ich fahre erst heute mittag….

…. wollte wie beabsichtigt gestern abend fahren, tat es aber nicht. der elbtunnel war schon wieder dicht, aus diesem grund werde ich nachher auch mit dem zug fahren. in allen kleinen käseblättern, die in unserer region erscheinen, wird vor diesem wochenende gewarnt, weil die reisewelle rollt. ich müßte ja am sonntagabend wieder zurück und in richtung norden wieder durch den tunnel, die 5 stunden der rückfahrt am letzten wochenende will ich mir aber nicht nochmal antun. was mich an diesem zeitaufwand von 5 stunden so maßlos ärgerte, war die tatsache, daß auf den für die verkehrsführung vor dem tunnel angebrachten symboltafeln die linke spur der zweispurig zu befahrenen röhre mit einem roten kreuz markiert war, was alle autofahrer dazu veranlasste, vor dem tunnel einfädeln zu wollen/müssen. nur…. das einfädeln scheint für viele menschen ein problem zu sein. sie wollen immer niemanden in die spur lassen, verteidigen ihren platz in der kolonne regelrecht. ich bekam richtig ärger, weil ich es wagte, fünf autos vor mir die einfahrt zu gewähren. ein hinter mir erklingendes hupkonzert und ein gehobener mittelfinger waren das ergebnis. den gehobenen mittelfinger klärte ich, währenddessen konnten noch mehr autofahrer vor meinem stehenden wagen in die rechte spur wechseln. im tunnel erwies sich sehr schnell, daß diese spur definitiv befahrbar war, was einige autofahrer regelrecht ausrasten ließ. mit aufbrausendem vollgas und quietschenden reifen brachen sie aus der rechten spur aus, rissen das lenkrad rum und knallten die linke spur runter. es half ihnen aber nicht, kurz hinter der ausfahrt volksparkstadion stand die kolonne, dann auf allen drei spuren, ich mitten drin, schon wieder. ich fuhr hinter dieser abfahrt die nächste runter. ich habe kein navi, will ich auch nicht, weiß aber, daß wenn ich mich in zwei verschiedenen richtungen halte, ich immer nach hause finde. ich hielt mich in richtung heide/husum, quickborn, was alle, die diese abfahrt runterfuhren, aber auch taten, also stand ich wieder im stau. wenn ich mich irgendwo in hamburg verfahre, weiß ich, daß ich nur in richtung flughafen zu fahren brauche, von dort aus bin ich schnell zu hause. von der autobahn aus in richtung husum/heide kommt dann irgendwann ein schild, welches mir sagt, wo es nach schnelsen geht… dann bin ich auch schnell daheim.
meiner tochter geht es gut. sie ist nur so ungeduldig, will wieder nach hause. die entzündungswerte haben sich normalisiert, auch das fieber ist wieder runter. sie hat allerdings ein problem mit den infusionen, die braunülen sind jeweils spätestens nach 12 stunden dicht, weshalb immer wieder ein neuer zugang gelegt werden muß. gestern schlug ich dem arzt am telefon vor, doch einen butterfly mit einer sehr dünnen nadel zu nehmen. sie bekommt drei mal am tag dieses antibiotikum, außerhalb des gebens dieses medikamentes wird die braunüle immer stillgelegt. ein butterfly hat nur eine ganz kleine, kurz dünne nadel, den kann man gleich nach der infusion wieder entfernen. „das ist eine gute idee, dann müssen wir allerdings drei mal am tag an einer anderen stelle stechen.“ „ja, aber die vene kann sich dann gleich wieder schließen, es ist nicht so schmerzhaft wie eine ständig verstopfte braunüle.“ ich riet ihm dann noch dazu, einen butterfly zu nehmen, der eigentlich für kinder verwendet wird. „sie kennen sich so gut aus, woran liegt das?“ „erfahrung mit dem eigenen körper, und das wissen, wie der körper meiner tochter auf bestimmte dinge reagiert. sie will diese braunüle nicht, sie haßt nadeln aller art, es ist eine abwehrreaktion, die ihr körper dann ausagiert. ein butterfly ist danach gleich wieder raus aus der vene, damit kann sie besser leben, als mit einer stillgelegten braunüle. sie wartet förmlich darauf, daß die braunüle verstopft, weil es dann einen grund gibt, sie entfernen zu müssen. sie will immer nichts in ihrem körper haben, was da nicht hineingehört.“ der arzt hörte auf mich. die letzten beiden infusionen bekam sie über einen butterfly, und mein kind ist erleichert, weil sie nicht damit beschäftigt ist, sich ständig dagegen wehren zu wollen. sie weiß eben, daß diese kleine nadel danach gleich wieder entfernt wird.
ich sprach mit dem arzt auf der station auch noch einmal über das ergebnis der biopsie. „natürlich steht das im raum, was sie da sagen, andererseits ist es auch ein beweis dafür, daß der tumor wirklich ein noch begrenztes wachstum aufwies. wir haben den tumor aus gesundem gewebe entfernt, somit ist die prognose eine wirklich sehr gute.“ mit der aussage war ich aber nur teilweise zufrieden.
meine schwester rief noch an: „ich habe dein bett schon frisch bezogen, ich will jetzt einkaufen, was möchtest du denn essen?“ auch rief mein bruder noch einmal an. das meine geschwister so für mich und meine tochter da sind, bedeutet mir sehr sehr viel. es entsteht in mir ein anderes, aber eigenes familiengefühl. wir wissen wirklich, wenn einer von uns in not ist, daß die anderen dann für ihn da sind.
meine schwester verbrachte vor einem halben jahr tage und lange nächte am bett meines bruders, als er mit dem abgerissenen bizeps im krankenhaus lag. narkosen haben bei ihm immer verheerende auswirkungen, er ist danach tagelang nicht bei sich. seine frau kümmerte sich damals nicht, was meine schwester dann übernahm. die ärzte bekamen damals den blutdruck meines bruders nach der operation nicht wieder runter, völlig wirr unter einer massiven dosis diazepam stehend fand meiner schwester ihn im bett. er war garnicht ansprechbar, agierte aber wie ein stehaufmännchen… die dosis diazepam, welche einen elefanten hätte flachlegen können, beruhigte ihn nicht, daß gegenteil war der fall. er war fast nicht im bett zu halten, wollte immer wieder raus. meine schwester schaffte es dann, daß der blutdruck runterging. sie blieb die ganze nacht, wusch ihn erst einmal, zog ihm etwas frisches an, ließ ihn reden und reden und reden, legte ihre hände auf seinen bauch, was ihn jedes mal beruhigte. irgendwann spät in der nacht schlief er tatsächlich ein, der blutdruck war dann am morgen normal. er schlug die augen auf: „was machst du denn hier, wieso sitzt du an meinem bett, wer hat mir die sachen angezogen?. wo ist meine frau?“ er konnte die letzten zwei tage nicht erinnern. seiner frau nahm ich ihr verhalten damals sehr übel, noch nicht einmal nach der operation fuhr sie zu ihm.
gestern mittag ging im büro garnichts mehr. mein chef sah mich an: „sie fahren besser jetzt nach hause, legen sich ins bett und verordnen sich eine runde tiefschlaf.“ er erkannte meinen zustand, ich war kaum noch aufnahmefähig, hatte meine eigene grenze erreicht. ich brauche in solchen situationen immer eine weile, bis ich eigene reaktionen zulassen kann, manchmal dauert so etwas wochen, monate. es ist wie ein erstarrter innenzustand. auch deshalb fahre ich erst heute, ich brauchte eigenen raum, in dem ich zulassen konnte.
meinem bruder, der ja dieses wochenende hier bei mir schlafen wird, weil er hier in der stadt arbeit hat, hinterlasse ich meinen wohnungsschlüssel bei der nachbarin. auch für ihn ist das bett frisch bezogen, der kühlschrank ist voll. die ruhe, das alleinsein können, zeit für sich selbst zu haben und auch der abstand von der familie werden ihm gut tun. ich habe ihm eine gute zigarre auf den tisch gelegt und eine flasche rotwein dazu gestellt. eine konzertkarte für heute abend und eine anfahrskizze liegen daneben. er wird sich freuen, hat er doch zuhause in dem täglich ihn auffressenden rhythmus kaum zeit für solche eigenen momente.