Augsburg Brecht Connected (1). Arbeitsjournal. Sonnabend, der 14. Juli 2007.

11.29 Uhr:
[Steigenberger Drei Mohren, Augsburg.]Etwas desolat war die Abendveranstaltung dann s c h o n; nicht sehr gut vorbereitet vom Moderator; Texte, die voneinander nichts wußten und sich erst am Ende, weil Kermani einen übrigens sehr schönen Text sehr geschickt aussuchte – spontan, er hatte zwei Bücher vor sich -, ein wenig aufeinander bezogen. Die Frage, was denn nun eine Zensur sei, welches die Gründe für Verbote seien usw., wurde imgrunde gar nicht gestellt, und es war wiederum Kermani, der, allerdings v o r der Veranstaltung, darauf hinwies, Buchverbote in diktatorisch geführten Ländern seien ja nun etwas anderes als solche aufgrund einer GrundgüterrechtsAbwägung in Demokratien. Recht hat er. Selbst die Katastrophen, die das gegenwärtige Urheberrecht künstlerisch anrichtet, lassen sich wirklich nicht mit d e n Katastrophen vergleichen, die menschlich, existentiell, grundsätzlich von Diktaturen verschuldet werden – gleich ob von solchen religiöser oder politisch-ideologischer Couleur. Eine abgeschlagene Hand ist etwas anderes als eine herausgerissene Seite. Punkt.

Dann wurde der Abend, wurde die Nacht aber schön! Nachmittags bereits erhielt ich eine SMS im ICE: „Sind Sie schon in Jena Paradies?“ Kein Absender, nichts. Nur halt die Nummer. Ich: „Schon darüber hinaus, hinter Saalfeld. – Wer fragt?“ Darauf, trocken: „>>>> Buschheuer“. Ich freute mich, schnallte aber immer noch nichts. Erst als ich im Hotel eincheckte, las ich auf der Liste, in die man sich eintragen mußte, Else Buschheuers Namen.
So reiste sie denn an, stand um 22 Uhr am Veranstaltungort, in einem roten samtenen, ziemlich ausgeschnittenen Abendkleid und grinste, als ich herankam.Wir fielen uns einfach in den Arm, „vertragen wir uns wieder?“ fragte sie. „Wir vertragen uns wieder“, sagte ich. So wurde es denn alkoholisch ausgelassen im hiesigen Capitol.
Bis vier Uhr ging’s, daß wir schwankend im Hotelfoyer standen, ich noch Zigaretten ziehen wollte, was natürlich nicht funktionierte… und als ich zurück ins Foyer wankte, war Buchheuer bereits fort. Auch zum Frühstück auf der Terrasse hab ich sie noch nicht gesehen. Immerhin mit Feridun Zaimoglu, den ich überhaupt nicht wiedererkannte, weil er sich äußerlich so verändert hat, nett geplaudert, die Co-Direktorin der Villa Massimo stieß hinzu – dann weitere Gespräche andernorts, gelockert, freundlich, über MEERE und die Erzählungen aus den westdeutschen 60ern darin, die verkrampfte, verklemmte Szenerie falscher VergangenheitsbewältigungsDynamiken und und und. Jetzt bin ich kurz aufs Zimmer gegangen, um zu duschen und für Sie Die Dschungel zu führen. Ich geh übers Mobilchen ins Netz, weil mir das HotelAngebot zu Wlan viel zu teuer ist. Bilder (es gibt welche) kann ich ja hochladen, wenn ich morgen abend in Berlin zurücksein werde… ach, ich versuch es einfach schon jetzt… etwas Zeit hab ich ja noch bis zur nächsten Veranstaltung… (12.02 Uhr:aber das b r a u c h t….Mal sehen, was der wundervoll warme Tag heute noch bringt. Ich grüße Sie wohlgemut alle.

12.14 Uhr, P.S.:
Ein sehr schöner Brief kam von Jan Röhnert mit sehr viel Zustimmung zu AEOLIA, aber auch mit ein wenig Kritik. Ausgesprochen spannend ist dieses Argument:Zum anderen, und jetzt argumentiere ich von den Dingen her, die der Lyriker in den Blick bekommen will: das Einfache, Zufällige, Unerwartete, Konstellationen meinetwegen bis zum Alltäglich-Wunderbaren hin, das kann ein erhabener Gestus nicht mehr in seiner Einfachheit, mitunter reizenden Banalität belassen, sondern muss gleich einen erhabenen Gegenstand daraus machen. Damit entfernen sich die Dinge zu weit von der gewöhnlichen Erfahrung, der sie doch eigentlich angehören sollten; und die Würde der Dingwelt bleibt m.E. nur erhalten, wenn man sich ihr auf gleicher Ebene nähert – oder ohne den Erhabenheitsvorschuss, der sich schnell verbrauchen könnte (wenn es hinterher dennoch erhaben wird, umso besser).Ich werde, wenn ich wieder in Berlin bin, darauf eingehen.

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