Du lieber Gott! Was so ein Mann
Nicht alles, alles denken kann.
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Als ich heute Morgen auf der Bettkante saß und mir die Augen rieb, war dies der Müdigkeit geschuldet, und nicht etwa einem Erstaunen darüber, dass ich mich in einen Käfer verwandelt hätte. Dergleichen gibt es nur in der Literatur. Unsereiner wacht ganz normal und völlig unverwandelt auf, wie viele andere auch. Mutationen und Metamorphosen, oder glorios komische und tragische Entwicklungen können sich nur solche Geschöpfe leisten, deren Lebensräume sich zwischen Buchdeckeln verstecken. Und manchmal, wenn der Tag so grau beginnt wie er gestern endete, denkt so einer wie ich: Man müsste Samsa heißen oder Castorp. Dann hätte man nicht die Mühen des Alltags und wäre doch versorgt. Eine Schwester würde das Essen ans Bett bringen oder die Geliebte mit schrägen Augen, von der man in der Schulzeit, als sie noch unverwandelt, einst einen Bleistift borgte, man war gerade beim Abendbrot, lockt mit dem Klang einer zuschlagenden Tür. Das Leben, lebte man als Romanfigur, ist ungeachtet wie und auf welche Weise es endet, einfacher, klarer und logischer als jede reale Existenz. Das heißt nun nicht, dass der gelesen auch verstanden wird.
Heute Morgen wäre ich gern, und hätte meine Mannen die Perspektive des Räderns nicht fürchtend, um mich geschart, als Kohlhaas aufgewacht. Der Teufel erfüllt, vorausgesetzt man erkennt seine Existenz an, bekanntlich jeden Wunsch; und der Glaube, wie das Sprichwort sagt, soll ja Berge versetzen. Mir aber waren leider heute Morgen keine Pferde von irgendeinem Junker zu Schanden gebracht worden, denn außer meiner Brille auf die ich noch morgentranig im Taumel des Erwachens trat, war alles wie gewohnt in seiner alten Ordnung. Ich stand auf, löffelte ein Müsli, trank meinen Tee und las die Zeitung, setzte mich ins Auto und fuhr ins Büro. Schon an der Pforte empfing man mich mit den Worten: „ Sie müssen Herrn X und Frau Y heute vertreten“. Nix war da mit Kohlhaas, bis auf das Gefühl, dass ich mich wehren muss. Der Wunsch ist der Vater des Gedankens. Doch zwischen Gedanken und Taten klaffen Klüfte. Leider.
Eine Romanfigur könnte sie überwinden. Aber wer lebt schon gern zwischen und in den Zeilen?