Arbeitsjournal. Sonnabend, der 24. Februar 2007.

8.38 Uhr:
[Berlin, Küchentisch.]
Es ist sehr klar, daß >>>> solche Themen von ausgesprochen gegenwärtiger Virulenz sind, daß ihnen aber ebenso nicht-ausgesprochen der Zugang zur Hochkultur verwehrt bleibt, trotz >>>> Der Geschichte der O., trotz >>>> Wedekind, trotz >>>> Irène. Dabei liegen sowohl die femme fatale als auch die devote Frau ganz oben unter der Gegenwartshaut; man muß nur ein wenig ritzen, schon kommt das zum Vorschein und blutet. Es ist unterdessen sogar Mode geworden. Gestern sah ich eine junge Frau in der S-Bahn, die sich nicht nur ein Piercing hatte durch die linke Wange stechen lassen, nein, sie trug auch – erst hatte ich den Eindruck, ihr sei ein Essensrest dort steckengeblieben; richtig schön kann man das eigentlich nicht nennen -, in die Haut zwischen Oberlippe und das Fleisch der vorderen Schneidezähne eingelassen, einen feinen goldenen >>>> Sklavinnenring. Wobei gar nicht heraus ist, ob sie sich der dahinter wirkenden Symbolik überhaupt bewußt ist. Genau d a s Phänomen gehört zu solchen Zeiterscheinungen aber dazu; das ist es auch, was ich mit der Aussage meine, sich wiederrealisierende Allegorien gingen durch die Menschen hindurch. Diese sind sie umhüllende Träger, ganz unabhängig davon, daß sie zugleich immer auch noch mehreres andere sind – gute Mutter, Skate-Boarderin, Studentin, Angestellte usw. Man verläßt imgrunde, das formt diese (Selbst-)Täuschungskraft derart immens, nie den Bereich des Normalen. Es ist, wie Delf Schmidt anläßlich >>>> meines zweiten Anderswelt-Buches einmal bemerkte: „Deine Figuren sind weniger als Personen Träger von Informationen.“ Ja.
Nun geht in mir seit heute morgen abermals das >>>> Melusine-Walser-Projekt um. Tatächlich einen modernen (zeitgenössischen) erotischen Erziehungsroman zu schreiben, der in diesmal möglichst einfacher, das heißt verknappter Form die willentliche Entwicklung einer devoten jungen Frau beschreibt, die sich in die Hände eines dominanten Mannes begibt, zugleich aber eben beruflich wie sozial aufsteigt, die eine Intellektuelle und in allerbestem Sinn emanzipierte Frau ist und das nicht nur bleibt, sondern parallel zu der erotischen ‚Erziehung‘ immer ausgeprägter w i r d.
Wenn ich das tatsächlich angehe, was wird man dann schreien – was werden vor allem diese vielen mächtigen weichen ‘Männer’ schreien, die den Literaturbetrieb beherrschen. Aber egal. (Und welcher Verlag brächte so etwas dann? >>>> Claudia Gehrke, ja, aber da vermoderte es dann in der Ecke-für-‘sowas‘. Und >>>> Merlin vielleicht noch, könnte auch sein >>>> Matthes & Seitz. Aber seit >>>> Axel Matthes ihn nicht mehr betreibt, hat das Programm naturgemäß eine andere Färbung angenommen.)

Wilhelm Kühlmann, der über mich fürs Killy-Literaturlexikon, das nunmehr e r herausgibt, schreiben will, hat sich für den 28. 2. abends mit mir verabredet. Nun traf aber gestern eine Mail von >>>> Robert HP Platz ein, derzufolge er es gern hätte, daß Regisseur >>>> Thierry Brühl und ich am 28. abends in Köln sind, weil unser Höroper-Projekt ANDERSWO (nach dem Zwischenspiel in THETIS. ANDERSWELT, aus dem ich für ihn das Libretto schrieb, das wiederum Thierry Brühl etwas gekürzt hat):Großes ist zu vermelden: 1) sind die Aufnahmen mit Harfe und Bratsche + “Stimme der Weltgeschichte” Ende Januar gut gelaufen. 2) komme ich von Liège (Elektronisches Studio) völlig euphorisch zurück: der Anfang von ANDERSWO ist spektakulär! Es geht los mit den letzten Sekunden von >>>> Lilith, dann folgt ein Erdbeben (aus einem einzigen Harfenton in der Retorte gezüchtet), das sich langsam erhebt und innerhalb 2 Minuten in einem infernalischen Glissando über 20 (in Worten: zwanzig!!) Oktaven über den Hörer hinwegzieht und jenseits der Hörschwelle im Raum verschwindet. Jetzt kommen im März noch die Aufnahmen mit der Hauptstimme und die Montage + Mischung etc.
Wahrscheinlich gibt es am 28.3. ein Schlußabhörfest im kleinen Kreis – solltet Ihr es einrichten können, würde es diesen Kreis erst komplett machen. Zumal: es handelt sich um eine “5+1”- Surroundsound-Produktion, und die kann man besser im Studio mit den guten Lautsprechern hören als zuhause von einer normalen Audio (Stereo-)CD.

Da Kühlmann nur am 28. 2. und 1.3. in Berlin sein wird, ich am 1. 3. aber in der >>>> Villa Concordia abends eine Lesung habe, werd ich RHPP absagen müssen – oder ich erreiche es, daß Kühlmann bereits einen Tag vorher kommt. Hm.
Heut früh will ich noch etwas an der Überarbeitung der Dritten Elegie sitzen, aber insgesamt wird dieses Wochenende der Familie gehören. Im übrigen gilt Nach der >>>> Zweiten Natur arbeiten! Also nach der Dritten, Vierten ad. inf.

[Poetologie.
BDSM.
Kulturtheorie der Geschlechter.
>>>>> Melusine Walser.]

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