Gestern war mir über die Schwägerin die Benachrichtigung über ein Einschreiben an die alte Adresse zugekommen. Ich wußte schon, worum es ging: eine der Bescheinigungen für die Einkommensteuererklärung von einem meiner Arbeitgeber. Da mußte ich dann notgedrungen die alte Straße wieder entlangfahren bis zur Post im Dorf. Ein wenig Furcht hatte, Leuten von einst zu begegnen, also solchen, mit denen ich dann schon ein paar Worte wechselte, solange ich noch da war. Was aber nicht passierte. Statt dessen ein im letzten Moment vermiedener Unfall. Ein altes Bäuerchen fuhr einfach auf die Hauptstraße, auf der ich ankam. Ich dachte erst, er fährt schon mal vor in der Absicht, mich dennoch erst vorbeizulassen. Nein, er steuerte stur auf meine Fahrbahn. Rechts war glücklicherweise Platz zum Ausweichen unter wildem Gehupe meinerseits, der Abstand war mittlerweile immer geringer geworden. Vollbremsung sowieso, sonst wäre ich ihm in die rechte Seite gefahren. Er hielt weiter vorn an, ich selbst stieg auch aus dem Auto, ging zu ihm hin und schiß ihn ziemlich wütend zusammen. Denn anfangs fragte er verdutzt: „Von wo sind Sie denn gekommen?“ Daß ich nicht vom Himmel kam, wird er dann hoffentlich begriffen haben. Auf der Post schien die Dame mich nach mehr als einem Jahr nicht vergessen zu haben, den Umschlag hatte sie bereits nach vorn geholt, als ich mit meinem Benachrichtigungskärtchen dran war. Ähnlich ging’s mir hinterher in Amelia beim üblichen Tabaccaio. Auch dort mußte ich erst warten. Also fingerte ich schon meinen 10-Euro-Schein heraus und faltete ihn der Länge nach. Als ich dran war, erhielt ich die beiden Schachteln und das Restgeld, ohne auch nur irgend etwas sagen zu müssen. Da habe ich dann doch gelacht. Beim Einkaufen in Amelia hatte ich aber dennoch die Begegnung, die ich statt dessen im Dorf von einst befürchtet hatte. Vincenzo und Mara (die anfangs unsere Putzfrau gewesen) wußten natürlich von nichts, also davon, daß ich dort nicht mehr wohne. Dennoch war die beiderseitige Verlegenheit sehr viel geringer, als ich noch dachte, als ich sie an der anderen Kasse – selbst noch unbemerkt – bemerkte. Und hätten sie mich nicht bemerkt, ich weiß nicht, ob ich mich selbst ihnen bemerkbar gemacht hätte. – Es ist, als wollte ich so viel von all dem Drumherum negieren, was nur als ein Nebenbei an die Hauptsache erinnert. Nie würde ich beispielsweise wieder dort Zigaretten kaufen, wo ich’s noch vor einem Jahr tat. Oder die alten Supermärkte aufsuchen. Ich weiß nicht, was O. von all dem verstanden hat. Seit ihrem Auftauchen hier 2-3 Wochen vor Ostern und dem raschen Abgang, der – wie ich später hörte – darauf beruhte, daß ich sie im Flur abgefertigt hätte („Er hat mir nicht mal die Wohnung gezeigt.“), wobei dieser sogenannte Flur mein damals noch nicht eingerichtetes Wohnzimmer gewesen ist, in dem jetzt ein Sofa steht, und für das ich morgen in Rom weiteres besorgen werde. Seitdem herrscht absolute Sendepause. Morgen fährt/fliegt (ich weiß es nicht) sie mit ihrer Schulklasse nach Berlin. Sie hat mich diesmal nicht gebeten, die Tiere während ihrer Abwesenheit zu füttern. Was mir nur Recht ist. – Aber ich sah’s wieder von der Straße aus, das Haus, das gelb angestrichene. Zeternd auch, ja doch. Hadernd meinetwegen auch. Mit ihr, mit dem Haus. Mit dieser Fahrt zum einstigen Dorf.
Dank an >>> Paul Reichenbach für diesen Hinweis. Ich schaue täglich immer auf den, den ich „meinen Berg“ nenne. Es ist eine gute Anregung.