6.26 Uhr:
[Berlin. Kinderwohnung. Dies ist der 8000ste Beitrag in Der Dschungel.
Die Kommentare nicht mitgerechnet.]
Der Junge wünscht sich, zum Wochenende nach Bamberg zu fahren, also reise ich heute bereits wieder zurück nach seiner Schule. Und werde dann dafür am Sonntag abend und Montag hierbleiben und erst am Dienstag wieder in die Villa zurückkehren. Ist ein bißchen viel Hin und Her, aber was soll’s…
Bin erst spät hoch, erst um 6. Es wurde gestern nacht noch lange mit dem Profi, und ich hatte keinen Mittagsschlaf. Hätt ich zwar haben können, legte mich auch hin, aber wälzte mich nur als permanentes Grethchen: „Weh! Weh!/Wär‘ ich der Gedanken los,/Die mir herüber und hinüber gehen/Wider mich!“
Dann find ich eben >>>> diese Einlassung, die in ihrer politischen Vergleichsfindung sehr typisch etwa für ein Deutschland der 70er und 80er Jahre ist (auch für davor, aber das erlebte ich aus Altersgründen noch nicht bewußt) und bei einigen einer bestimmten Generation weiter nachwirken dürfte. Daran ist auch Recht. Denn unabhängig davon, daß Hurdalek einen diskriminierenden Ton anschlägt, ist doch seine Einlassung selbst – bezgl. Pathos – eine mit Gründen, auch mit Leidensgründen, und deshalb zu diskutieren; man muß nur den mitschwingenden bösen Ton hinausdenken, schon hat man eine gute Plattform, um zu sprechen. Ich hoffe, daß einige Dschungelleser da mittun werden. Daß ich meinerseits zu bestimmten Aussagen in einer gewissen Schärfe oder sagen wir: mit einem starken Unterdruck immer auch aufgrund dessen komme, womit ich mich gerade intensiv beschäftige (jetzt also mit >>>> Allan Pettersson), sei davon ganz unbenommen und zugestanden. Von dem letztlich nur weichen, jedenfalls allzu schnellen „Hammerargument“ eines Vergleiches mit Erscheinungen zur Zeit des Nationalsozialismus laß ich mich jedenfalls nicht mehr beeindrucken; zu lange hab ich das selbst so gehalten, um nicht zu wissen, wieviel Gedanken- und Lebensschwäche damit verbunden ist und daß eben deshalb eine Art Denkverbot ausgesprochen wird. Dazu wiederum Ernst Bloch: Nichts befreit daher vom Untersuchen der Begriffe, die der Nazi zum Zweck des Betrugs, aber als eines zu endenden, so entwendet wie verwendet hat. Führer, vor allem Reich tauchen derart auf, und wird ihrem ursprünglich zu endenden Sinn nachgegangen, so tauchen sie in anderer, in nachdenklicherer Weise auf, als das zuletzt gewohnt war. Der Stoff ist noch großenteils frisch, desto fauler gerade ist und mußte werden, was Blindheit und Verbrechen mit ihm angestellt haben. Das etwas träumerische Wesen der Sache war überdies gegen Mißbrauch schon des öfteren wehrlos. Aber auch Schönes und Edles leuchtet aus verschollenen, nicht verschollenen Tagen herüber, es ist wichtig, daran zu erinnern.
(Erbschaft dieser Zeit, zit. nach der Gesamtausgabe 4, Ffm 1977.)
Werd über den Vormittag am PETTERSSON weiterschreiben, und vielleicht wird der Mittags-ICE nicht s o voll sein, daß es da dann auch noch geht.
9.39 Uhr:
Die gesamten Texte für ein ‚klassisches’ Requiem zusammengesucht, auch das Libretto von Brittens „War Requiem“ im Netz gefunden, bei dem es mir um den abweichenden Aufbau geht.
Zugleich wirkt >>>> so etwas in mir wir Brennstoff, der den Kopfmotor so richtig auf Hochtouren bringt und ich wieder einmal mehreres zugleich denke und dabei versuche, untereinander Verknüpfungen herzustellen, die den neuen Themenkomplex direkt in die laufende Arbeit, jetzt also den PETTERSSON, einbinden. Und wiederum zugleich diese Haltung, mich dabei zu beobachten, den Prozeß zu beobachten und auch den zum Gegenstand einer poetologischen Untersuchung zu machen. Der Nachteil dabei ist, daß ich nicht vom Fleck wegkomme, sondern hier sitzenbleibe, anstelle in die Arbeitswohnung zu radeln, aus der ich ebenfalls Material herholen wollte. Und außerdem gleichzeitig eine Korrespondenz über Loyalitätsprinzipien und Öffentlichkeit; jene schließt faktisch diese aus oder w i l l das doch, und zwar auch und vielleicht gerade dann, wenn es sich um öffentliche Institutionen handelt. Man gerät dabei schnell in prekäre Situationen, die einem die Existenz gefährden können. In die letzte Konsequenz hineingedacht, ist die Frage folgende: Versteckt man lieber Verfolgte und gibt sich, damit das geht, nach außen als Mitläufer, oder opponiert man offen, muß dann aber fliehen (oder aus dem Betrieb ausscheiden) und kann deshalb k e i n e n verstecken. Die erste Haltung entspricht einer ‚positiven Intriganz’, einer humanen. Nur fragt es sich, ob man nicht damit rein psychodynamisch die Haltung des Gegners übernimmt, ob sie nicht vielleicht Teil von einem selbst wird. Ich weiß keine Antwort, aber argumentiere normativ, um überhaupt erst einen Experimentalaufbau hinzubekommen, wie ihn solch eine Korrespondenz abzustecken versucht.
19.43 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg.]
Gerade mit dem Jungen wieder hier eingerollt; während der Fahrt spielten wir mit Pokémon-Karten, eine Stunde davor schlief ich, später schlief e r ein, aber an den PETTERSSON war so kurzfristig nicht zu denken. Das heißt, ganz stimmt das nicht. Auf >>> sowas komme ich wohl auch nur über die Beschäftigung mit Petterssons (wenigen) Glaubens-Äußerungen, sowie meinen Überlegungen zu Kunst allgemein. Dann /?p=10680#comments“ target=“_blank““>>>>> die Pathos-Diskussion mitgelesen und kommentiert. Jetzt gefällt mir sehr, wie Sie, Huralek, argumentieren, auch wenn Sie völlig anderer Meinung bleiben sollten als ich, bzw. ich als Sie. Aber wir haben nun eine Grundlage, und die Mitkombattanten tun ihr Eigenes je dazu. Man wird insgesamt durch so etwas in der persönlichen Sicht weiter. Alle, auch die Leser, die sich nicht äußern mögen. Durchdenken tun’s auch sie. (Das ist a u c h etwas, das mir Die Dschungel so wichtig gemacht hat: zu wissen, wie viele hier mitlesen, „einfach so“, wie ein Buch. Nicht jeder hat das Temperament, sich sofort oder überhaupt äußern zu müssen; daß es diese – ja, so sehe ich’s – stillen Teilhaber g i b t, schenkt mir ein gutes Gefühl bei der Arbeit. Dafür mal so am Rande ein Danke.)
Der stillen Teilhaber gibt es sicherlich viele. Eine davon bin ich; die sehr gern hier liest, sich Gedanken macht, meistens nichts sagt, und streckenweise sehr viel empfindet. Auch lerne ich hier – staune und bewundere die getroffene Wortwahl. Im Augenblick höre ich gerade Schubert „Der Müller und der Bach“ und danach die „Winterreise“. Vor diesem akustischen Hintergrund lese ich gern die Bamberger Elegien. Ich möchte auch einmal „Danke“ sagen.
Einer der, Herr Kowalski, schönsten Romane der Weltliteratur beschreibt diese Erfahrung. Ein Buch, das sich ‚halb’autobiografisch nennen ließe, wäre es nicht so ganz und gar Dichtung – eine Dichtung, Herr Lampe, die eine gute Antwort >>>> auf Ihre leise Frage gibt, was das sei, jemanden zu lieben. Auch in diesem Buch hat jemand sein Spiegelbild verloren (wie seinen Schatten; keine Frage, daß thematisch mit E.T.A.Hoffmann gespielt wird), aber nicht an den Spiegel, sondern an die Frau, die er liebt. Und an die „Moderne“. Indem dieser Jemand davon schreibt, gewinnt er sein verlorenes Spiegelbild Stück für Stück zurück, aber ü b e r die Frau, für die er schreibt (wobei er natürlich für die Leser schreibt, aber die Frau ist der fokussierende Punkt, der das überhaupt erst ermöglicht).
Der Verlag hat das Buch deshalb, obwohl es ganz anders heißt, auf Deutsch „Spiegelbilder“ genannt; ein Notbehelf, der aber seine Wahrheit hat. Tatsächlich heißt es „La mise à mort“, und Prunier wird mir damit recht geben, daß eine genaue deutsche Übersetzung zu einem schlechten, weil unlebendigen Ausdruck führte. Der Dichter des Buches ist Louis Aragon. Man bekommt es derzeit nur antiquarisch, wie seinen wundervollen Partner, „Blanche ou l’oubli“, worüber ich >>>> hier schrieb.
Zu Ihrer Erfahrung, bzw. Empfindung, Herr Kowalski, gehört ebenfalls, daß sich – außer den in Die Dschungel hineindenkenden >>> ’stillen Teilhabern‘ – hier erfundene und reale Personen ganz ungetrennt miteinander unterhalten, wohlgemerkt: sowohl von mir als auch von anderen erfundene Personen, sowie diese selbst und noch andere, die niemanden erfanden, sowie ich als reale und aber auch meinerseits erfundene Person. Das entspricht unseren Selbstbildern, die wir haben unerachtet, ob ihnen eine physiologische Realität entspricht; d i e nämlich wäre rein pragmatisch. Denken Sie also eine oder mehrere Personen, die Sie sein könnten (oder sein sollen), in den Spiegel hinein und lassen Sie diese Personen kommunizieren – dann bekommen Sie eine Ahnung davon, d a ß es und vor allem w i e es Sie gibt.
Liebe Svarupa und auch liebe anderen Leserinnen und Leser. Bitte bedenken Sie, etwa bei den Bamberger Elegien, daß so gut wie alles, was sich hier als literarischer Text findet, R o h l i n g ist, also geradezu immer die Fassung erster Entwürfe, die sich alle noch verändern werden, die bisweilen sogar umgeworfen werden könnten, bevor ihnen das imprimi potest gegeben wird. Stellen Sie sich die Dichtungen als eine Materie vor, die Sie zwar auf die Hand nehmen können, die Ihnen aber nach und nach durch die Finger davonfließt, bevor sie ihr eigentliches und auch dann nur vorläufiges Bett gefunden haben wird; denn dieses Bett ist ja im Kopf der Leser je ein anderes, und also ist’s auch der ‚fertige‘ Text. Der Reiz hier besteht darin, das Unfertige – und die Kraft, die aus genau diesem Unfertigen kommt – auf eine vorübergehende Weise zu bewahren. Schön wäre es deshalb, Sie selbst, die Leser, dächten dort, wo das Unfertige allzu offenbar ist, ein eigenes Fertiges hinzu. Bei einer Buchproduktion nennt man diesen Prozeß Lektorat; er ähnelt dem Prozeß einer Übersetzung oder besser, ich ziehe d i e s e n Ausdruck jedenfalls vor: Nachdichtung. Wer also wie Sie, Svarupa, sich offenbar derart in bestimmte Texte hineindenkt und -fühlt, d a r f sie auch korrigieren; und es wäre überhaupt nichts dagegen einzuwenden, stellten Sie Ihre eigene Nachdichtung oder Nachdichtungsideen an den jeweiligen Stellen hier ein. Es könnte sogar sein, daß sie mich überzeugen und ich das eine und/oder andere dann übernähme – nicht, weil ich mir von anderen meine Arbeit machen lassen wollte, sondern weil es mir sehr darum geht, mich dem Allgemeinen, über das ich >>>> hier (7.10 Uhr) schrieb, zu nähern. Dazu gehört dann tatsächlich die ‚andere Meinung‘.
Wegen fertiger Texte sei noch einmal auf die fiktionäre Website, und zwar >>>> nach dort verwiesen. Sowie auf >>>> meine Bücher.
Wenn ich fertige Texte lese, die mich bewegen, dann interessiert es mich sehr, was den Autor, Schriftsteller, oder Dichter dazu bewogen hat, diesen Text genau so zu formulieren, diese Wortwahl zu treffen, zu schreiben. So geht es mir auch, wenn ich Musik höre; mich interessiert – auch bei Komponisten – sehr der persönliche Anteil. Ich suche mir Informationen über diesen Menschen, über sein Leben und seine Werke. Grundlage meiner dann folgenden Empfindungen ist mein persönlich subjektives Gedankengut. Es ist meine Sicht, mein Empfinden, und meine mir eigene Interpretation des Geschriebenen oder Gehörten.
Hier ist sind Gedanken zu Schubert, den ich mal aufgeschrieben habe:
„Wenn ich Schubert höre, fühle ich Sehnsucht… eine ursächliche Sehnsucht, die in mir geklärt ist – und ein Gefühl von einer Sehnsucht, von der ich glaube, dass wir alle sie in uns haben, und unser Leben lang danach suchen. Es ist wie eine Spur von etwas Kennen, von etwas Wissen, von Umhüllung von Liebe, von Geborgenheit, und von Sehnsucht nach dieser Geborgenheit. Aber auch eine Sehnsucht nach dieser Art Traurigkeit, die schon wieder so traurig ist, dass sie Geborgenheit vermittelt. Auch Sehnsucht nach Echo?… nach reiner Liebe an sich?. Für mich trifft Schubert genau diesen Punkt, von seinem Schmerz an sich, seiner Verzweiflung – auch später über seine eigene Vergänglichkeit – seinen Entbehrungen und seinem Verzicht auf Erfüllung ganz abgesehen.
Als ich das Buch (es ist das Drehbuch) zum Film von Fritz Lehner „Mit meinen heißen Tränen“ (ja… ich habe es noch gebraucht kaufen können), las – habe ich mich wieder gefragt, was Schubert wohl durchlitten hat. Und dann frage ich mich: „Braucht es den Schmerz der Nichterfüllung, um so begnadet „Schaffen“ zu können?.
Ich will nicht für mich in Anspruch nehmen, dass ich Schubert verstehe – es gibt ständig Kritiker, Zuhörer oder Leser, die für sich in Anspruch nehmen, dass sie die Stücke des Autors oder des Komponisten besser verstehen als der Autor oder der Komponist selbst – aber ich glaube, ich kann Schubert hören“.
So gehe ich mit fertigen Texten und der fertigen Musik um – weil mir diese Möglichkeit so zur Verfügung steht. Mich interessiert immer der persönliche Anteil. Ihre Aussagen: „Man muss den Blick des Betrachters vom Persönlichen weglenken“ und „weil es mir sehr darum geht, mich dem Allgemeinen, über das ich hier (7.10 Uhr) schrieb, zu nähern“… die beschäftigen mich seit heute Früh.
Was ich gerade schade finde, ist, dass man so gut wie nie um die Augenblicke der Unfertigkeit weiß.
Ihre Worte:
„Der Reiz hier besteht darin, das Unfertige – und die Kraft, die aus genau diesem Unfertigen kommt – auf eine vorübergehende Weise zu bewahren“.
Man hat nicht oft Gelegenheit, die Kraft, die aus der Unfertigkeit eines Textes kommt, wahrzunehmen. Die Kraft, die aus der Unfertigkeit vorübergehend entsteht, ist für mich die gleiche, die aus der vorübergehenden Ungesichertheit und Bodenlosigkeit einer Situation entsteht. Es ist eine von allen Seiten her offene Energie, die ich als sehr zart, schutzlos, empfindlich – aber auch sehr pulsierend und lebend empfinde; für mich ist das genau der Ort, an dem ich mich finde (*Räusper* … mein persönlicher Anteil ist jetzt sehr hoch).
Wenn ich jetzt meine persönliche Sichtweise, meine Empfindungen und Gedanken in Form eines Textes zu einem noch unfertig Geschriebenen als meine persönliche „Fertigstellung“ hinzufügte; hätte ich Angst einzudringen, es in eine Richtung zu verändern, die dem Geschriebenen die Möglichkeit des Wandels nähme.
Die Breite des Grades, mir das Recht zu nehmen, meine Gedanken dazu beizutragen, ist für mich ziemlich schmal.
Ich glaube, dass man bei den Bamberger Elegien überhaupt kein Recht, ja nicht einmal Veranlassung hat, Gedanken beizutragen. (Obwohl ich das glaube ich selber schon getan habe.)
Beim Schaffen oder Schöpfen kann der Mensch immer nur still dabei stehen, vermutlich gilt das sogar für den Autor.
Wenn ich meine Gefühlsregungen dabei erforsche, dann wird es von einer Erinnerung an Ezra Pound getragen. Ich weiß nicht, wieso.
Bösartigerweise:)! muss ich hinzusetzen: so gut der Text über Schubert ist, mangelt ihm eine Erfahrung. Schubert muss man spielen, singen, musizieren – dann erst stirbt es sich noch ein bisschen mehr. Dann erst wird die Erlösung fühlbarer.
Singen Sie, Frau svarupa?
Jetzt habe ich eine Frage, Steppenhund, an Sie, die mich ganz plötzlich beschäftigt. Während ich hier herumsitze und überhaupt nicht in die Arbeit finde, den ganzen Tag über schon nicht (völlig seltene Momente für mich, der ich vor Ideen ja meist platze; deshalb, wahrscheinlich, machen mir die Momente allerdings auch überhaupt keine Angst, sondern hinterlassen sowas wie leere Stellen, in die man dann einfach hineinguckt und nichts mit ihnen anzufangen weiß. Also die Frage:)
Ich spiele kein Instrument, ich kann – offiziell – nicht singen, aber es ist mir bei einer mich berührenden Musik unmöglich, n i c h t zu singen, also mitzusingen. Das ist ein solcher Automatismus, daß ich etwa in der Oper sehr sehr aufpassen muß, nicht unversehens und für mich unmerklich mitzubrummen – es geschah oft, daß Partnerinnen, mit denen ich im Parkett saß, mir in die Seite stießen. Gilt das als musizieren a u c h? Wenn Sie jetzt lachen, nehm ich Ihnen das nicht krumm, ich find’s ja selbst etwas komisch: aber diese Frage kam mir spontan, als ich eben Ihre an Svarupa gerichtete Frage las. (Wenn ich für mich bin, tendiere ich dazu mitzudirigieren – mit bisweilen ausholenden Armbewegungen, die ich ebenfalls nicht merke. Eine langjährige Partnerin hat davon mal heimlich Fotos gemacht – ich arbeitete und merkte es nicht Und sowieso soll ich immer beim Arbeiten singen. Ein Freund, mit dem ich eine Zeit lang zusammenwohnte, ist – u.a. – deshalb ausgezogen. Wenn ich arbeite, scheint sich das nicht unterdrücken zu lassen, und ich merk’s dann auch nicht. „Es ist furchtbar“, klagte er, „du triffst nicht einen Ton!“ Meine Innenwahrnehmung scheint anders zu sein.)
@ANH: Da ich weiß, dass es hier Sitte ist, nach Möglichkeit die Dialoge offen zu halten, damit sie fließen können, versuche ich entsprechend zu antworten.
@Steppenhund: Es gibt einen Menschen, der mich diese Art Musik zu hören durch sein Klavierspiel gelehrt, mir stundenlang Schubert auf seinem Bösendorfer vorgespielt und mir gesagt hat: „Du bist die erste, die Schubert so wie ich versteht“. Es gibt einen Menschen, der weiß, wie gern ich singen würde und, dass ich viele Jahre in einem Kirchenchor im ersten Sopran gesungen habe, und weiß, warum ich heute nicht mehr singe. Der weiß, dass ich für mein Leben gern Klavier spielen gelernt hätte – es mir meine Mutter aber verweigerte. Der mir mit ganz viel Liebe eine Alternative aufgezeigt hat, nämlich die – sich die Musik von jemandem vorspielen zu lassen, den man versteht. Da dieser Mensch wüsste, wie gezielt mich eine solche Frage träfe, käme er erst gar nicht auf den Gedanken dieser Fragestellung an sich.
Es ist mir völlig klar, dass der, der selbst zu musizieren in der Lage ist, anders fühlt und auch anders hört. Das bedeutet aber nicht, dass der selbst musizierende Mensch mehr stirbt, als der hörende Mensch. Und warum wird die Erlösung oder das Sterben für den Menschen, der selbst musiziert, für ihn anders fühlbarer und warum darf er noch ein wenig anders und mehr sterben?… weil er durch die Möglichkeit selbst musizieren zu können, die aufkommenden Gefühle umformen und zum Ausdruck bringen kann. Diese Möglichkeit fehlt dem, der „nur“ hört, selbstverständlich. Ein Mail zu schreiben, um darüber diskutieren zu können, wäre eine Möglichkeit gewesen… für mich stellt sich die Frage nicht nach der Boshaftigkeit, sondern nach dem Wissen nicht nicht zu wissen.
O weh! (@ANH, @svarupa) O weh! Da bin ich gründlich missverstanden worden. Der Grund dafür ist natürlich zuerst beim Sender der Botschaft zu suchen. Ich sehe nicht jeden meiner Kommentare als unabhängigen Eintrag sondern gehe davon aus, dass er auf früher getätigten aufbauen kann.
Ich mag überheblich sein, aber so dumm überheblich zu geben würde ich mich scheuen. Die Implikation, dass nur der Musikant essentielle Tiefen in bestimmter Musik ausloten kann, könnte ich ja vielleicht noch argumentieren, doch ich könnte mir bereits selbst nicht mehr glauben.
Diesbezüglich hätte ich mir eben eher einen Widerspruch erwarten im Sinne von: man kann die Tode auch in der Malerei sterben, im Schreiben, in allem, was aus dem Menschen selbst herauskommt. Ich hätte klein beigegeben und mich gefreut, dass ich den erwarteten Widerspruch erwecken konnte.
Mag mich der Teufel geritten haben, doch wie kommt jemand dazu Schubert für sich zu beanspruchen, das ist MEIN Schubert, niemand sonst hat Anspruch darauf! Jetzt setze ich noch explizit einen Smiley auf den letzten Satz. Der ist ironisch gemeint.
@ANH
Ich muss ziemlich schmunzeln, denn das Unvermögen des Singens trifft mich in gleicher Form. Bis zu meinem Stimmbruch war ich in Chorgesang absolut sicher in Höhe und Stimmführung, danach kann ich keine Melodie richtig singen, selbst wenn ich sie mir richtig „vorhören“ kann. Genauso irritiere ich oft meine BegleiterInnen mit einem Mitsummen, dass für mich richtig klingt, aber grauenhaft daneben ist. Dass es so ist, weiß ich von Aufnahmen, die ich manchmal zu Übungszwecken vom Klavierspiel mache. Was ich da manchmal mitbrumme, ist schauderhaft.
Dass Sie ihre Musikalität in der Sprache ausleben, ist für mich deutlich sichtbar. Daher auch meine Hoffnung, dass sie mich in obigem Sinne zurechtweisen würden:)
@svarupa
Ich bin häufig Leuten begegnet, die echt bedauert haben, dass man sie ihrer Jugend nicht zum Musizieren zugelassen hätte. Eine Bekannte hegt heute noch den Traum, einmal Gitarre zu spielen. Sie hat sich eine zugelegt und schlägt manchmal ein paar Akkorde an. Sie hört sich an das Instrument an. Wenn sie aber mit ihren Toden und – was viel wichtiger ist – mit ihren Wiederauferstehungen – zu tun hat, malt sie sich die Empfindungen vom Leib. Sie ist nicht die einzige Bekannte, die im Malen ihre Freiheit gewinnt. Ich kann mich an ein ziemlich großes, hauptsächliches rotes Bild erinnern, von einer anderen Dame gemalt, dass ich zwar definitiv nicht mit Schubert in Verbindung bringen könnte, doch vielleicht mit einem La Valse von Ravel. Dieser Walzer endet ja auch mit einer Katastrophe. Schubert sehe ich in grün und braun, wobei das braune dann manchmal in tiefrot übergehen könnte, aber wahrscheinlicher wäre gelb oder sogar blau. Wobei ich die Tonarten Es-Dur bei der Klaviermusik von Schubert mit blau assoziiere würde, während die Cis-Dur bei Pfitzner oder Scrjabin eindeutig mit gold besetzt ist.
Beim zuletzt angetroffenen Franz Schmidt empfinde ich Ocker, Gold und Karminrot in allen Dichtegraden bis zu fast Schwarz. Es gibt kein Grün oder Blau. Das wäre hart und selbst im größten Schmerz läßt sich bei Schmidt Hoffnung und Schönheit heraushören.
Ich hoffe, dass die allgemeinen Ausführungen eine ausreichende Erklärung für meinen Kommentar darstellen. Löschen möchte ich ihn nicht, denn soviel Freiraum sollte es schon geben …
Aber nein! Lassen Sie Ihre Kommentare bloß stehen! Sie rühren an etwas, das auch in den Zusammenhängen Der Dschungel sehr wichtig ist – und es ist kein Problem, g a r kein Problem, wenn mitunter einmal jemand (wie auch ich selbst) ‚getroffen‘ wird. Wer den Finger auf Wunden legt, nimmt auch Narben die Chance, unsensibel zu werden. Was sie im mediznisch/physiologischen Sinn ja eigentlich sind. Das schützt zwar vor Schmerz, tut aber eben auch so, als wäre da ein Schnitt nicht gewesen, verfälscht also. Wenn man das mal (okay: grob-)metaphorisch sieht.
Daß Sie nicht ‚treffen‘ wollten, wird übrigens aus Ihrem Beitrag selbst klar. Jedenfalls Dschungellesern, von deren allermeisten es sich mit einigem Recht annehmen läßt, sie läsen genau.
Noch einmal metaphorisch:
Wunden hinterlassen Narben. Die Hände auf diese Narben zu legen, um sie zu verdecken und gleichzeitig so tun, als ob sie nicht da wären, ist Verleugnung dieser. Wenn ich sie ignoriere, nichts tue, und diese Narben nicht pflege, werden sie hart, brüchig, fangen wie ein Geschwür an zu wuchern und entwickeln sich zu einem weitreichenden Störfeld. Wenn man sich Mühe gibt, ihr Dasein bewusst ist, man sich die richtige Salbe sucht, um sie zu pflegen, sind für den Rest des Lebens diese Narben, aber sie werden nicht hart und brüchig, sie fangen nicht an zu wuchern, sondern sie werden weicher mit der Zeit, die Ränder glätten sich und nach einer Zeit hat man sogar den Mut, sie zu zeigen. Narbengewebe selbst ist meistens taub… es gibt auch Narben, da merkt man sehr oft, dass die Nervenenden, die auf den jeweils gegenüberliegenden Seiten der Narben liegen, die durch die erlittene Wunde getrennt wurden, über einen langen Zeitraum immer wieder zusammenwachsen wollen; durch das dazwischen liegende neu gebildete Gewebe geht das aber nicht mehr. Und da das direkt umliegende Gewebe einer Narbe deshalb wesentlich empfindlicher ist, als das normale noch umgebene und die Narbe selbst, können durch diesen Heilungsprozess mitunter ziemlich ambivalente Gefühle entstehen, die gleichzeitig sehr öffnen. Das ist ein ziemlich pulsierender und massiv aktiv lebender Zustand. Narben verändern die Richtung der Energie, sie drehen sie auch mal komplett um. Diese Umkehr der Energie ist somit fühlbarer, als der vorherige, noch unversehrte Energiefluss dieses Bereiches. Wenn es passiert, dass jemand einen Finger in die alte Wunde legt, fühlt es sich so an, als hätte eine Vogelspinne ihre Brennhaare abgeschossen.. da ist es – glaube ich – normal, dass man auch mal eine akute Abwehrreaktion zeigt, um diese Narbe zu schützen zu wollen. Insgesamt haben die Narben ihr Gutes, bei entsprechendem Umgang fängt die neue Energierichtung an, in sich selbst zu fließen. Ich weiß, dass ich genau ohne diesen offenen und schutzlosen Zustand nicht mehr das Gefühl hätte, dass ich lebe.
@Steppenhund: Ich denke und hoffe, dass Sie jetzt auch meine Reaktion nachvollziehen können. Im Übrigen werde ich morgen wieder Farbe und Leinwand kaufen. Allein die Aufzählung Ocker, Gold und Karminrot in allen Dichtegraden bis zu fast Schwarz, ergibt für mich schon ein fast fertiges Bild, unter anderem auch, weil der zuletzt angetroffene Franz Schmidt gelebt wurde. An einigen Stellen werde ich so gestalten, dass die Farben im Verlauf in Verbindung mit Weiß Licht erscheinen lassen.