Ich hatte dann also >>>> d o c h geduscht und mich pfleglich gekleidet, sodann sah ich mir die Wegbeschreibung beim >>>> deutschen Stadtplandienst an und radelte nach Verlassen der Villa los. Der Stephansberg ist, besonders wenn man die enge Straße „Oberer Stephansberg“ nimmt, eine Herausforderung für die Oberschenkel, und es versetzte mich in eine leicht berauschte Stimmung, daß ich sie bestand. Oben ward’s dann so leicht mit dem Bergauf’chen und Bergab’chen, daß ich vor lauter Freude an der linken Einmündung der gesuchten Straße vorbeifuhr und erst einmal am Wald ankam. So daß ich umkehren mußte. Aber ich hatte viel Zeit, die Luft war diesig-frisch, der Verkehr mäßig und der Handwerker, der gerade in einer Siedlung seinen Kasten-Renault belud und den ich nach dem Weg fragte, ausgesprochen freundlich. So kam ich denn immer noch viel zu früh bei dem Gerichtsvollzieher an.
Er hat seine Amtsstube im ersten Stock eines Zweifamilienhauses und öffnete, nachdem mein Fahrrad in der Auffahrt geparkt und angeschlossen war, nach einer Verzögerung von vielleicht anderthalb Minuten – – zum Betätigen der Wohnungschelle gerechnet. Ich schritt die enge Holztreppe hinauf, Herr *. stand in der Tür, hochgewachsen, aber vorgebeugt, das lange, doch schüttere Haar hinten zu einem Schwanz gebunden, wie coupierte Pferde ihn haben, unrasiert, in einer Jeans, deren Gesäßpartie bis drittels in den Oberschenkel hängt; einen Pullover hatte er, glaube ich, an, vielleicht noch eine Weste darüber. Eine große schmale, gebogene Nase, die markant wäre, vermittelte nicht auch sie den Eindruck von eben so großer Taurigkeit wie der Mann selbst. Man möchte gar nicht laut reden, um ihm nicht wehzutun; so gestoßen wirkt der Mensch, so melancholisch und, ja, eigentlich erschüttert. Ich hätte, wäre alles nicht von so existentieller Dringlichkeit gewesen, annehmen können, es sei er, nicht ich, der nun den Offenbarungseid zu leisten habe. Anders ausgedrückt, war ich für ihn, für seinen Character und für die Situation, viel zu guter Laune.
Ich reichte ihm die Hand. Weich legte sich die seine hinein. Dann führte er mich in jene Amtsstube, die eine Seitenkammer der Privatwohnung ist: Schreibtisch, ein Kopierer, kein Computer – seltsam, dachte ich – und die vielen vielen Regale vollgestopft mit Stoß auf Stoß abgelegten Papieren und handbeschrifteten Leitz-Ordnern. Es war, als wäre ich aus der Welt in eine Vergangenheit aus Amtsstücken hineingetreten, der selbst Kafkas überhöhende Fantastik fehlt, sondern die rein nüchtern ist und zugleich in einen selbstvergessenen Schlummer gefallen, worin Herr *. als mindestens ebenso vergessener Archivar unbemerkt vor sich hinlebt.
Er wies mir den Holzstuhl an, der neben die rechte Schmalseite des Schreibtisches gestellt ist und auf der zum Raum schauenden Sitzfläche ein flaches Kiss’chen hat. Dann ging er mit mir das vorbereitete Formular durch, Punkt für Punkt, wobei er stand (es gibt ja nur den einen Stuhl in der Kammer) und ich deshalb begriff, weshalb sich seine Gestalt immer so vorbeugt. Das liegt gar nicht an der Körpergröße, sondern ist aus seiner Arbeit in ihn hineingewachsen.
Während wir nun die Punkte besprachen, sog ich den staubigen Raum für immer in meine Eidetik. Herr *. wollte wissen, was die >>> KSK ist, und ihre Anschrift nachtragen; außerdem interessierten ihn meine Rentenansprüche bei der BfA; doch konnte ich ihm darüber aus Gründen des Desinteresses keine Auskunft geben. Die letzten beiden Fragebogen, die man mir von dort zugeschickt hat, habe ich weggeworfen, weil ich für solchen Formularkram wirklich keine Zeit erübrigen mag und sowieso füglich annehmen darf, daß ich von da kaum was bekommen werde. Das habe ich Herrn *. so auch gesagt und: daß ich mich überhaupt weigere, Formulare auszufüllen, weil sie einen nämlich depressiv machen (eine gemeine Bemerkung ihm gegenüber, aber er hat es, glaub ich, sowieso nicht verstanden) und die Produktivität stören. Das hier sei, sagte ich, die absolute Ausnahme, und ich käme ihr auch nur nach, weil ich nicht verhaftet werden wolle, Haft sei tatsächlich n o c h schlimmer, als Formulare auszufüllen; damit sei ich, sagte ich, erpreßbar. Aber wirklich nur damit. Deswegen müsse ich ja auch gleich noch zum Stadtkämmerer, weil der einen Beuge-Haftbefehl gegen mich habe.
Kann sein, daß ich Herrn *.’s Weltbild nicht entsprach. Andererseits war er wirklich sensibel, auch wenn er versuchte, die ihm innewohnende Amtsgewalt doch wenigstens ansatzweise ins falbe Licht der Kammer zu rücken. Außerdem hat er ungewöhnlich schöne Hände, das machte mich ihm sowieso gewogen. Als ich darüber so hinsonn, öffnete sich die Tür und – wahrscheinlich – seine Frau – oder Mutter – schaute mit dem tragbaren Telefon herein, weil jemand eine Kontoauskunft brauche und sie, die Frau, den Zettel verlegt habe, auf dem die Nummer stehe.
Herrn *. gefiel diese Störung nicht, aber was sollte er tun? Nun begann er, das Telefon in der Hand, abgeheftete Kontoauszüge aus den Akten zu ziehen, sie zu durchblättern, wobei er „Moment“ ins Telefon sagte und das Gerätchen beiseitelegte, um weiterzublättern. Woraufhin wieder die Frau erschien und mitteilte, sie habe den Zettel nun d o c h gefunden. Einen Augenblick flog über Herrn M.’s Melancholie der schnelle Schatten der Grantigigkeit sowie resignativer Ergebung.
„Entschuldigen Sie“, sagte er, als die Frau unter Mitnahme des tragbaren Telefons die Tür wieder geschlossen hatte. „Aber das macht doch nichts“, sagte ich, weil ich diese Unterbrechung tatsächlich genoß; schließlich erlaubte sie mir, Einblicke in fremder Leute Sozialstrukturen zu nehmen.
So schafften wir es langsam auf Punkt 23, in dem es um gepfändete und zur Sicherheit abgetretene Ansprüche geht und gingen dann zu dem Fragebogen für Gewerebetreibende über. Nun b i n ich fiskalisch sowas nicht, aber an Freiberufler, vor allem an Künstler hat das Gesetz nicht gedacht; deshalb hatte ich d e n ausgefüllt. Das mit der Büroeinrichtung wird Herrn *. vertraut vorgekommen sein, da hatte er keine Fragen. Aber wegen der >>>> Lesungen im März.
„Das müssen Sie mir genau spezifizieren, wer Ihnen den Auftrag erteilt hat und unter welcher Anschrift er zu erreichen ist.“ „Ähm“, sagte ich, „also das etwa mit der Rotarier-Lesung…“ „Die haben Ihren Sitz in Fankfurt.“ „Sie machen sich da ein falsches Bild. Sehen Sie, die Lesung findet vor den Rotariern in der Villa Concordia statt, und bezahlt wird man sozusagen aus der Clubkasse, die für gemeinsame Unternehmungen wie z.B. Ausflüge in die Würzburger Residenz zusammengesammelt wird, nicht etwa aus dem Vermögen des Clubs. Sondern jeder, der an der Lesung teilnimmt, gibt sozusagen 10 Euro… und das wollen Sie jetzt jedem dieser armen Leute – und noch v o r der Lesung – wegpfänden?“ „Ja, dann sind da aber doch gar keine regelmäßigen Einnahmen.“ „Selbstverständlich sind sie das nicht. Das gibt es nicht für Künstler: regelmäßige Einnahmen.“ In einer Form irritiert, von der ich fürchte, daß sie ihn dauerhaft traumautisieren könnte, sah er mich da an; ich hoffe tief, nicht der Grund einer zukünftigen Psychosomatose geworden zu sein. „Ja-und-wovon leben Sie?“ „Das sehen Sie doch.. hier, schaun Sie. Deshalb doch die dauernd geplatzten Kredite.“
Dieses Argument überzeugte ihn derart tief, daß er insgesamt von weiteren Fragen absah. Und mich bat, nunmehr zu unterzeichnen. Was ich, wie Sie hier sehen können, tat.
Wohlgemut verabschiedeten wir uns; allerdings bat ich vorher noch darum, eine Kopie zu bekommen. Die fertigte er mir „gerne“, wie er sagte, und, muß i c h sagen, sorgsam an. Ich zog mir wieder den Mantel über, gab ihm die Hand und vondannte.
Versuchung Wunderbar. Ich bin geneigt einen Offenbarungseid abzugeben.
Nur, ob ich dann auch an einen solchen Menschen gerate ? Und, weil ich kein Künstler bin, ist mir das Risiko zu hoch.
Eine Frage noch. Kann man denn jetzt gratulieren ?
Fatal… Ein Stück ‚Schelmenroman‘, aber die Lektüre bleibt doch im Hals stecken.
‚Anders‘ wär nämlich gut!
Versuch einer ….. BILDBESCHREIBUNG
Geld und Adel Lieber Alban,
ich gehöre zu den wenigen Menschen, die das Privileg haben, von sich behaupten zu können, in den 80er Jahren im Schwitzkasten von Alban Nicolai Herbst gelegen zu haben: Mit dieser drastischen Demonstration wolltest du damals im Rahmen einer Dschungelblätter-Redaktionssitzung verdeutlichen, was geschieht, wenn man – im Rahmen der schon damals diskutierten Rechtschreibreform – die Entwicklung der Sprache sich nicht selbst überlässt, sondern der Willkür einiger Philologen und Kultusminister aussetzt.
Abgesehen von einigen zufälligen Begegnungen auf der Berger Straße oder später einmal auf der Buchmesse, sind wir uns seitdem nicht mehr begegnet. Doch lieber noch als an diesen legendären Schwitzkasten, der möglicherweise irgendwann noch seinen Weg in die Literaturgeschichte finden wird, denke ich an die mit Esprit und Sprachalbernheiten gemeinsam verbrachten Tag- und Spätschichten im Café Opus 111 zurück.
Ich wende mich nun, nach all den Jahren, an dich, da ich im letzten Jahr von einer Bekannten auf dein Blog aufmerksam gemacht wurde. Dort lese ich von Zeit zu Zeit – auch von den gelegentlichen finanziellen Schwierigkeiten und über die inzwischen von dir selbst öffentlich geführte Debatte über deinen Geburtsnamen.
Als jemand, der gewohnt ist, täglich Ideen zu produzieren, habe ich mir angewöhnt, dem Impuls einer Idee erst dann nachzugehen, wenn sie mir mehrmals begegnet, wenn der Gedanke mich nicht loslässt. So hat mich der Gedanke, dir zu schreiben, nicht losgelassen. So schreibe ich dir, und überlasse es dir, mit meiner Anmerkung nach Gutdünken zu verfahren.
Vorausschicken möchte ich, dass ich seit 1990 verschiedene therapeutische Verfahren kennen lernte. Anfangs um dem eigenen Leidensdruck zu begegnen und später aus beruflichen Gründen. In diesem Rahmen habe ich auch systemische Familientherapien kennen gelernt, die erlauben generationenübergreifende Verstrickungen, die auf normalerweise nicht durchschaubare Weise das Schicksal eines Individuums bestimmen, aufzudecken und aufzulösen.
Vielleicht sind meine Anmerkungen sowieso hinfällig, da sie möglicherweise auf einer Falschinformation beruhen – ich konnte leider im Internet die Behauptung, Joachim Ribbentropp habe einen beträchtlichen Betrag an seine Tante bezahlt, damit er sie adoptiere, weder bestätigen noch widerlegen.
Verhielte es sich so, dass Joachim Ribbentrop für das Führen des Adelstitels Geld bezahlte, dann gälte: Jemand bezahlte dafür, diesen Namen zu führen – und zwei Generationen später gibt es einen Sproß des geadelten Zweigs der Familie, der unter seinem tatsächlichen Namen nicht publizieren konnte – und unter Geldnöten leidet. Eine merkwürdige Relation von Geld und Name.
Vielleicht betrachtest du die Last, die deine Herkunft mit sich bringt, selbst wenn sie Leid bringend ist, als Quelle innerer Spannung, die – neben anderen kreativen Einflüssen – dein künstlerisches Wirken antreibt. Wäre dem so, dann ist meine Anregung ebenso hinfällig, wie das anekdotisch überlieferte Ersuchen Gustav Mahlers an Freud, ihn zu analysieren, das dieser ablehnte, weil er fürchtete, mit der Behandlung der Traumata die kreativen Quellen des Komponisten stillzulegen. Sollte sich aber das Schicksal deiner Herkunft für dich eher als Hemmnis darstellen, wäre es sicher hilfreich, die Auswirkungen der Verstrickung mit den Ribbentrops in einer Familienaufstellung aufzudecken und aufzulösen.
Möglicherweise ist nichts in dieser Mitteilung von Wert für dich, dann bitte ich dich um Verzeihung dafür, dir die Zeit gestohlen zu haben. Aber dem wiederkehrenden Impuls, dies mitzuteilen, wollte ich nun nachgeben, in der Hoffnung, dass er vielleicht doch irgendeine Relevanz für dich hat.
Ich wünsche dir viel Erfolg!
Herzliche Grüße
Andreas
@ian_asber, Andreas. Danke für diese lange Nachricht. Jaja, der Schwitzkasten… Aktionen von d e r Art, die meinen Beliebtheitskoeffizienten im deutschsprachigen Literaturbetrieb ganz gut erklären.
Was den Ribbentrop anbelangt, so habe ich damit unterdessen überhaupt kein Problem mehr. Mein Sohn hat es… ja: gelöscht. Seine Existenz reichte. Ob andere noch Probleme mit meiner Herkunft haben, weiß ich nicht, es ist mir auch wurscht. Jedenfalls hängt meine finanzielle Lage, bzw. mein Ruf im Literaturbetrieb, nurmehr allenfalls sehr indirekt mit ihr zusammen.
Doch zur sachlichen Klärung:
Es ist richtig, daß Joachim von Ribbentrop seinen Adel gekauft hat, so daß es sich nicht um Adel handelt; das überträgt sich selbstverständlich auf seine Nachkommen. Ich hingegen stamme aus einer anderen Ribbentrop-Linie, die das Adelsprädikat tatsächlich h a t. In diesem >>>> wikipedia-Artikel (und seinen Links) sind die Zusamenhänge für Interessierte ganz gut erklärt.
Herzlich,
ANH
@herbst: legen sie eigentlich wert auf das „innehaben“ eines adelstitels bzw. auf das adelig-sein? was denken sie über adel?
ich hatte die frage eigentlich bewußt an herbst gerichtet, aber bitte …
@ ferromonte. (Und nebenbei für Kowalski). Ja, ich lege wert darauf – allein schon, um mich von den Ede Kowalskis dieser Welt zu unterscheiden.
N u r für ferromonte:
Der Name hat für mich, je älter ich werde (und je weniger ich noch an den freien Willen glauben kann), eine sehr große Bedeutung bekommen; daß er von Adel ist – doch einem sehr jungen – spielt dabei eine rein signifizierende Rolle. In jungen Jahren habe ich alles, was mit Herkunft zu tun hat, brüsk abgelehnt und habe damals auch das ‚von‘ immer unterschlagen Das hat sich mit der Geburt meines Sohnes verändert und verändert sich zunehmend mehr, bedeutet aber vor allem „F a m i l i e haben“, „H e r k u n f t haben“ und damit: in einem Zeitstrom zu stehen, der einem zeigt: Du bist gebunden, bist geprägt und wirst weiterprägen. Über dem Stammsitz der Familie (meines Wissens längst nicht mehr in ihrem Besitz) steht NIE NAHLAATEN – das heißt: Nie nachlassen, nie aufgeben – für mein Selbstverständnis ist das wie ein Petschaft, der schon lange vor mir gesiegelt hat.
Ich hätte dieses alles, also wirkende Folgen, rigoros bestritten, bis ich etwa dreißig, bzw. vierzig gewesen bin. Allerdings spielte bei der Umentwicklung bereits der frühe Tod meines Vaters eine entscheidende Rolle. Je mehr ich erfahren habe und weiß, also nicht aus jugendhaft-meinendem Glaubem, bekommt nun Herkunft eine immer größere Bedeutung. Und zu der Herkunft gehört in meinem Fall der, wie gesagt, sehr junge Adel. Literarisch spielt er übrigens k e i n e Rolle für mich, meine künstlerische Herkunft ist eine andere. Herkunft ist aber auch sie.
Man kann übrigens sagen, daß die Geschichte meiner Selbsterfindung, wie ich sie als Dichtung in >>>> MEERE am Beispiel des erfundenen Malers Fichte nacherzähle, deshalb eine des Scheiterns ist.
danke für die persönliche und offene antwort. es ist ein oft zu beobachtendes phänomen, daß das wachsende alter ein gefühl und interesse für herkunft, familie und familiäre zusammenhänge erwachen lässt, das vorher nicht vorhanden war. es ist eine sehr treffende wendung von ihnen: „in einem zeitstrom zu stehen“; wenn einen dieses gefühl einmal erfasst, interessiert man sich automatisch für seine abstammung. prägungen zu erkennen und damit umgehen ist schon schwieriger; sind es doch oft weniger vorteilhafte eigenschaften, die einem auch im leben gelegentlich große probleme machen, die man als erbteile oder prägungen oder eben ureigene charaktereigeschaften festzumachen versucht. aber dieses bewußtsein im strom der zeit zu stehen, hat mit der adeligen herkunft jetzt nichts zu tun. (insofern, als jeder mensch sich so fühlen und seine herkunft für ihn deshalb von interesse sein kann ..)
sie sagen dazu nur, daß der adelige name eine signifizierende rolle spielt. ich übersetze mir das als „kennzeichnend“, im sinn von identität, und weiß nachher soviel wie vorher.
von einigen adeligen (österreichern) weiß ich, daß sie (auch wenn nicht dem hochadel (und schon gar nicht dem steinadel) zugehörig) erstaunlicherweise enorm viel wert darauf legten, von adel zu sein. letztendlich ist man etwas anderes, hat man doch kaum was gemein mit den normalbürgern.
was bedeutet adel für sie? inwiefern sie sich allein durch den namen bzw. dessen adelsprädikat sich anders, besonders oder gar „besser“ fühlen, würde mich interessieren. und falls das so ist: warum? denken sie an erbteil, gene, etc … oder ist es nur eine äußerlichkeit, auf die sie im grunde keinen wert legen?
die herkunft, der name gewinnt eine größere bedeutung, sagen sie. welche? ich denke, man wird sich seiner kettenglied-funktion bewußt; ich stamme von einem elternpaar ab, und ich habe kinder, die werden wieder kinder haben – und ich bin ein glied in einer langen langen kette, deren ursprünge sich verlieren und die wir niemals entdecken können. was bedeutet das jetzt? nimmt man sich deshalb als einzelindividuum weniger ernst, oder fühlt man sich weniger einsam? ist man deshalb weniger einsam, oder bildet man sichs nur ein? konstruiert man sich eine familie, die eigentlich nur geschichte ist, die als solche ihre wirkung tut auf die eigene person – insofern gewinnt sie an bedeutung, weil man sich dieser zusammenhänge bewußt wird. aber ändert das etwas? und wenn, was?
und spielt dann „adel“ eine maßgebliche rolle noch, aufs eigene, aufs individuelle leben bezogen?
@ ferromonte. Adel. Herkunft. Ribbentrop.
Oh, es hat v i e l damit zu tun. Nämlich haben aristokratische Familien den Vorteil, weit zurückverfolgbar zu sein, die meine bis in die beginnende Mitte des 16. Jahrhunderts. Bei altem Adel findet man Stränge, die stetig bis zu Karl dem Großen beurkundet sind. Hier gilt (für mich, mein Gefühl) der Satz, daß tiefreichende Wurzeln einen Baum „begründeter“ halten. Das Wort „Grund“ hat nicht von ungefähr solch einen starken Bedeutungshof.
Ich denke, daß Österreicher, weil ihnen der Adel v e r b o t e n wurde, weniger repräsentativ sind als etwa Deutsche oder gar Engländer – oder Schotten, für die der Clan eine ähnliche Rolle spielt. Überdies ist eine direkte Folge des Adelsverbots die ziemlich typisch-österreichische Titel-Sucht; es ist eine Verschiebung. Sie wissen, welch absurde Folgen das angenommen hat; sogar Magisterchen werden sauer, wenn man ihr „mag.“ unterschlägt.
Nein, „besser“ fühle ich mich sicher nicht. Aber anders. Da ich von frühauf Außenseiter war, so auch behandelt und ausgegrenzt wurde, gibt der Adel diesem Anderssein unterdessen eine Heimat. Genau kann ich das selbst nicht bestimmen, hier ist sehr vieles – emotional – ungefähr. Aber der Adel nimmt das Anderssein, unter dem man als Junge und junger Mann sehr litt, a uf und sagt mit entschiedener Bewußtheit: „Ja, ich b i n anders.“ Im übrigen meine ich, daß auch genetisch einiges wirkt, besonders physiognomisch. Man ähnelt sich in dieser Familie, jedenfalls in der Linie, die i c h weiterführe und die mein Sohn weiterführen wird. Ob das den Demokraten nun gefällt oder nicht. (Damit ich nicht mißverstanden werde: Demokratie ist sicher diejenige Regierungsform – also Gesellschaftsform, Macht auszuüben -, die den meisten Menschen den meisten Schutz bietet; deshalb steht auch ich entschieden, wie man zur Zeit meines Kriegsdienstverweigerungsprozesses sagte, „auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“; das ist für mich gar keine Frage. Keine Frage ist es für mich aber a u c h, daß die Demokratie gerade in ihrer hochkapitalistischen Phase dringend einiger Korrektive bedarf. Zu denen zählen für mich unterdessen alte Wertbegriffe, die durch Hitler desavouiert wurden, nämlich Ehre, Haltung, Mut, Stärke, Unbeugsamkeit usw. – bezeichnenderweise, ich weiß das selbst, sind das „männlich“ konnotierte Begriffe. Ein weiblicher wäre die religio, und zwar in Ciceros – konservativem – Sinn: „bedenken, Acht geben“.)
Es geht nicht um Einsamkeit, die erleidet jeder oder erleidet sie nicht oder nur manchmal. Aber man führt eine Familie weiter. Mein Leben ist, weiß ich heute, sehr davon bestimmt gewesen, den Dreck, den Joachim von Ribbentrop, der sich ja nur hineinadoptieren hat lassen, auf den Namen geschmiert hat, von diesem Namen wieder abzuwaschen. Es war, wie ich bereits >>>> hier einmal schrieb, etwas Erfüllendes für mich, daß >>>> wikipedia neben diesen Menschen m i c h gestellt hat. Mein Gefühl dabei war und ist eines des Ausgleichs, nämlich g a n z wichtig: mein Sohn wird sich n i c h t mehr schämen müssen, diesen alten Namen zu tragen, er wird ihn nicht mehr verstecken müssen, wie ich lange mußte. Ich habe über diese Schulddynamik am Beispiel des Familienerbes Fichtes in >>>> MEERE expressis verbis geschrieben. Vor allem übrigens deshalb ist für mich >>>> die Freigabe dieses Romans von so entscheidender Bedeutung.
Wenn Sie einen so herausgehobenen Namen tragen, werden Sie sozial permanent mit seiner Geschichte – in meinem Fall mit einem nur ganz kleinen, aber enorm schweren Geschichtsfragment – belastet, und zwar schon als Kind. Dem entkommen Sie nicht. Daraus lernt sich eine bestimmte Form der Verantwortlichkeit. Im Ribbentrop-Fall hat das durchaus etwas von konkreter, sich im Sozialen ständig als Sanktion im Wortsinn niederschlagender Erbschuld (allerdings nur dann, wenn Sie in bestimmten politischen Umfeldern aufwachsen; es gibt auch solche, heute noch, ganz deutlich, in denen auch ein durch den Nationalsozialismus belasteter Name hilft; der Literaturbetieb gehört aber entschieden n i c h t dazu). Insofern kann ein Name lebensbestimmend sein. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: entweder Sie nehmen den Kampf a u f oder Sie fliehen. Ich habe, auf mein bisheriges Leben gesehen und mein Werk ins Auge nehmend, das erste getan. Selbst mein Künstlername zieht sich als „falscher Paß“ durch nahezu alle Bücher, die Auseinandersetzung mit dem Hitlerfaschismus auch – allerdings niemals als ausgewiesenes Thema. Das wäre mir – und ist mir noch – zuviel „einfache“, zuviel geschmeidig verdinglichte, also vermarktbare, Moral. Der zumal deutschen Schuldbewältigungsindustrie stehe ich deshalb entschieden fern.
im strom der zeit zu stehen. diese worte möchte ich kurz etwas bespielen: ich würde es jetzt eher „einen verbindenden energiestrom zum geschehenen“ nennen, da ich zeit für illusionär halte. und die folgen, die sich aus dem „normalen“ zeitverständnis ergeben, führen zu ihrem wichtigen „satz vom grund“, wenn ich ihn schelmisch so nenne:
„Hier gilt (für mich, mein Gefühl) der Satz, daß tiefreichende Wurzeln einen Baum „begründeter“ halten. Das Wort „Grund“ hat nicht von ungefähr solch einen starken Bedeutungshof.“
lassen sie uns darüber sprechen.
sollte ich mich – als ein mensch, der seine vorfahren vielleicht nur bis zu den urgroßeltern oder eine generation weiter zurückverfolgen kann (und sich auch gar nicht um mehr bemüht) – weniger „begründet“ fühlen als ein mensch, der in eine alte adelsfamilie geboren wurde, die ihre herkunft auf charlesmagne, einen römischen adeligen, einen pharao oder die merowinger etc. zurückführen kann oder zurückführen zu können glaubt? (ihr stammbaum, ich weiß, ist realistischer, aber es geht ja ums prinzip)
ob mich meine wurzeln stärker oder weniger stark oder gar nicht halten, wovon hängt das ab? von einer geschichte und dokumenten?
was ich mich frage: worin liegt diese BEGRÜNDUNG? ist das ein psychologisch erklärbares selbstbild, identität schlechthin? ist identität nciht viel komplexer als das bewußtsein einer ahnenlinie? also was begründet da den menschen, den baum (ein symbol für den menschen, das ich sehr liebe, immer schon)?
oder ist es ein art „mystische“ identität, die in einer „ahnenkultur“ fusst:
„ich bin einer von d e n e n“, „ich stehe in einer reihe mit x, y, und z“, also definiert man sich dann mit oder durch historisch belegbaren/dokumentierten persönlichkeiten, mit denen man sich persönlich identifiziert, quasi „x,y und z sind i n m i r (genet.?) enthalten, alsi BIN ich jene persönlichkeiten a u c h gewissermaßen. und d a r i n begründet sich dann die „schwerere“ identität, der „tiefere grund“. keine mystik, sondern glauben, kult, vor allem glauben. glauben, der identität und auch (selbst)sicherheit stiftet. dieselbe selbst-sicherheit, die etwa ein kleriker oder geistlicher (meine ich nicht provokant, sondern der illustration von glaubeskraft und -wirkung wegen) hat und ausstrahlt, der sich selbst in gott begründet.
„Aber der Adel nimmt das Anderssein, unter dem man als Junge und junger Mann sehr litt, auf und sagt mit entschiedener Bewußtheit: „Ja, ich b i n anders.“ Im übrigen meine ich, daß auch genetisch einiges wirkt, besonders physiognomisch. Man ähnelt sich in dieser Familie, …“
physiognomie ist ja etwas, was auch meine eltern mir und alle eltern mehr oder weniger ihren kindern vererben – ohne jetzt adelig zu sein.
es mag sein, daß adel „anderssein aufnimmt“, da kann ich folgen; so wie es (vermeintlich) elitäre gemeinschaften auch tun: studenten in oxford, fixer im untergrund, freimaurer, regierungsmitglieder, amerikaner, moslems, ich glaube sie verstehen was ich meine. ich war auch immer ein aussenseiter. heimat
konnte mir kein adel geben, und ich hätte so einen wohl auch nicht als heimat akzeptiert, würde es auch heute noch nicht (was aber nicht zu debatte steht). ich versuche allerdings schon lange das phänomen des adels und der adeligen, deren selbstwahrnehmung etc. über ede kowalskis erklärung hinausgehend verstehen.
was sie sagen über die immense arbeit, den namen ribbentrop reinzuwaschen, und daß ihr sohn sich nicht mehr zu schämen braucht – das verstehe ich emotional sehr gut, das berührt mich sogar sehr tief. und ich wünsche mir, daß die gesellschaft bzw. jene, die ihnen diese qualen mitverursacht haben, MEERE lesen und insgesamt ihre arbeit am namen ribbentrop verstehen und respektieren werden. können.
@alle – Schwitzkasten Ausdrücklich möchte ich darauf hinweise, dass der gute Alban sich im Anschluss an die Schwitzkasten-Demonstration entschuldigt hat, nicht dass hier ein falsches Bild entsteht. 😉
Zumal Alban an jenem Abend von vier oder fünf der abgefeimtesten Exemplare der Intelligenzia Frankfurts, allesamt Poststrukturalisten, die der Arbitrarität der Zeichen, die jeglichen Eingriff in die Struktur der Sprache legitimieren kann, das Wort redeten, verbal in die Mangel genommen wurde. Da wurde es Zeit, mit einer klaren Geste den eigenen Punkt zu machen; sprechen wir doch statt vom „Schwitzkasten“ lieber von einem „diskursiv-argumentativem Ballett“.
Schwitzkasten hin oder her – dass Albans Bedenken mehr als gerechtfertigt waren, nun, das zeigt die Rechtschreibreform sowie der re-reformierte Reform.
Lieber Alban, möge Fortuna eine leidenschaftliche Liebesaffäre mit dir beginnen und dich mit glücklichen Segnungen überhäufen.