Arbeitsjournal. Donnerstag, den 7. September 2006. Bamberg. Berlin.

5.24 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg. Pettersson, Zehnte Sinfonie.]
So schwer geträumt, daß ich um halb drei nachts davon aufwachte; aber ich hab von dem Traum nichts mehr im Kopf. Dann unruhig weitergeschlafen und erst um Viertel nach fünf hoch. Hab mich eben entschlossen, erst den 9.09er ICE zu nehmen, dann kann ich hier vor der Fahrt noch etwas am Pettersson-Stück tun; den Jungen muß ich ja erst gegen vier von der Schule abholen, um dann rechtzeitig mit ihm für sein Training auf dem Fußballplatz zu sein. Hier ist sowieso noch etwas für Ordnung zu sorgen, dann komm ich nicht auf Kosten der Arbeit ins Gedränge.
Hab gestern abend Zschorsch >>>> die Elegien gegeben, um seine Meinung einzuholen; der Profi drängte mich immer wieder dazu, der ich es scheu(t)e. Es ist etwas anderes, einen Lyriker zu fragen als jemanden anderes; ich erinnere mich immer wieder, wie ich vor etwa zwanzig Jahren dem Dichter Paulus Böhmer Gedichte von mir zeigte und wie ich danach reagierte. Das hab ich Ihnen ja >>>> hier schon erzählt. Diesmal würfe ich die Texte n i c h t weg, sicher nicht, sondern machte mit ihnen weiter; aber das Grundgefühl wäre ein wenig verstört. Außerdem ist so etwas immer heikel zwischen Künstlern, die sich befreundet haben; wenn dann einer die Arbeit des andren geringschätzt, gibt es unvermeidlicherweise einen Riß auch in der persönlichen Beziehung. Es ist wie in der Liebe: man muß auch das, was der Partner tut, achten, jedenfalls >>>> bei Berufen.; es darf einem nicht einmal nur egal sein. (Übrigens kann man es, fällt mir grad ein, auch h a s s e n, das ist viel weniger schlimm; denn dann verbindet die Intensität. Im ‚Egalen’ aber schwingt immer etwas von Verachtung mit.)Seltsam, nicht wahr?, wie sehr in der Mitte all meiner letzten Arbeiten so etwas wie Gläubigkeit steht. Ich hab sie nicht, aber sie wird eingekreist wie etwas, das in seiner Abwesenheit wirkt. Nun sogar ein Requiem, das ja (zitiert nach>>>> wikipedia) folgendes bedeutet: Das Wort bezeichnet sowohl den Ritus der Begräbnismesse, als auch kirchenmusikalische Kompositionen für das Totengedenken. Die Bezeichnung stammt vom ersten Wort des Introitus: „Requiem aeternam dona eis, Domine“ („Ewige Ruhe schenke ihnen, Herr“).Diesen Introitus sollte ich dem Pettersson-Stück voransetzen und irgendwie verlautlichen, per muskalischem Zitat vielleicht, das ich dort mit der das Stück durchziehenden GESTE verschmelze. Am besten wäre, ich fände etwas, woraus sie sich entwickeln könnte. Vielleicht verwende ich >>>> Peter Ruzickas „…das verfluchte, das gesegnete…“, das er für Pettersson geschrieben und mit Pettersson-Material komponiert hat. Gut, ich notier das eben im Rohling.

>>>> Lampes Erzählung geht mir sehr nach. Die Traurigkeit darin, wie einem unmerklich etwas, das hielt, verging, und wie es erst Jahre später ins Bewußtsein tritt und dann vielleicht nicht mehr zu revidieren ist. „Zeit ist irreversibel“, auch und gerade persönliche. Zunehmend denke ich, man darf eben n i c h t vergessen und auch nicht vergessen w o l l e n, sondern muß, was geschah, formen, auch und gerade in der Liebe und für sie. Liebend formen. Was eine Art des sich Stellens wäre und ist. Je später jemand damit beginnt, um so schwieriger wird es. Manchmal ist aber auch Abstand nötig, um es zu tun. Wir sind da völlig hilflos, denn niemand kann den richtigen Zeitpunkt nennen.

7.39 Uhr:

Jetzt hab ich d o c h den lyrischen Anfang gefunden. Stell ihn aber später erst ein, vielleicht vom ICE aus, weil ich vorher noch eine Rundung finden will. Jetzt muß hier Ordnung geschaffen und zusammengepackt werden.

[Joni Mitchell, For the Roses. Versöhnend.]

10.49 Uhr:
[ICE Bamberg-Berlin. Kurz hinter Jena.]
Für Pettersson den >>>> Introitus entworfen (für den ich übrigens eine Fotografie gemacht habe heute früh; aber das Mobilchen mag das jpg nicht hochladen; so werd ich das in Berlin nachholen). Einiges an dem Eingangsstück wird sicher noch zu feilen sein, aber die Richtung stimmt. Bin etwas müde, werd vielleicht mal ein halbes Stündchen dösen, gedankenschweifend, zwischendurch immer wieder aufs TS lugend, hier was einfügend, dort – so träumerisch geht das manchmal a u c h vonstatten. Die Idee ist jedenfalls seit heute morgen, daß ich den gesamten Requiem-Apparat• Kyrie
• Graduale: Requiem aeternam dona eis, Domine.
• Tractus: Absolve domine
• Offertorium: Domine Jesu Christe
• Sanctus
• Benedictus
• Agnus Dei
• Communio: Lux aeterna
durch das Stück ziehen werde; das dann werden die Passagen im Versmaß sein; unterbrochen dies jeweils von den Zitat- und O-Ton-Montagen. Ich muß in der Arbeitswohnung mir dringend noch einmal Brittens War-Requiem anschauen, von dem ich mich gerade zu erinnern meine, er sei gar nicht unähnlich vorgegangen.

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