18. August – im Büro

Auszug aus einem Brief an H. vom 18.August 2006

Lieber H,

mit Céline habe ich keine Probleme und kann manche heutige Wut auf ihn nicht nachvollziehen. Mir ist ein irrender engagierter Künstler, den die Welt anekelt tausendmal lieber, als jeder vergessliche Moralapostel. Céline, ein Kleinbürger, der sich nicht abfinden wollte, ein Armenarzt, wie Benn, ohne dessen Kälte. Betroffen von der Heuchelei im Völkerbund, angewidert vom stalinschen Moskau und ahistorisch denkend, weil zu emotional, zu sensibel, entscheidet er sich abrupt für das Falsche. Und begann zu schwanken, als ihm der Boden in Moskau unter den Füßen schier weggezogen wurde. Und wenn der Kleinbürger schwankt, schwankt er nach Rechts. Sicherheit im Unheil suchend. Céline hat für mich, wie Pound, einen geistigen Suizid aus Verzweiflung am Humanismus begangen, Dass dann in der Folge der Ereignisse identitätsrettender Starrsinn, ähnlich Pound und Hamsun, selbstkritische Erkenntnisse verhinderte werfe ich ihm nicht vor. Die Kunst, die Literatur wird bleiben, dessen bin ich gewiss. Der Satz, die Weltgeschichte ist das Weltgericht, lässt sich auch umformulieren in die Kunst- und Literaturgeschichte ist das Weltgericht. Und gegen den Einfluss, den Hamsun, Pound, d’Annunzio und Céline auf die Entwicklung moderner und postmoderner Autoren hatten und noch haben ist keine Berufung möglich.

Ergänzt um 12.31 Uhr: Und begann zu schwanken… verlockt zu einem lyrischen Text.

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