Arbeitsjournal. Dienstag, der 20. Februar 2007.

5.26 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg.]
Knapp eine Stunde zu spät auf, aber ich war auch erst um halb zwei im Bett und weiß ja, was zu arbeiten ist: Neunte Elegie, ÜA EF zur ZF. Da geh ich nun auch, den Kaffee neben mir, dran. zwischendurch sind Briefe zu schreiben, vor allem auch einer wegen des Laptops, der mir gesponsort werden soll. Ich hab mich da noch gar nicht gemeldet.
Guten Morgen, Leser. Es hängt noch Nachtschwarz, tiefes, über Terrasse, Garten und Regnitz.

18.19 Uhr:
Mit der einzigen Unterbrechung meines Mittagsschlafes seit früh bis jetzt an der Neunten durchgearbeitet; und ich komme voran. Es gibt nicht so heikle Stellen wie in der Zweiten, aber einige kosten d o c h rhythmische und bildliche Inspiration. Ich nenne diese Elegie die Sterbe-Elegie, und so ist sie auch. Bisweilen erreiche ich einen Ton, der an tiefe Meditationen erinnert und etwas von Om-Gesängen hat.
Dann mußte ich, eben, unterbrechen, weil ich sah, wie die Zigaretten langsam ausgehen. Also aufs Rad und hinaus. Aber Bamberg ist rein leer, alle Geschäfte geschlossen – tönte nicht aus manchen Kneipen lautes Faschingsjecken-Gegröle, und von einem Faschingsumzug, der nachmittags gewesen sein muß, liegen Fetzen auf den Straßen. Sonst sieht man immer wieder Grüppchen notdürftig Maskierter, keinerlei Fanastik, nur die Ödnis des Kleinbürgers, der drauf aus ist, sich zu besaufen. Wobei dieser Eindruck ganz sicher ungerecht und lediglich von meiner Radfahrt abgezogen ist, von der ich soeben heimkomme.
Ich habe Zschorsch das gemeinsame Bier abgesagt, muß arbeiten, morgen abend will Norbert Wehr die überarbeitete Elegie fürs nächste >>>> SCHREIBHEFT haben; mit der Zugfahrt nach Berlin morgen früh werde ich es auch wohl schaffen. Aber es wird knapp. So, ich mache weiter:

Möcht es wohl selbst sehn, das Leben, wann es genug ist und ob ich‘s
weiter halte. Wenn aber nicht, dann, schlagartig, fällt’s mich,
achtungshalber. Darauf beharr ich, als Gegenzug zu
meiner Achtung. Doch umarmt es vielleicht auch schon mich und
leistet mir eine Sterbehilfe, die ich für Küsse
halte und, wie die Blüten, mit Zärtlichkeiten erwidre,
statt um Distanz einzukommen. Möcht ich denn nicht, Geliebte,
alt werden d o c h? Und meine Arbeit vollenden, zumindest
leidlich, damit ich zum Schluß etwas vorweisen kann, das auch
hält? Und will der ersten Geliebten unseres Sohnes
klar ins Gesicht sehen können, nicht aus eitlem Machismo,
sondern um zu spüren, daß sie immer weiter
fließt, die Regnitz vor meinem Fenster, und fließt in den Augen
deiner Kinder, mein Junge, die deiner künftigen Frau sind,
deiner künftigen Frauen, wer weiß das..? und fließt in einen
späteren Main, späteren Rhein, denen spätere Rosen,
langsam erfrierend, nicht nachsehn in ihre späteren Meere.
Uralt will ich werden, deshalb, um den Zeitstrahl zu fühlen,
in dem wir stehen, der wir selbst sind, dem wir Fragment sind,
aber eines, das atmet und hat es voll gestaltet
(hat geatmet). Das bleibt. Es bleibt, wie die Stoffe der Körper
bleiben (verbrennt mich nicht) und gehen a u c h nicht verloren.
Zwar, sie zerfallen, aber nähren, als Moleküle,
weiter: Sand werdend, Einzeller, Wurm, eine Pflanze, ein Tier, das
witternd den Kopf hebt, ein Schwein, eine Ratte vielleicht, eine Schwalbe,
M e n s c h sogar wieder, vielleicht, und etwas spürt, das von früher
rührt: nicht mehr als eine Empfindung, ein sprachloses Ahnen,
unversehen, erinnerungslos, aber wir als die Toten
atmen durch es hindurch. Nun hat‘s déja-vu’s, die bewahren.
22.35 Uhr:
Mehr als 15 Stunden >>>> am Stück durchgearbeitet, minus einer Stunde Mittagsschlaf; plus einer Stunde verlangsamten Arbeitens spätabends. Kann nicht mehr.

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