Paul Reichenbachs Donnerstag, der 22. Februar 2007. Die Stunde.

Alles hat seine Zeit und jegliches Vornehmen unter dem Himmel seine Stunde.
Geborenwerden hat seine Zeit, und Sterben hat seine Zeit;
Pflanzen hat seine Zeit, und Gepflanztes ausreißen hat seine Zeit.
Töten hat seine Zeit, und Heilen hat seine Zeit;
Zerstören hat seine Zeit, und Bauen hat seine Zeit.
Weinen hat seine Zeit, und Lachen hat seine Zeit;
Klagen hat seine Zeit, und Tanzen hat seine Zeit…
(Prediger 3, 1-11)

An einem Vormittag, herrlicher Sonnenschein taucht die Stadt, ihre Straßen, das holprige Pflaster, ihre Häuser, Balkone, Fenster und Türen, in ein mildes Licht. Die Luft reine Seide. Ruß und Dreck, der sonst den Einwohnern die Atmung stocken lässt, scheint wie weggeblasen. Paul sitzt am Schreibtisch. Er wird bald zur Arbeit müssen. Mittelschicht. In einer Stunde fährt sein Zug. Der Säugling schon im Wagen, gut eingepackt, lallt und grunzt vor sich hin. Der Junge ist jetzt 6 Monate alt und hat sich, obwohl 8 Wochen zu früh geboren, prächtig entwickelt. Seine Mutter in der Küche, das dunkle, lange Haar fest zu einem dicken Zopf gebunden, bereitet das Brot für den Vater. Akribisch und liebevoll bestreicht sie eine schwarze Scheibe mit Butter, legt, dünn geschnitten, Salami auf und bedeckt sie mit Weißbrot. Ich habe dir heute Stullen gemacht, wie Rheinländer sie essen, ruft sie fröhlich durch die offene Tür. Irgendwer muss ihr einmal erzählt haben, dass im Rheinland Brot, schwarz und weiß gedeckelt, gegessen wird.
Die Eltern des Jungen müssen haushalten. Sie, Akademikerin, ist arbeitslos, hat ihren Job verloren als sie heirateten und er verdient wenig. Wenn sie, Frau X., den Mann ehelichen, können sie bei uns nicht mehr in verantwortlicher Position arbeiten, hatte man ihr Monate vorher gesagt. Sie lachte und spottete darüber und ahnte nicht, dass sie niemals wieder eine Stelle in ihrem Beruf finden würde.
Es wurde Zeit zu gehen. Gemeinsam tragen sie den Kleinen im Kinderwagen 4 Treppen hinunter. Die Frau will bei diesem schönen Wetter zum Fluss. An der Haustür verabschieden sie sich. Paul sieht ihnen nach, dreht sich um und geht in Richtung Bahnhof, als ihn ein Mann mit seinem Namen anspricht. Ein Auto hält neben ihnen, zwei Männer springen plötzlich herzu, eine Tür wird geöffnet und ein Dritter zerrt ihn auf den Rücksitz. Handschellen klicken. Alles braucht seine Zeit. Die Stunde war gekommen.

2 thoughts on “Paul Reichenbachs Donnerstag, der 22. Februar 2007. Die Stunde.

  1. Nasenlängen. Lieber Paul,
    in den letzten Tagen hast Du in Deinen Tagebucheinträgen mein Leben, ungenau zwar, zu Deinem gemacht. Du erzählst meine Geschichten, als wären sie Dir geschehen. Ich will daran nicht herumkritteln. Manches ist Kitsch, gut das Leben ist oft kitschig, ich sehe es dir nach. Aber „Luft wie Seide“ und der Prediger sind als Bilder total verbraucht. Da vieles heutzutage austausch- und verwechselbar ist, kann auch unser beider Leben changieren. Avatare eines Dritten sind wir. Gefangen im Hirn eines Einzelnen, der meint uns wie Marionetten, nur weil wir ihm entsprangen, behandeln zu müssen. Insofern ist Dein Schlüpfen in meine Biografie, auch wenn Du Dir dessen noch nicht bewusst bist, bei allen Schnitzern, die Dir dabei unterlaufen sind (nie war mir eine gewissenloseVirilität zu eigen!), Subversion und Aufstand gegen unseren Schöpfer. Und deswegen Paul, – lüge weiter wahrhaft, was das Zeug hält, denn eine Nase kann er nicht wachsen lassen, – findest Du mich an Deiner Seite. Unbedingt. Wer wen dann eine lange Nase zeigen wird, ist für mich heute schon erwiesen. Mach weiter !

    Herzlich Dein montgelas

    Sprachlos>>>>>>

    .

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