Paul Reichenbachs Freitag, der 23. November 2007. Der gute Mensch von Wilna.

SHEN TE: O Freude! Ein kleiner Mensch ensteht in meinem Leibe.
Man sieht noch nichts. Er ist aber schon da.
Die Welt erwartet ihn im geheimen.
In den Städten heißt es schon:
Jetzt kommt einer, mit dem man rechnen muß.

Nicht von ungefähr wird sich heute der Erzähler in Pauls Leben einzumischen versuchen. Und nicht ohne Grund ist ein Zitat aus Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ voran gestellt. Sich einmengen in Handlungen, die erst noch geschehen werden, sie gleichsam vorweg nehmen, das ist für einen Erzähler, der dazu extra von einem anderen Erzähler erfunden wurde, nicht einfach. Das Persönlichkeitsrecht von Avataren, die, um im Netz überleben zu können sich selbst wiederum Avatare erschaffen und deren Eigenverantwortlichkeit, haben in Gesetzesnovellen und in Gerichtsentscheidungen noch nicht ihren adäquaten Niederschlag gefunden.
Der heutige Novellist bewegt sich, sobald er reale Wahrheiten über sein virtuelles Personal verrät, auf sehr dünnen, unklaren juristischen Eis. Sympathien, die er Paul und R. gegenüber hegt, sind allerdings einem solchen Vorhaben eher hinderlich als fördernd. Doch bevor R. und Paul sich weiter ungehemmt in ihre amour fou stürzen, oder auch nicht, müssen einige Angelegenheiten öffentlich gemacht werden. R, die immerhin – im Gegensatz zu Paul – noch eine reale Existenz zu begründen zu verteidigen hat, und wirklich von ihm geschwängert wurde, da gibt es keinen Zweifel, ist in der achten Woche. Das Geschehen ist nicht zu erklären. Vernunftbegabte Menschen halten jene für verrückt, also auch den Überbringer dieser Botschaft, die sich der unglaublichen Fiktion hingeben eine Kopulation zwischen Avataren oder sogar eines Avatars mit einer real existierenden Person sei möglich. Aber Lust und Liebe, -das wissen all jene, die schon in Gründe fielen, welche das Blut zittern machen, – ist keine Sache alltäglicher Vernunft. Wirklich ist immer auch das, was möglich, was geträumt oder gelesen werden kann. Auch wenn wir das nicht glauben wollen. R., heben wir sie jetzt endlich aus dem abstrakten protokollarischen R.(punkt), heißt eigentlich Rita, hinter der sich ein anderer Name verbirgt, der hier aus Diskretion nicht genannt werden soll. Rita also, – das weiß der Erzähler schon seit langem bevor Paul überhaupt eine Ahnung entwickeln konnte, – wird Paul heute, – gegen Nachmittag treffen sie sich, – einiges von sich berichten, das ihm noch lang in den Ohren klingen und schlucken lassen wird. Mehr davon morgen. Ob dann Rita oder Paul oder gar wieder der Erzähler Berichterstatter sein werden, muss der morgige Tag entscheiden.

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