Arbeitsjournal. Dienstag, der 3. April 2007.

5.34 Uhr:
Daß sich die Dauer meines Nachtschlafs in der letzten Zeit von 4 ½ auf 3 ½ Stunden reduziert hat, so auch gestern/heute, k a n n nicht mehr gut sein. Bin gegen zwei Uhr ins Bett, um halb fünf klingelte der Wecker, um kurz nach fünf radelte ich hierher ans Netz. Also ich sollte da aufpassen, auch wenn mir lediglich ein bißchen schummrig ist und die Augen noch nicht ganz wollen (ich schlief mit den Kontaktlinsen ein, weil ich drüben kein leeres Gefäß zur Aufbewahrung hatte – sträflich); der Kopf ist hingegen völlig klar, so daß ich gut arbeiten kann. Will mit der Hexametrisierung der Fünften Elegie beginnen, dann geht‘s rüber in die Arbeitswohnung, wo die „Arbeit am Gläubiger“ fortzusetzen ist. Irgendwann vormittags radle ich wieder hier in die Väter-WG zurück, um meine „Perle“ E. mit dem letzten Geld, das ich zusammenkratzte, auszuzahlen und ihr nach fast dreizehn Jahren lieb sagen zu müssen, daß ich sie nicht weiter bezahlen könne und deshalb auf ihre manchmal schon mütterliche Umsorgung wenigstens auf absehbare Zeit verzichten müsse. Fällt mir schwer, aber es geht nicht anders. Ich werd ihr paar Blümchen besorgen. Sie wird eh verschnupft sein, weil ich sie mit dem ihr seit drei Wochen zustehenden Geld so lange sitzenließ.
Werde außerdem wieder einmal versuchen, >>>> Dielmann zu erreichen… irgendwie sollten >>>> die Liebesgedichte nun wirklich da sein. Und ein Konvolut an Gedichten-insgesamt ist an ein paar Verlage, die auf der Leipziger Messe Interesse bekundet hatten, hinauszuschicken.

Der Profi erzählte gestern nacht, es habe ihm ein Freund, der sich in der Branche auskenne, telefonisch gesteckt, daß er mit einigen Lektoren meinethalben telefoniert habe, und es gebe da s c h o n den einen und andren, der meine Arbeit hochinteressant finde; aber man scheue davor zurück, sich auf mich einzulassen, weil ich, wann immer es einen Dispens oder eine sei‘s auch nur ungeschickte Bemerkung gebe, immer sofort öffentlich darüber berichte; das sei den Leuten einfach zu unbequem. Einmal abgesehen davon, daß das s o nicht ganz stimmt; ich reagiere öffentlich bei Dummheit, Heimtücke und Betriebsgeschiebe, bzw. auf persönliche Angriffe, nicht hingegen bei kleineren Streitigkeit… also abgesehen davon frage ich mich, worum es diesen Leuten eigentlich geht: ob um eine Dichtung, die zugleich ästhetisch forciert Position bezieht, oder ob um ihre persönliche Bequemlichkeit. Weshalb wollen Menschen es bequem haben? Ich will‘s doch auch nicht, im Gegenteil, Bequemlichkeit ist der erste Schritt in die Verkalkung, und zwar prinzipiell. Wehret den Anfängen, möchte man rufen….

8.33 Uhr:
[Arbeitswohnung. B.A.Zimmermann, Extemporale (1946).]
Was meiner Innenwahrnehmung an Neuer Musik immer auffiel: daß sie m e d i t a t i v ist, und vieles hat den tastenden Character der Etuden. Das ist der klärende psychische Effekt. Die von vielen Leuten so empfundene organische Fremdheit dissonanter Klangräume führt, läßt man sich auf sie ein, zu einer distanzierten Eigenwahrnehmung, die a u c h etwas Vereinzelndes hat: Musik funktioniert nicht mehr als süße Verklebung sozialer Risse, sondern, indem zwar Empfindung angesprochen wird, aber es doch auch immer des Kopfes bedarf, um zu verstehen, hebt, bei gelungener (unabgewehrter) Rezeption, der Kopf die Empfindung ins Gefühl. Dadurch ist Neue Musik prinzipiell kitschfern; denn der Kitsch übergeht den Kopf und schließt Empfindung und Gefühl kurz: dies ist sein grundsätzlich Manipulatives.

[Poetologie.]

16.15 Uhr:
[Dallapiccola, Ciaccona für Violoncello solo.]
Das ist eine u n g e w ö h n l i c h schöne Aufnahme, die Friedrich Gauwerky hier eingespielt hat; leider gibt es sie offenbar nicht mehr am Markt. Deshalb nur >>>> d i e s e r Link. Vielleicht bekommen Interessierte unter Ihnen die Schallplatte noch antiquarisch.
Nahezu alle Gläubigerpost erledigt und auch schon weggebracht; jetzt sitz ich an Verlagspost, da ich nun schon mal dabeibin, und biete – vorsichtig, nebenbei – Gedichte an. Ich will aber auch veruchen, ob es sich vielleicht bei Neuer Musik hexametrisieren läßt. Es ist hier die alte, ruhige Atmosphäre, die ich von meiner Arbeitswohnung gewöhnt bin und von der ich jetzt erst merke, wie ich sie insgeheim, unzugelassen, in Bamberg vermißt habe, hier, umgeben von Hunderten Erinnerungspartikeln, eine bewohnbare Collage-in-sich: die Büste Aldas etwa, die mir Do geschenkt hat, kurz nachdem >>>> WOLPERTINGER ODER DAS BLAU erschienen war. Wir hatten in dem Antiquitätenladen eines Freundes vorbeigeschaut, und da sah mich die Figur von oben herab schnippisch an. Ich erschrak. „Das ist Alda!“ rief ich aus und war sekundenstarr, als hätte etwas nach mir gegriffen. Sie müssen wissen, daß „Alda“ der verkürzte Rufname Aldonas v. Hüon ist, jener Elfin, die in meinem Roman die Gegenwarts-Inkarnation Titanias ist, also der Elfenkönigin des franzöischen Epos Huon de Bordeaux, sowie bei Shakespeare, Purcell, später Britten – eine Figur, die mich so lange ‚verfolgt‘ hatte, bis ich ihr tiefsten Raum im WOLPERTINGER gab. Do reagierte so schnell wie der Freund, der die Büste herunterholte; ermessen Sie meinen Schauer, daß auf dem Sockel tatsächlich Alda eingraviert war und ist…Oder die von einem isländischen Künstler in Stein gehauene Venus im Halbrelief. Von solchen Figuren stellt dieser Künstler, dessen Namen ich leider nicht weiß, angeblich in manischer Besessenheit immer wieder neue Originale her, um sie in die Berge zu bringen, wo er sie zwischen Fels nd Geröllen liegenläßt…Oder die fotografischen Fundstücke.Vor den CDs sind sie mit realen Fundstücken, mit Dingchen, kombiniert: einer Schraube aus den Holzbohlen der Brooklyn Bridge etwa oder getrockneten Datteln aus Palermos großem Volkspark, mit Marmorstückchen vom foro romano und Lavabröckchen vom Ätna usw… bis vor kurzem hingen auch zwei seidene Damenstrümpfe dabei… die habe ich allerdings, aus symbolischen Gründen, vor einigen Wochen der Schaufensterpuppe aus der Hand genommen, die bei mir auf dem Kachelofen sitzt und diesen herrlich arroganten Blick hat. Verlagspost also.

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