Arbeitsjournal. Mittwoch, der 11. April 2007. Erster Reisetag zum Stromboli. Nach Hamburg.

6.45 Uhr:
[Küchentisch, Am Netz.]
„Du scheinst wirklich nicht beliebt zu sein – es ist kaum jemand gekommen.“ Mit diesen Worten empfing mich >>>> Christian Filips gestern abend vor der Villa Elisabeth. „Nur der harte Kern. Und >>>> Elke Erb ist da.“ Was mich freute, sehr freute, da ich sie und ihre Dichtung überaus schätze, die gerade bei ihr immer auch persönliche Haltung ist. Da ist so gar kein aufgesetztes Drumrum (anders als, zugegeben, bei mir, dem das Drumrum manchmal schon zweite Haut geworden war: Gürteltierpanzer). Filips stellte dann eingangs die Grundfrage, was denn zeitgenössische Dichter neuerdings so verstärkt dazu bringe, die feste Form aufzusuchen, eine, nannte er‘s (und interpretierte damit bereits), „Gewißheit“, bzw. Gewißheiten; als „prominentestes Beispiel“ nannte er >>>> Grünbein, der in der Süddeutschen bekanntlich die Wiederkehr des lateinischen Ritus im katholischen Gottesdienst begrüßt habe.
Daß man dem nachfragen muß, scheint auch mir (ein s e h r passendes Wort in diesem Zusammenhang:) offenbar zu sein. Die Antwort „eben darum“ ist mir aber zu einfach, ästhetisch zu einfach; vielmehr scheint mir auch dies a u c h in Richtung >>>> Selbstermächtigung zu gehen; in diesem Fall ist das „Selbst“ die poetische Tradition des Abendlandes (zu dem – kulturgeschichtlich, kulturgenetisch, das Mogenland unbedingt dazugehört), die wieder eingenommen und dann möglicherweise in den Künsten transzendiert wird. Ähnliche Dynamiken, wenn auch nicht die Bewegung-selbst, waren zweidrei Jahrzehnte zuvor, sowie in den Zwanzigern/Dreißigern des letzten Jahrhunderts im europäischen, bzw. westlichen Verhältnis zu asiatischer Philosophie und asiatischen Künsten zu beobachten, etwa im doch auffälligen Favorisieren des Haikus. Ich denke, nunmehr schweift der Blick aufs Eigene zurück – gerade in einer Zeit von Glaubenskriegen. Man fühlt sich zu Recht attackiert (daß die Attacken ihrerseits Gegenwehr sind, wird dabei kaum beachtet), und man schaut hin, w a s denn da attackiert wird. Deshalb, aus einer Angst, die unbewußt ums Eigene tastet, diese Art einer… na ja, ‚Besinnung‘ ist wahrscheinlich ein falsches Wort.
Eines der Interesse der >>>> Liedertafel ist, wie der sie inspirierende Kreis um >>>> Zelter es hatte, die Frage, inwieweit sich ästhetische Formen übertragen lassen, hier: von der Dichtung auf die Musik. Es wurden ein paar Beispiele solcher Vertonungen angespielt und diskutiert; ich fand sie alle antiquiert. >>>> Böschenstein verglich die klassisch-antike elegische Dichtung mit Goethes >>>> Römischen Elegien und mit den >>>> Duineser, von denen er hübsch herausrezitierte, daß Rilke den Hexameter zu einem Fünffüßer umgeformt hat, und ausgerechnet den Pentameter faßt er sechsfüßig. „Das ist wohl“, sagte er zu meinen >>>> Bamberger, „für Sie die Referenz.“ Er hatte schon vorher bemerkt, daß ich den Pentameter „eigentlich gar nicht“, bzw. sehr vereinzelt verwende. Meine Argumentationslinie dazu finden Sie >>>> hier.
Schließlich las ich vor. Filips sprach von der Ersten als von etwas, das zugleich den Character eines Lehrgedichts habe, wie eben diese Lehre immer wieder auch wegziehe. „Aber du sagst uns, was ein Mann sei.“ Womit er etwas Richtiges erspürt; er stellt es nur nicht in den referentiellen Zusammenhang: nämlich die gender-Diskussion. Soweit die Elegien „Gewißheiten“ formulieren, tun sie‘s ja als verlorene Gewißheiten, und insoweit sie Elegien sind, klagen sie drum… greifen danach und greifen doch immer in Luft; Gewißheiten sind wie >>>> Lord-Chandos-Pilze.
Hübsch war, daß Michael Betzner am Computer eine klanglich-metrische Nachstellung der Ersten Bamberger Elegie, man muß sagen:, gebastelt hatte und sie uns dann vorführte. Auch er hatte ein ganz richtiges Gefühl, aber setzte es eben parodistisch, nicht wesenhaft um: Frau und Mann mit immergleichen Geschlechtsverkehr-Stöhnern, die permutativ aufs Metrum des Textes gelegt wurden. Das verkomischt nach Art einer semantischen Persiflage. Mir gefiel die Idee gut, auch wenn sie sich sehr schnell erschöpfte – was nicht an ihr selbst, sondern an den hunderten Zwischentönen lag, die sie – derart repetitiv umgesetzt – aus der Elegie subtrahierte.
Schließlich sprach und las die gegen feste Formen skeptische Elke Erb; „mir kam es im Umgang mir dem Hexameter immer so vor, als marschierten Truppen auf, die mich übermarschierten, überrannten, gegen die es sich zu wehren galt.“ Das war und ist eine politische Stellungnahme, eminent politisch; sie ist wahrscheinlich aus der DDR-Erfahrung zu begreifen; im Westen hatten und haben wir es hingegen nie mit verordnetem Pathos und schon gar nicht fixierten militärischen Strukturen zu tun, sondern eben mit der kapitalistischen Auflösung fester Strukturen, also mit der Äquivalenzumformung von allem und jedem – einer prinzipiell „weichen“ Gegenerschaft, der nun ganz konsequent der von Scholl-Latour so genannte „weiche Krieg“ antwortet – der „asymmetrische“ Krieg, wie ein anderer Begriff dafür lautet. Ich würde so weit gehen (würde ich gefragt), den asymmetrischen Krieg einen „poetischen“ zu nennen, womit wiederum etwas sehr Scharfes gemeint ist, nix sentimental Romantisches, das bei „poetisch“ ja immer mitschwingt.

Stromboli:
Natürlich kam das Einschreiben n i c h t. Jetzt muß ich um 8 Uhr versuchen, es bei der Zustell-Stelle – igitt, was ‘n W o r t! – rauszueisen. Jedenfalls saß ich gestern bis halb sechs Uhr abends in der Arbeitswohnung und wartete. Dann gab ich‘s auf. Immerhin – ich ging übers Mobilchen ins Netz – bekam ich den Auftrag, für die Sonntagszeitung über Stromboli zu schreiben. Ich an Seidl: „Bitte kein Spesengeld an m i c h überweisen, es wäre alles weg. Sondern ich kläre auf Stromboli vor Ort die Lage und geb dir dann per SMS oder übers Netz Bescheid: Wenn ihr den Bergführer auf den Vulkan bezahlt, überweist ihm das Geld bitte direkt.“ So ist zumindest d a s schon sicher, ebenso wie eine mögliche Exkursion per Boot an die Sciara del fuoco, die Feuerrutsche, heran, über die gegenwärtig die Lava ins Meer zischt. Ich muß, um das alles auch finanziell organisieren zu können, nur drauf achten, daß mir t-mobile nicht wieder wegen unbezahlter Rechnungen das Handy abstellt. Habe deshalb Do gebeten, meine letzte Rechnung zu bezahlen. Sie bekommt das Geld von der Sonntagszeitung direkt wieder: Spesengelder, die nicht pfändbar sind und für die sowieso noch gar kein Anspruch besteht, da ja kein Text vorliegt. Fast alles ist momentan Eiertanz, und diese Eier sind roh und sehr dünnschalig – so dünn wie die Erdkruste an Vulkanen.
Krieg ich das Einschreiben mit den Fahrtgeldern gleich n i c h t losgeeist, dann bekomm ich das Geld vom Sohn des Galeristen Jesse; bei ihm werden wir heute nacht unterschlupfen. Der Bus nach Hamburg geht um 17 Uhr ab ZOB Messe. Preiswerter übrigens, als ich dachte, und v i e l preiswerter noch, als die Bahn selbst mit Bahncard50 gewesen wäre. Man kann das also nur empfehlen: >>>> HARU Reisen oHG. Der Junge fährt umsonst, ich selbst zahle für Berlin-Hamburg und zurück 42 Euro.

Gearbeitet hab ich gestern sonst nichts. Ah ja, >>>> mare möchte für den Herbst eine auf Stromboli spielende Kurzgeschichte haben. Nun sind v i e r literarische Projekte mit dem Stromboli-Aufenthalt verbunden: die Dichtung für den Kunstband, das Hörstück, die Reportage und die Kurzgeschichte. Von Arbeitsmangel läßt sich‘s nicht sprechen und, geben Sie‘s zu!, von einem „Urlaub“ gewiß nun auch nicht.

9.10 Uhr:
Ich h a b das Einschreiben… erwischte tatsächlich die zuständige Zustellerin, und die Übergabe war völlig problemlos. Nun reise ich ruhig.
Erledigungen nunmehr. Gepackt ist auch noch nicht.

10.24 Uhr:[Arbeitswohnung. Savatore Sciarrino, L‘Histoires d‘autres histoires.]
Letztes Zeug & latte macchiato; Cigarillos für >>>> die Loggia des Hotels verpackt; in der Väter-WG >>>> auf Stromboli noch einen Internet Point recherchiert, der gehört aber zu einem anderen Hotel als dem, in dem ich mich aufhalten werde. Ich wil dennoch versuchen, in dem anderen Hotel für Die Dschungel arbeiten zu dürfen; Gastgeschenke (drei Exemplare >>>> meines Sizilienbuchs hab ich dabei und zehn CDs >>>> meines Notturnos von 1998 für den DLF; halt alles leider auf Deutsch. Es müßten dringend mal italienische Übersetzungen entstehen. Außerdem nehme ich, ebenfalls als sozusagen Ausweis, neun MEERE bei VOLLTEXT mit; >>>> ich bin ja ganz gut auf der Zeitung erkennbar. Lesestoff habe ich außer >>>> dem Vulkanlehrgang für meinen Jungen keinen dabei; ich will ja schreiben.
Mit Do telefoniert; sie erledigt die Überweisungen und will das Geld nicht zurück, sondern möchte gerne an den Musikaufnahmen partizipieren, die ich über die Jahre gesammelt habe und unter denen vieles ist, das man am Markt entweder nicht mehr bekommt oder noch nie bekommen hat. „Dieses klingende Wissen“, sagt sie, „ist mit Geld doch gar nicht aufzuwiegen.“ Es ist wie mit den „geheimen“ Büchern, etwa Powys‘ „Glastonbury Romance“ oder Lezama Limas „Paradiso“: sie existieren, existieren auch ganz öffentlich, aber wenige Menschen sind in Versuchung, diesen Fafnirhort auch nur mal anschaun zu wollen, und so werden die Schätze, wie >>>> Arno Schmidt einmal schrieb, immer nur von wenigen Händen in immer nur wenige nächste durch die Jahrhunderte weitergereicht; allen übrigen bleiben sie kabbalistisch verschlossen. Und sie wissen nicht, was ihnen entgeht… Was mich meine ökonomische Situation so vergleichsweise leicht ertragen läßt, ist das Bewußtsein, zu den Eingeweihten zu gehören. Das ist keine arrogante Feststellung, denn der Weg steht ja jedem anderen ebenfalls offen. Diese anderen w o l l e n aber nicht; sie wehren ihre mögliche Einweihung sogar mit Widerwillen ab.

Leichte Reise-Nervosität, wie immer: kurz bevor es losgeht.

Doch, eines n e h m e ich mit: Ungarettis späte Gedichte, original & in den Bieberstein-Übersetzungen.Erschienen bei, jajajajaja, >>>> H e y n e. (Mein Traum b l e i b t: dort ebenfalls eines Tages zu publizieren.)

11.31 Uhr:
[Auf dem Gang vorm Meldeamt Fröbelstraße.]
Will mich eben nach Berlin zurückmelden; noch bin ich ja in Bamberg gemeldet. Als ich die Arbeitswohnung verließ, fand ich im Briefkasten >>>> das. Sozusagen als vorstrombolianischen Abschiedsgruß meiner Stadt, die ich dennoch weiterliebe.

12.50 Uhr:
Ewiges Hin und Her auf dem Meldeamt, weil der Computer meinen Sohn nicht erfassen wollte, obwohl der seit 2001 im Reisepaß eingetragen ist. Und dann: >>>> d a s. Dennoch, die Dame war im übrigen freundlich und bemüht.
Jetzt bin ich in Eile.

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