Paul Reichenbachs Dienstag, der 20.Februar 2007. Fühllos.

In jenen Jahren, die russische Armee hatte die Tschechoslowakei wieder voll im Griff, der Frühling war ausgeträumt, bemächtigte sich seiner, man muss es so sagen, eine gewissenlose Virilität. Paul, ohne Moral wie man sie landläufig versteht, galt, nach den Ereignissen der Okkupation, als arrogant und fühllos. Frauen, die ihn früher stehen ließen, wandten sich ihm nun zu. Er registrierte das, aber wunderte sich nicht. Alle Politik ignorierte er und verachtete sich dafür ihr jemals auf den Leim gekrochen zu sein. Wie ein Buchhalter, der von einem renovierten Büro Besitz nimmt, ordnete er sein Leben neu. Und keine Götter und Götzen konnten ihn dabei stören. Seine Freundin, schon 6 Jahre waren sie beisammen, sie studierte Gesang, bemerkte seine Veränderung: Kalt sei er geworden, so kalt,
dass es ihr, mehr als beim Singen, den Schoß öffne.

Paul und die Welt.
Zwischen ihnen eine riesige, dicke Milchglasscheibe auf der dann jahrelang nur matte Schattenspiele und, wenn es hoch kam, mobile Scherenschnitte zu sehen waren. Fühllos schaute er zu.

Den Schlüssel von Hankas Wohnung warf Pavel, wie von ihr gewünscht, in den Briefkasten. Und ging. Die Nacht blieb ihm nur kurze Zeit im Gedächtnis, andere Nächte folgten, die ebenso schnell vergessen wurden. Hanka, eigentlich Anna S., Zigeunerin, Lagerinsassin von Auschwitz, Malerin, starb 1979 im Alter von 51 Jahren am Alkohol.

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