Der Tag mit all seinen Anmutungen und Forderungen kriecht heute schmutziggrau und nasskalt an meinem Bürofenster empor. Kein Tag für ein Tb. Am liebsten würde ich mich ins Bett legen und schlafen. Die Nacht war unruhig. Ich träumte, R. hätte schon entbunden und das Kind, ein Mädchen, würde nur aus Glas bestehen. Der kleine Leib war durchsichtig, Man konnte sehen, wie das Herz schlug und wie das Blut durch die Adern floss. Ich muss vor Entsetzen geschrieen haben, so laut, dass ich davon aufwachte. Völlig verschwitzt schaute ich auf den Wecker. Es war 4.00 Uhr. Einschlafen konnte und wollte ich nun nicht mehr. Der Schrecken, der Anblick der gläsernen Neugeborenen sitzt mir in den Gliedern als ich das Bad betrete…
8.00 Uhr:
Übe dich auch in den Dingen,
an denen du verzweifelst.“
Marc Aurel: Selbstbetrachtungen XII, 6
Im Büro bestätigte sich wieder einmal dass manche Redewendung erst in der Umkehr ihre wahre Bedeutung erfährt. Gorbatschows Satz, von vielen kolportiert, erweist sich in meinem Fall als reine Irreführung. Erst in der Umkehr wird er für mich wahr: Wer zu früh kommt, den bestraft das Leben. Und ich war zu früh. Ergo nahm man mich gleich in Beschlag. Zwei Kollegen hatten sich krank gemeldet und ich muss sie vertreten. Wäre ich später eingetrudelt, da bin ich sicher, hätte das Los einen andern getroffen.
Den Tag, diesen Mittwoch, kann ich vergessen. Denn auch heute Abend werde ich wenig Zeit für mich haben. Besuch droht. Der Nachbar kommt.