Paul Reichenbachs Montag, der 18. Februar 2008. Hic Rhodus, hic salta!


Der Tod ist groß.
Wir sind die Seinen
lachenden Munds.
Wenn wir uns mitten im Leben meinen,
wagt er zu weinen
mitten in uns.
… (Rilke)

Die Angst vor dem Tod
als die Angst vor dem Unerfüllten…*

Ich muss mein Leben endlich in die eigenen Hände nehmen, dachte ich auf der Heimfahrt, legte den 5. Gang ein, trat das Gaspedal bis zum Boden durch, der Motor, bis er sich auf die Forderungen meines rechten Fußes eingestellt hatte, heulte kurz auf um dann, wenn auch mit höherer Drehzahl, wie gewohnt zu schnurren. Immerhin, der kleine Fabia fährt ohne Probleme 190 h/km, einzig die Fahrwindgeräusche und ein leichtes Schlingern erinnern daran, dass die Karosse für solche Geschwindigkeiten nicht konstruiert ist. Seltsam, da will ich mein Leben endlich in die eigenen Hände nehmen und gebrauche statt ihrer als erstes den rechten Fuß. Der Tritt aufs Gaspedal täuscht, als seien Beschleunigung und Geschwindigkeit Merkmale von Autonomie, Selbstbestimmtheit vor, die, sollte es mir im Fall von R. nicht gelingen Abstand zu gewinnen, irgendwann im Crash enden muss. Menschliche Katastrophen sind ja nichts weiter als ausdrückliche Ereignisse dafür, dass der Mensch in der Lage ist sehenden Auges seine Handlungsvollmacht an sein singendes Blut zu verlieren, das viel zu oft über den Verstand mit Lust triumphiert. Die Faszination am Untergang, ein Weltenekel, die Eruptionen des Leibes – ein Sog apokalyptischen Maelstroms – ziehen offenbar mehr an, als jede Aussicht auf ein vernünftiges, ausgewogenes und harmonisches Leben. Wenn es so ist, dass wir nur einen kleinen Teil von dem leben können, was in uns ist – was geschieht mit dem Rest?* Dantes „Lasst alle Hoffnung fahren..“, ein Satz, der sich seit 1989 immer mehr festfrisst evoziert nahezu die Frage nach dem Rest, der sich bis dato unerkannt und passiv in den hintersten Winkel meiner Eingeweide verbarg. Jetzt, im Altwerden tritt er hervor und rebelliert. Die Welt indessen -die Große – macht es ihm vor, gestern wurde wieder ein europäischer Zwergstaat aus dem Appendix längst tot geglaubter Reiche geboren und die Schlacht vom Amselfeld noch einmal geschlagen. Welche Torheit!
Auf ähnliche närrische Weise reagiert meine kleine Welt. Mein rebellierender Rest, ein Partisan des Blutes, noch drückt er sich nur in Drehzahlen aus, wartet auf sein Schlachtfeld. Seiner Feindschaft gilt es Paroli zu bieten, damit >>>Carl Schmitts Theorie des Partisanen sich an mir nicht bestätigt: „Die Feindschaft wird so furchtbar werden, dass man vielleicht nicht einmal mehr von Feind oder Feindschaft sprechen darf und beides sogar in aller Form vorher geächtet und verdammt wird, bevor das Vernichtungswerk beginnen kann. Die Vernichtung wird dann ganz abstrakt und ganz absolut. Sie richtet sich überhaupt nicht mehr gegen einen Feind, sondern dient nur noch einer angeblich objektiven Durchsetzung höchster Werte, für die bekanntlich kein Preis zu hoch ist. Erst die Ableugnung der wirklichen Feindschaft macht die Bahn frei für das Vernichtungswerk einer absoluten Feindschaft.“ Der revoltierende Rest, dieser romatische Ausleger meiner Existenz, der so gern das Ganze wäre, ist in seine Schranken zu weisen. Hic Rhodus, hic salta!

*>>>Pascal Mercier „ Nachtzug nach Lissabon“

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