An das Kassen- und Steueramt (Amt 21) der Stadt Frankfurt am Main.

FFM.2006.074791.2

Sehr geehrte Frau S.,
sehr geehrter Herr S.,

ich beziehe mich auf die o. a. Vollstreckungsankündigung, sowie auf mein Telefonat mit Ihnen, Frau S., am Freitag vor einer Woche, sowie mit Ihnen, Herr S., vor Ihrem Urlaub vor einem Monat, worin Sie mich baten, Ihnen detailliert meine finanzielle Situation zu beschreiben. Das hatte ich versäumt und will es nun nachholen.

Ich lebe derzeit von einem Präsenzstipendium der Villa Concordia in Bamberg als Stipendiat für Literatur des Bayerischen Staates. Das Stipendium geht vom 1. April dieses Jahres bis zum 31. März 2007 und hat die Höhe von 1200 Euro monatlich, von denen monatlich zudem 50 Euro als sozusagen Mietkaution einbehalten werden und erst mit Ende des Stipendiums zur Auszahlung kommen. Nach dem 31. März 2007 werde ich wieder ganz nach Berlin zurückgehen. Schon deshalb muß ich die Berliner Wohnung halten. Zum anderen muß ich das tun, weil ich einen sechsjährigen Jungen habe, für den ich zusammen mit seiner Mutter sorgeberechtigt und -pflichtig bin und der in Berlin in die Schule geht. (…) Zu diesem Zweck hat mir ein Freund eine Bahncard 100 vorfinanziert, deren Kosten von 3300 Euro ich in monatlichen Raten ebenfalls von dem Stipendium bezahle. O h n e diese Bahncard lägen meine Fahrtkosten aber bereits bei über 5800 Euro jährlich, statt nun bei 3300 Euro. Um meiner Sorgepflicht väterlich nachzukommen, m u ß ich wöchentlich heimfahren; manchmal fahre ich sogar öfter als einmal wöchentlich, etwa weil schulische Belange zu regeln sind. Zugleich ist aber meine Bamberger Präsenzpflicht zu beachten, wenn ich das Stipendium nicht gefährden will.
(…) Ich lebe mit meinem Jungen in Berlin in meiner so genannten Kinderwohnung, die ich mit einem anderen Vater und seinem an den Wochenende bei ihm wohnenden Sohn teile und die zwei Zimmer, eine Küche und ein Bad hat, nicht mehr. Hinzu habe ich ein gesondertes Zimmer auf dem Prenzlauer Berg, meine „Arbeitswohnung“, welches eine Art Atelier von etwa 20 qm incl. Naßzelle und kleiner Küche ist; dort befindet sich meine Bibliothek, sowie befinden sich dort die Geräte für meine Rundfunkarbeit. Der Betrag, den ich dafür monatlich entrichte, beträgt 150 Euro; Vergleichbares werde ich ganz sicher nicht mehr finden, deshalb halte ich an dieser Arbeitswohnung ganz unbedingt fest. Die Mietkosten dieser Arbeitswohnung wurden für den Zeitraum meines Bamberger Stipendiums von einigen meiner Leser (!!) für insgesamt elf Monate vorausbezahlt; deshalb erwähne ich die Arbeitswohnung hier nur und bringe sie rechnerisch nicht in Anschlag.
Meine Mietkosten insgesamt belaufen sich incl. Strom und Gas derzeit auf rund 300 Euro. Hinzu kommen Telefon-, bzw. Internetkosten. Da ich, wie Sie unter http://albannikolaiherbst.de sowie http://albannikolaiherbst.twoday.net sehen können, eine sehr starke Netzpräsenz habe, die zu einem unterdessen auch an Universitäten vieldiskutierten Teil meiner künstlerischen Arbeit geworden ist, muß ich während der Bamberger Zeit z w e i solche Anschlüsse finanzieren. Die Kosten dafür belaufen sich (Flatrates) auf insgesamt ungefähr 100 Euro, hinzu kommen Telefonkosten.
Damit wäre ich bei bereits 450 Euro Kosten monatlich, zuzüglich 300 Euro-Raten wegen der Bahncard 100, also bei 750 Euro.

Zu diesen addieren sich als Fixkosten monatlich die folgenden (rundgerechneten) Belastungen:

Krankenkasse (KSK) 150,–
Versicherungen 30,–
Ratenzahlungen aus Schulden-Raten (BAFÖG-Rückzahlung, Steuern, Bankschulden) 250,–
Kosten für die Ausbildung meinesJungen (Musikschule, Schulaufwendungen, Klassenfahrten, Kleidung, Versorgung usw.) 250,–
Ständige berufliche Aufwendungen (CD-Roms, Computer, Papier u.ä.) 200,–
Telefon 100,–
Krankenaufwendungen (Eigenanteile, Brille, bzw. Contactlinsen usw.) 50,–
zusammen mithin 1030,–

Mit den 450,– für Miete und Internet, sowie den 300,– für die Bahncard-Abzahlung liege ich damit bei

1780,– Euro fester Monatsbelastung,
habe also bereits v o r Steuern eine monatliche Mindereinnahme von 380,– Euro. Hinzukommt die Verpflichtung einer Umsatzsteuerzahlung für 2004 an das Finanzamt Berlin von ungefähr 800 Euro; der Steuerbescheid liegt aber noch nicht vor. Ich hatte diesbezüglich eine Steuerprüfung, da es dem Finanzamt Berlin offenbar ebenso schleierhaft wie mir selbst war, wie ich eigentlich existiere.
Tatsächlich gleiche ich die Mindereinnahmen einigermaßen über Lesungen und Rundfunkarbeiten aus. Von letzteren hatte ich in diesem Jahr drei, für die eine – DAS WUNDER VON SAN MICHELE (Deutschlandfunk Köln) – erhielt ich incl. Regiehonorar 5000,–, für die andere – DIE VERGESSENE DICHTUNG DES CARL JOHANNES VERBEEN (Südwestrundfunk) – 6000,–. Die dritte Arbeit – PETERSSON-REQUIEM – habe ich in der letzten Woche für den Hessischen Rundfunk abgeschlossen; sie wird am 31. Oktober um 21.30 Uhr ausgestrahlt werden. Für sie – und die fünf Wochen unausgesetzter Arbeit, während der Produktion von morgens um sechs bis nachts um elf oder gar eins – erhalte ich tatsächlich nur XXXX, weil der Hessische Rundfunk für Neue-Musik-Features nicht mehr zahlt und schon gar nicht zeitliche extra-Aufwendungen entgilt, so notwendig sie aus künstlerischen Gründen immer auch sein mögen. Die Arbeit war mir aber so wichtig, daß ich sie dennoch und auf jeden Fall machen mußte. Zusammen habe ich also Zusatzeinnahmen von 11300 Euro gehabt, vor Steuern (von allem sind 16 % Umsatzsteuer abzurechnen, die aber den Funkanstalten nicht als Vorsteuer berechnet werden kann); dazu kommen aus Lesungen noch einmal 1000,– Euro, so daß sich incl. Stipendium bei

monatlichen Einnahmen von 2091, 67
und monatlich fixen Ausgaben von 1780,–
vor Steuern monatliche Einnahmen von 311,67

ergeben, wovon alle übrigen Ausgaben zu bestreiten sind, also etwa Reparaturkosten an den Geräten, Bildungsaufwendungen, Bücher, und sowieso mein Lebensunterhalt. Der Betrag liegt, wie Sie sehen, unter der Pfändungsgrenze. Jede unvorhergesehene Ausgabe – zum Beispiel arbeite ich an einem Laptop, dessen Tasten teils bereits mit Tesafilm geklebt sind – kann mich ökonomisch völlig ins Schleudern bringen und hat das immer wieder auch getan. Ohne gelegentliche Zuwendungen von Freunden wäre ich längst verloren gewesen.

Dabei arbeite ich hart. Mein Arbeitstag beginnt morgens um halb fünf und hört abends nicht selten erst nach 22 Uhr auf. Es ist dabei ein unterdessen riesiges Werk entstanden – siehe unter http://www.albannikolaiherbst.de das Werkverzeichnis -, 15 Bücher sind es unterdessen (zwei weitere werden im nächsten Jahr erscheinen), 24 Hörstücke, seit Mai auch fast achtzig Gedichte, darunter die in Arbeit befindlichen Bamberger Elegien, welches in Hexameter gefaßte Langgedichte sind, die bereits ins Französische übersetzt werden. Mein Werk wird derzeit an wenigstens fünf Universitäten als besonderer Teil einer modernen Poetologie gelehrt. Es ist dabei zwar heftig umstritten (was begründet, daß es zu keinem unmittelbaren ökonomischen Erfolg geführt hat bislang), es gibt heftige und machtvolle Gegner meiner Arbeit, aber sie ist auch mit renommierten Preisen ausgezeichnet worden, findet sich in mehreren Literaturlexika an maßgeblicher Stelle und hat unterdessen sogar Erwähnung im Brockhaus gefunden. Insofern besteht absolut kein Grund, nicht daran weiterzuarbeiten. Ich stehe in der entschiedenen Tradition von Kunstauffassungen, die in ihrer Zeit ebenfalls umstritten bis abgelehnt, aber gelegentlich bepriesen wurden und ihre Verfasser haben finanziell sehr darben lassen. Das historische Ergebnis aber gibt ihnen recht.

(…) dann nämlich wird um den Bezug einer größeren Wohnung nicht herumzukommen sein. Wie ich das finanziell hinbekommen werde, steht noch in den Sternen; aber ich kam ja auch bislang immer durch und hab eigentlich nur Zuversicht. Auch wenn dazu immer wieder solche Schreiben wie dieses hier notwendig sind. Das begleitet mich, der ich unterdessen 51 Jahre alt bin, seit über dreißig Jahren. Mit Ausnahme meiner Brokerzeit, aus der die hier verhandelte Steuerschuld stammt.

Ich bitte Sie deshalb um Aufhebung der Vollstreckung und um weitere, möglichst zinsfreie Stundung des Schuldbetrages. Würde vollstreckt, etwa durch Pfändung eines Kontos, auf dem ohnedies nur ist, was unbedingt zum Leben erforderlich ist, müßte ich schon wegen meines Jungen das Bamberger Stipendium aufgeben; damit fiele dann der derzeitige Hauptteil meiner Einnahmen in sich zusammen.

Ihr
ANH/AvR

P.S.: Daß ich nicht, wie telefonisch angekündigt, diesen Brief bereits letzte Woche schrieb, lag an der sehr engen, sehr dichten Produktion des Pettersson-Stücks; ich saß wirklich von morgens um sechs bis in die Nacht an den Aufnahmen und dem Schnitt und hatte nicht einmal Luft, Frankfurter Freunde auch nur für einen Kaffee zu treffen. Künstlerische Produktionswirklichkeit i s t so. Ich hab mir das selbst ausgesucht und klage nicht darüber, sondern schreibe es Ihnen allein, um zu e r k l ä r e n.

4 thoughts on “An das Kassen- und Steueramt (Amt 21) der Stadt Frankfurt am Main.

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    1. Liebe Lederhügel, ausgerechnet unter d i e s e m Beitrag finde ich diese Ihre gespamte Werbung voll einer im guten Sinne Komik, die zumal deutlich macht, wie sehr Sie meinen Roman >>>> “Wolpertinger oder Das Blau” nicht nur ebenfalls für hochgradig komisch halten, zu Recht, meine ich, – sondern Sie teilen meinen Gläubigern mit, wie, indem sie an Hosen sparen, sie ihre durch mich entstehenden wenn nicht Verluste, so doch verzögerten Einnahmen konfektionell ausgleichen können. Für diese geradezu schiedsrichterliche Intervention möchte ich Ihre Werbung, so unerfragt sie ist, sehr gerne stehenlassen und werde das tun.
      Hochachtungsvoll
      ANH
      Herbst & Deters Fiktionäre

    2. Veloursleder gehört einfach zu einer Lederhose. Glattleder etc. passt einfach überhaupt nicht. Und was auch wirklich wichtig ist: Haferlschuhe.
      Daran erkennt man immer die ganzen Touris, die zwar Lederhose tragen, dazu dann aber Stoffturnschuhe oder ähnliches… Das geht gar nicht!

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