen wird von der Dünung gegen eine Kaimauer gedrückt, ist arg zerschrammt nun, auch am Baum ist etwas leicht lädiert; mit Mühe schaffen es beide Frauen in eine kleine private Bucht, klitschenaß von Kopf bis Fuß. Sei haben zumindest die Schwimmwesten an. „Du sagst immer“, erzählt U. und sieht zum Profi, „segeln sei gefährlich. Ich habe nur immer gelacht: Doch nicht am Wannsee! Aber jetzt… ja, ich hätte mit dem Kopf an die Mauer knallen, hätte bewußtlos sein und ins Wasser gleiten können. Und bewußtlos kann man auch in der Badewanne ertrinken.“
Allgemeines Lachen ringsum, die Geschichte bestimmt den Abend, bis sich auch hier der Fußball hineindrängt. Und bis U. nach meinem Befinden fragt, der ich ziemlich umdüstert bei allem dabeisitze. Momentlang geht es um Literatur und Literaturbetrieb, da wach ich auf, aber das ist ein kleines Intermezzo, kaum mehr. Immerhin gibt es Bier. Ich entwerfe ein Gedicht. Wir fahren, nehmen noch einen Absacker bei mir unten im Haus. Und U. erklärt, weshalb sie meint, daß eine Frau plötzlich so schweige: „Ich glaube, Jemand hat jemanden anderes kennengelernt, nähert sich aber auch dir wieder an. Jemand denkt: Ich warte mal ab, wie sich beide Geschichten entwickeln. Hält die eine vor der je anderen Geschichte geheim. Brüstet sich aber mit der ehemaligen Beziehung zu dem berühmten Schiftsteller: Glaub ja nicht, ich sei nichts. Sondern ich war die Frau von Soundso. Soundso aber schreibt im Internet öffentlich über die Näherung, und der andere der beiden Männer liest das, daß es da wieder eine so romantische Geschichte gibt. Wird grantig vielleicht, spricht vielleicht die Jemand darauf an. Woraufhin die abrupt jeden Kontakt zum ersten Mann abbricht. Weil er ihr Spiel gefährdet, weil sie sich nun entscheiden muß. Und sie entscheidet pragmatisch, wenn der andere Mann ist zwar nicht berühmt, aber hat Geld. Und Jemand braucht schließlich Sicherheit, da ist doch sonst gar keine Perspektive.“ U. sieht auf, nickt, sagt: „Frauen sind so. Jemand muß auch nur Angst gehabt haben, daß die romantische Geschichte herauskommt, das m u ß der andere Mann noch gar nicht mal gelesen haben.“ Um 8.22 Uhr geht die S-Bahn zum Südkreuz, wo ich den ICE nach Bamberg abpassen will. Ich packe also jetzt. „Das Internet ist tückisch“, sagte U. noch, „manches muß geheim bleiben, damit es sich entwickeln kann.“ Hat nicht die andere Frau, die ich meine, eine ähnliche Erfahrung gemacht, wenn auch im kleinen? Leser, es kann sein, daß ich hier einen Tiger reite: den des Verzichts. Wie auch sie. An die ich jetzt denke. Womit nicht jene Jemand gemeint ist. Aber alles, Leser, ist Wähnung.

9.35 Uhr:
[ICE Berlin-Bamberg. Bei süßem Kakao.]
Mein Junge zu Fremden, in letzter Zeit oft: „Weißt du, wer mein Papa ist? – Alban Nikolai Herbst!“ Das ist derart peinlich, daß ich ihm das verboten habe. Aber irgendwoher muß er das haben. Von allein kommt ein Sechsjähriger nicht auf sowas.

Sitze also bereits im Zug, der Alkohol ist, indem ich dauernd Gedichte schreibe, verdunstet. Bei den Versen stimmt immer irgend eine Zeile nicht, oder ein passendes Reimwort paßt zwar semantisch, nicht aber im Bedeutungsklang; oft klingt es zu altertümlich. Übrigens ist das Irre an meiner Beschäftigung, daß ich die Gedichte wechselweise für z w e i Frauen schreibe: von der einen beginne ich mich abzulösen, aber ich will immer noch zu ihr hin, zugleich will ich die andere gewinnen (ich weiß, daß Du dies liest) und mich in ihr, die so neu ist, vergraben. Will endlich ö f f n e n.

10.10 Uhr:
[ICE-Halt Leipzig.]
Was eine Scheiße! Jetzt will ich ins Netz, aber weder übers Mobilchen noch über den nur kurz zugänglichen T-mobile-hotspot werd ich reingelassen. Keine Ahnung, woran d a s jetzt wieder liegt! Ich hasse es, wenn etwas nicht funktioniert. Also ruf ich den kostenfreien Technikservice an, bekomme auch eine Verbindung, aber kaum, daß ich durchgestellt werden soll, gibt es kein Telefonsignal mehr. Es ist einfach zum Kotzen.

13.32 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg.]
Zurück. Hab mir einen gefriergetrockneten Cappuccino gemacht, den hellen Anzug gegen eine kurze Hose vertauscht und sitze nun „oben ohne“ bei wieder geöffneter Kiesterrassentür am Schreibtisch, um Die Dschungel zu aktualisieren. Wobei ich eine meiner kurzen Zigarren rauche.
Die Fahrt nur mit Gedichteschreiben verbracht, drei sind entstanden, zwei davon fast fertig, zwei weitere skizziert. Die fast-fertigen stelle ich gleich ein. Will an dem Paarungsgedicht weiterschreiben. ARGO pausiert, so hat es Aphrodite beschlossen.