Arbeitsjournal. Donnerstag, der 23. August 2007.

8.34 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Indem ich mich, viel zu spät heute, an das Ende der elften Elegie setzte, fielen mir >>>> die Anfangssätze meiner ersten Heidelberger Vorlesung ein. Interessanterweise, für mich selbst, sagen sie ebenso viel über die Haltung meiner Romane seit, sagen wir, 1993, wie über die Überlegungen zur Lyrik, die mich derzeit beschäftigen und aus deren Ausgangsposition sich zunehmend stärker Ezra Pound schält – und zwar seit ein paar Tagen in bewußter, das heißt formulierter Gegenpositionierung; allerdings: wie viel Bildung braucht man, um die Cantos wirklich zu verstehen! Wiederum kommt es mir nicht wie ein Zufall vor, daß ich heute morgen auf Klo die ersten Seiten seiner „Frauen von Trachis“ las, die mir spontan wie ein Gegenstück zu >>>> Hans Henny Jahnns „Medea“ erschienen. Aber das ist nur ein erster Eindruck..
Die Frage des Pathetischen wird nachdrücklich.
Gestern abend rief DB, der väterliche Freund, an, der >>>> die Gedichte bekommen hat und ganz gücklich damit zu sein scheint; er sagte, letztlich finde sich immer eine Wendung, die die Form wieder herstelle; er spricht von „Emotion und Kühle“, die er bei den Gedichten empfinde und m e i n t mit der Kühle die Form. „Letztlich bis du ein Formalist“. Ich finde die Bemerkung deshalb spannend, weil ich bei meinen Gedichten im Gegenteil immer die Angst vor dem Kitsch habe: daß ich eine Spur zu weit gehe darin, Emotion „einfach so“ auszudrücken; manches hätte ich gerne noch sehr viel gebundener, strenger, und zwar, um die Emotionen wirklich loslassen zu dürfen, ohne daß sie in Kehlen geraten, die mit ihnen herumgrölen. Die Form muß so streng, so „kalt“ sein, daß ein sogenannter Neonazi, dessen Tumbheit meinte, etwa meine Kategorie der „Herkünfte“ auf seine von Bier abgestandene Zunge nehmen zu dürfen, sich diese Zunge daran erfriert. Umgekehrt kann es keine Option sein, über Herkunft aus Angst davor nicht mehr zu sprechen – sie politisch zu tabuisieren -, irgendjemand könne sich das auf die Fahnen schreiben. Sondern es muß s o darüber gesprochen werden, daß es auf Fahnen nicht paßt. (Diesen Satz past‘ ich mal gleich in die Heidelberger Skizzen hinein.)
Nachdenklich stimmte mich auch DBs Bemerkung, die Gedichte der deutschen Sprache zeichne ein fast ständige Präsenz des Todes aus, ein gutes deutsches Gedicht sei „i m m e r irgendwie abgründig“; dagegen hielt er zum Beispiel französische Gedichte, deren Eleganz und höchste Intellektualität und auch deren Ironie bestächen; ich kann das im Bereich der Musik nachfühlen, noch bei Berlioz sind Todesstücke, ist selbst der Hexensabbath der Fantasique ein letztlich immer noch von Eleganz gezeichneter diplomatischer Akt; allerdings bricht das bei Ravel, etwa in „La Valse“, die als dionysische Prozession in den nächsten Weltkrieg hineinzutanzen scheint, völlig zusammen.

Die Eigendynamik der rhythmischen Textrevisionen, aus der immer wieder neue Einfälle entstehen, läßt mich seit gestern mittag den angemessenen Dreh ins Ende der elften Elegie nicht finden. Ich stochere und stochere. Nannte es gegenüber der Geliebten einen „Kampf“. Sie: „Immer Kampf, Alban, immer ist, was du tust, Kampf.“

16.10 Uhr:
[Brahms, Cello-Sonaten.]
Ich versuche es mal wieder mit den Elegien und Musik, um mir etwas die Verkrampfung im Kopf zu nehmen, und bin einmal mehr über den Klang meine Nakamishi-Cassettendecks erstaunt; nur daß die Cassetten immer wieder „aussetzen“, weil sie sich auf den Transportrollen mechanisch abwickeln; das ist jetzt mehrmals bei verschiedenen Cassetten passiert, und ich bin mir ganz unsicher, ob es an ihnen liegt, die ja durchweg über zwanzig Jahre alt sind, oder am Deck, das kaum weniger Jahre auf dem Buckel hat; ich bin ihm erstmal mit Kontaktspray zu Leibe gerückt – alles, während ich im Kopf an Formulierungen herumdenke; mir sind bei meiner Nebenbeschäftigung tatsächlich einige, ich meine: sehr schöne eingefallen. Die Arbeit geht aber mit Musik entschieden langsamer voran, wohl weil sich das rhythmische Innenohr zwischen Musik und Vers „aufteilen“ muß. Außerdem suche ich wie blöde eine Reinigungscassette, von der ich mir sicher bin, daß ich sie noch irgendwo herumliegen habe; sowas schmeißt man schließlich nicht weg… Jedenfalls ist der Cassettenklang, zumal mit dem großen Acuphase und den britischen ProAc’s kombiniert, unvergleichlich schöner als alles, was ein Computer selbst qua Wave, geschweige per mp3 zustandebekommt. Die musizierenden Instrumente stehen quasi im Zimmer. Genauso dürfte das, fürchte ich, bei Nachbars ankommen.
Damit Sie was zu schmunzeln haben, teile ich hiermit noch öffentlich mit, daß ich meinen ebenfalls gewiß zwanzig Jahre alten Kühlschrank abtaue, was ich seit 1994 nicht mehr getan habe – und quasi jede Stunde den Küchenboden aufwischen muß. Das geht so seit gestern mittag; anderthalb Eimer Wasser sind bereits die Klospülung hinuntergerauscht; und immer noch ist Eis im Kühlfach.

[Liszt jetzt: Dante-Sonate (Alfred Brendel);
wieder in Loyolas „Bericht des Pilgers“ gelesen.]

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