Die Polizei und das Fahrrad. Berlin braucht Geld.

Also.
Berlin braucht Geld. Ich muß es wiederholen.
Klar.
Deshalb nimmt es nicht Wunder, daß als allererste Maßnahme Fahrradrazzien ausgerufen werden. Das macht man so in dieser Stadt. Schon, als die Geliebte und ich den Jungen zur Schule brachten, sahen wir eine Art Miniatur-Aufmärsche von Schutzpolizisten sich beidseits der Schönhauser/Ecke Eberswalder seitlich der Fahrradwege postieren. Auf der Rückfahrt von der Schule war es unterdessen hell geworden, ich hatte meine batteriebetriebene Leuchtanlage abgesteckt und radelte nun frohgemut Richtung Kinderwohnung. Hinterm Übergang Danziger werd ich gestoppt, fünf Polizisten in Gruppe, es nieselt, ich denk mir: so richtig Lust haben die auch nicht, also hell die mal stimmungsmäßig etwas auf.
Es entspinnt sich folgender Dialog (und denken Sie sich bitte die Geräusche des morgendlichen Stoßverkehrs an einer großen Dreierkreuzung mit hochgeführter U-Bahn und mehreren passierenden Trams dazu):
„Ah, guten Morgen. Das hab ich mir schon gedacht, daß Sie mich anhalten werden.“ Ich lächle.
„Wie: Sie haben sich das gedacht? Wieso haben Sie sich das gedacht?“
„Ich hab meinen Jungen zur Schule gebracht, da sah ich Sie schon stehen mit Ihren Kellen und so strahlend weiß in dem Anti-Regen-Plastik. Also bin ich extra hierlang zurückgefahren. Ich wollt mal sehen, ob ich richtig kombiniert habe.“
Er, irritiert: „Und Sie wissen, weshalb wir Sie anhalten?“
„Aber klar. Sie wollen meine Lichtanlage kontrollieren.“
„Und wo ist die?“
„In meiner Manteltasche. Fein, daß ich sie endlich mal zeigen darf.“(„Ich fahr sonst lieber o h n e Licht“ zu sagen, erspar ich mir, obwohl’s ganz vorn auf der Zunge liegt; aber es stimmte nicht und wäre ein rein rhetorischer Spaß gewesen.)
„Aber Sie müssen eine Dynamo-Anlage haben, das wissen Sie.“
„Nö, weiß ich nicht. Ich hab doch eine andere, sehr viel hellere.“
„Das ist egal. Die Dynamo-Anlage ist Vorschrift.“
Damit war der Absurdität jede Pforte geöffnet.
„Aber man sieht mich mit der anderen Anlage viel besser.“
„Darauf kommt es nicht an. Es kommt darauf an, daß Sie die Vorschriften befolgen.“
„Aber die Vorschriften sind dazu da, daß man gesehen wird und niemanden gefährdet.“
„Es ist egal, wozu die Vorschriften s i n d. Wichtig ist, daß sie eingehalten werden.“
„Das ist mir nicht nachvollziehbar.“
„Auch darauf kommt es nicht an. H a b e n Sie eine Dynamo-Anlage? Ah ja, Sie haben eine.“
„Schon, aber sie funktioniert nicht. Deshalb hab ich ja die a n d e r e Lichtanlage.“
„Die ist nur genehmigt für den Fall, daß die Dynamo-Anlage ausfällt.“
„Na eben, sie i s t ja ausgefallen. Wollen Sie mal sehen…ähm… n i c h t sehen?“
Immerhin bleibt der Mann genau so freundlich wie ich selbst es bleibe. Alles ist ein morgendlicher pas à deux im Herbstgeniesel. Der Mann hat schlechte Zähne, seh ich, und folgere: Unterschicht, seit dreißig Jahren schiebt der arme Kerl Dienst auf der Straße, also b l e i b e gut zu ihm.
„Sehen Sie, funktioniert nicht.“
„Dann müssen Sie aber jetzt Ihr anderes Licht aufstecken.“
„Aber wieso? Es ist längst hell.“
„Die Morgenzeit gilt als Dämmerung. Auch in der Dämmerung ist eine Lichtanlage einzuschalten.“
„Auch wenn es hell ist?“
„Es ist noch nicht t a g hell.“
„Na gut, das wußte ich nicht, dann schalte ich sie mal ein.“
„Aber Sie müssen auch den Dynamo verwenden.“
„Wie? Der funktioniert doch nicht… also die Glühlampe in der Fahrradleuchte funktioniert nicht.“
„Das ist egal. Sie müssen, das ist Vorschrift, mit dem Dynamo fahren.“
„Auch wenn das nichts bringt?“
„Wenn das nichts bringt, müssen Sie eine zusätzliche Lichtanlage haben.“
„Hab ich ja.“
„Aber auch einschalten.“
„Wenn es hell ist.“
„Während der Dämmerung. Und bei Nacht.“
„Klar, bei Nacht. Aber es ist Tag.“
„Dämmerung.“
„Na gut.“
„Und der Dynamo muß laufen.“
„Auch wenn er kein Licht erzeugt?“
„Auch wenn er kein Licht erzeugt.“
„Das h a t was. Stimmt.“
„Und Sie wissen jederzeit, daß Sie die Dynamo-Anlage reparieren müssen.“
„Da haben Sie ebenfalls recht. Man vergeudet ja nicht gerne Kraft.“
„Eben. Und nun fahren Sie bitte beleuchtet weiter.“
„Gerne, tu ich. Ich wünsch Ihnen einen guten Tag.“
Daß er in unsrem Dialog ganz auf das Verwarnungsgeld vergaß, das er nach Berliner Kassenlage einzutreiben hatte, fällt mir dann erst auf der Weiterfahrt auf, – ob ihm selbst das klargeworden ist, entzieht sich, darob skeptisch, meiner Kenntnis. Aber vielleicht war er bloß, ganz wie ich, gütig gestimmt. So daß wir freundlich Danke sagen.

10 thoughts on “Die Polizei und das Fahrrad. Berlin braucht Geld.

  1. Muhahahaaaaa! Im besten Sinne kafkaesk, puristisch kafkaesk.
    Ich hatte mal eine ganz ähnliches Gespräch mit einem Polizisten, weil ich angeblich am Stopsignal nicht angehalten hatte. “Anhalten” konnte man das in der Tat nicht nennen, aber es war weit und breit kein Mensch und kein Vehikel auf der übersichtlichen Kreuzung (den Polizisten im Hinterhalt sah ich ja erst nachher) und vor allem hatte ich kurz mit dem Fuss den Boden angetippt. “Fuss auf den Boden” galt als DAS Kriterium der Polizei für das Anhalten mit dem Fahrrad. Ja aber, ja aber, ja aber. Ich musste 10 Franken Busse bezahlen (damals wars noch erschwinglich, vernünftig Rad zu fahren), liess mir jedoch einen Einzahlungsschein ausfüllen und zahlte nachher nur 9.95 ein mit einem Gruss an den dienstbeflissenen Polizisten. Nichts geschah. Heute würde man vermutlich betrieben.

  2. Licht am Fahrrad Das wäre doch mal eine hübsche Glosse für eine Qualitätszeitung. Wenn man am Anfang die alles überragende Persönlichkeit des Autors etwas zurücknimmt und am Ende die Lamentiererei, ein richtig witziger Beitrag zum Sparwahn, der längst in organisierte Wegelagererei übergegangen ist. Ich habe auch gerade einen Strafzettel bezahlt, weil ich in einem winzigen Dorf im Kreis Halberstadt in einer Tempo-30-Zone mit 36 km/h geblitzt wurde.

    1. In diesem Geschehen alles zu überragen… …ergibt sich, man kann da gar nichts tun, und es erfaßt sogar die Persönlichkeit eines Autors… jedes, und das will was heißen.
      Wo allerdings ‘lamentiert’ worden sei, ist ihm unklar. Ob es möglich ist, daß Sie ein Wort falsch verwenden?

  3. recht so, pausenbrot! … das waren 20% zuviel.

    im interesse der allgemeinheit
    sollten wir da kollektiv kein
    auge zudrücken.

  4. Schlechte Zähne = Unterschicht? Ist das so? Ich sehe täglich Politiker im Fernsehen, die auch sehr schlechte Zähne haben (Riester zum Beispiel, auch wenn man den nicht mehr im Fernsehen sieht). Und Schriftsteller, die haben doch oft auch sehr schlechte Zähne. Grass zum Beispiel. Aber der ist auch alt. Aber wie hier leichtfertig der Begriff Unterschicht gewählt wird, ist doch unschön, oder? Zähne sagen gar nichts über die Zugehörigkeit zu einer Klasse aus.

    1. Zähne sind ein Indiz. Kein Beweis. Das ist wahr. Doch bei schlechten Zähnen fehlte oft – früher – das Geld für den Zahnarzt. Jeder, der die sog. Dritte Welt bereist hat, kennt das. Wobei ich zugestehe, daß ich den Begriff “Unterschicht” hier sehr bewußt und bös-ironisch gewählt habe. Daß das moralisch nicht korrekt ist, weiß ich. Und will das auch nicht sein.

  5. Schichtwechsel ich hab sehr gute Zähne – ich gehöre dadurch zur Oberschicht!?*

    Nette Geschichte mit einem semantisch-dynamischen Protagonisten.

    *Ihre Ironie ist mir nicht entgangen.

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