Kunst-Opfer. ARGO-ÜA (7). Abermals Rückschluß zu Paglia. Thetis. Anderswelt. Paglia ff.

8.13 Uhr:
Während ich gerade die THETIS-Seiten 599 ff. lese – die Kinderopfer, diese ganze mythische Härte und Brutalität, die das Buch nun bekommen hat, die Rücksichtslosigkeit, ja Sturheit, mit der sich der Mythos in THETIS wieder in sein grausames Recht setzt und >>>> einfach alles wegwischt, was an Humanität und Aufklärung war (wegwischt durch die Konstruktion und ihre logische Folgerichtigkeit, die kein humanitäres Gewolltes zuläßt) -, während ich das also wiederlese und durchaus mit unbehaglichem Gefühl vor dieser nahezu Naturkraft, wird mir die Ablehnung klar, die dieses Buch a u c h erfahren hat, das tatsächlich Skandalöse, das in ihm liegt und das es evoziert – zumal, wenn ich mitbedenke, daß sich zeitgleich zu seiner Entstehung auf dem Balkan ein Völkermorden sondergleichen zugetragen hat, das, wenn man es symbolisch betrachtet, genau das bestätigt, was THETIS erzählt… was THETIS in den Ostparts des Buches erzählt. Und ich verstehe die Gegnerschaft. Man möchte sich sogar auf ihre Seite schlagen, aber das wäre grundfalsch, ja verhängnisvoll:

Kunst ist ein Opferzusammenhang, der die ihm eigene Aggressivität sowohl gegen den Künstler als auch gegen das Dargestellte richtet. Nietzsche sagt: „Fast alles, was wir ‚höhere Kultur’ nennen, beruht auf der Vergeistigung und Vertiefung der Grausamkeit.“ Die unablässigen Morde und Katastrophen in der Literatur sind fürs betrachtende Genießen da, nicht zur moralischen Erbauung. Ihr Status als Dichtung, ihre Entrückung in einen heiligen Bezirk, erhöht unser Vergnügen, weil dadurch sichergestellt ist, daß Betrachtung nicht in Handlung umschlagen kann. Kein Aufschrei eines mitleidigen Zuschauers kann an der kalten Unaufhaltsamkeit jenes hieratischen Rituals etwas ändern, das jedes Mal wieder seinen Lauf nimmt.
Paglia, 93/94.

Der für die aufgeklärte, moderne Gesellschaft in THETIS sich figurierende Skandal besteht eben darin, daß nur allzu deutlich ist, daß sich das ‚hieratische Ritual’ zugleich in der Wirklichkeit zuträgt – und zwar n i c h t ritual und in aller Ambivalenz. Zugleich spielt THETIS besonders in der Figur des Odysseus die Fragestellungen durch, denen sich Terroristen stellen müssen – und zwar in Nähe, nicht in immer schon von vornherein formulierter Abwehr. THETIS poetisiert diese Fragestellungen und konfrontiert Moral mit Moral. Damit nimmt THETIS gewissermaßen die Aufklärung zurück und fokussiert die Geschehen nicht als von Individuen bestimmte gesellschaftliche Prozesse, sondern als u n t e r denen wirkende, sich jedem moralisch-gestaltenden Zugriff entziehende, nahezu naturhaft (naturgesetzlich) begründete Prozesse. Denen das Mythische nicht etwa einen Sinn, wohl aber eine sinnliche Form gibt.
Mir ist das, ich sagte es schon, selber unangenehm. Aber die Bewegung entsprang dem Text, und ihm ausschließlich hatte und habe ich zu folgen. Es wäre zensiert und also sich correctly in die Erzähltasche gelogen, hier etwas auch nur abzumildern. Man machte sich zwar Freunde, aber täuschte über Wahrheit hinweg.

[Poetologie.]

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