Arbeitsjournal. Freitag, der 29. August 2008.

5.25 Uhr:
[Arbeitswohnung. Bach, Kunst der Fuge (Orgelfassung), Glenn Gould (Cass.-„Projekt“, Nr. 8).]
Latte macchiato, schon einige Zeit. Hatte Dateisalat zu richten am Morgen, war nur umständlich, nicht wirklich ein Problem. Dazu weiter mit meinem Cassetten-Durchhör-„Projekt“. Bis zur Nummer 433 sind meine Tonbandcassetten alphabetisch geordnet, bzw. nach von mir nach Neigung dazu ernannten „Haupt“komponisten, wenn mehrere Komponisten auf einer Cass. zusammenkommen; wie gesagt: Bandmaterial sparen. Hier, auf der Nr. 8, kombiniert sich nun Bach mit einer eher ungewöhnlichen Aufnahme: Gould, der Bizet spielt. Im übrigen war’s ja klar, daß auf Laurie Anderson Bach folgen mußte und dann bald der volle Beethoven anstehen wird.
Mit der Titelfindung sind wir gestern sehr viel weitergekommen; die zündende Idee hatte Tammen, nachdem Schnell schon mit einem superben Untertitel aufgewartet hatte; ich selbst stottere im Poetischen, ja Onomatopoetischen (Schnell) herum; ist ja aber auch eine komische Situation für mich. Noch keine Meldung von >>>> Lebbeus Woods; Tammen hat wegen einer Telefonnummer sehr höflich ans Frankfurtmainer Architekturmuseum geschrieben, aber auch von dort keine, nicht mal eine hinhaltende oder auch nur reservierte Antwort erhalten. Na gut, eine Alternative für den Umschlag ist unterdessen gefunden; ich will aber noch nicht sagen, was, um, falls sich Woods doch noch meldet, nicht jemanden zu enttäuschen.
Mit den Gedichten geht’s langsam langsam weiter; es sind jetzt wirklich die Zweifelsfälle dran, bei denen ich mir ganz unsicher bin, ob ich sie überhaupt in die Sammlung mit hineinnehmen will. Wenn sie aber gelingen, dann doch.
Will etwas lesen heute früh. >>>> Raubmenschen. Gestern abend hat wieder mal jemand in Die Dschungel gekotzt; ich hab es weggewischt, aber nicht runtergespült: die ensprechende Rubrik ist ein Rieselfeld, nicht etwa ein WC. Schön aber, sehr schön, sind >>>> die Dialoge zwischen read An und Knotscher95, der sich von seiner Betrübtheit, daß ihm >>>> die kleine Bierjungfrau verloren gegangen ist, erholt zu haben scheint.

Heute abend >>>> Eröffnungskonzert der neuen Saison im Konzerthaus Berlin.

8.29 Uhr:
[Bach, Kunst der Fuge, gesetzt für vier Gambem und Blasinstrumente. (Cass.-„Projekt“, Nr. 10).]
Lese >>>> Dauthendey und höre dabei solche innigen Seltsamkeiten wie diese Kunst-der-Fuge-Fassung. In einer halben Stunde allerdings geht’s dann ans Cello. Katanga hat mir aus Italien Salami und von „meinem“ alten Alimentari in Olevano Romano dengleichen Prosciutto mitgebracht, den ich mir 1986 ein Vierteljahr lang jeden Morgen bei ihm fürs Frühstück auf Piazza bianca schneiden ließ; er schneidet ihn noch heute, bestätigte auch Katanga nun wieder, mit der Hand aus der fest eingespannten ganzen Schinkenhälfte mit einem langen, sehr scharfen Messer heraus. So frühstücke ich nun eine kleine Zeit lang Erinnerungen, während ich mit dem Erzähler in der Bretagne auf den Atlantik schaue (er nennt ihn „der Atlant“).

15.45 Uhr:
[Die Kunst der Fuge, noch immer Cass. 10, ff.]
Habe mich festgelesen im Dauthendey. Die Beschreibung des New Yorks zu Ausgang des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts gehört zu den intensivsten Stadtschilderungen, die ich bislang vor die Augen bekommen habe. Dann klingelt es an der Tür, und es kommt ein derart freundlicher Gerichtsvollzieherbesuch, daß ich noch jetzt ganz aufgewärmt im Inneren bin (ich noch vom Mittagschlaf im Hausmantel, weil mich das Buch bis jetzt von der Dusche abgehalten hat); strahlende Zähne, freundlich, „hier sieht es aber schön aus“, sagt er mit Blick auf das Bücher- und Notenchaos der Arbeitswohnung, auf das Cello, die Musiksammlung, „hier sieht es aber nach Arbeit aus, nach“, betont er, „guter Arbeit.“ Wir fangen an zu erzählen, indes er das Formular wegen der Unpfandbarkeitsbescheinigung ausfüllt; „ich bin doch so eine Leseratte“, „ist das eine Bestechung, wenn ich Ihnen eines meiner Bücher schenke?“ frage ich und gebe ihm das Sizilienbuch mit. „An sich dürfte ich das nicht annehmen, das ist richtig, aber ich kann doch auch gar nichts für Sie tun“, sagt er, „darum ist das keine Bestechung, aber“ fügt er hinzu, „wenn Sie, wie Sie sagen, unter anderem von Spenden Ihrer Leser lebe, darf ich Ihnen vielleicht etwas Geld dalassen?“ Da bin ich wirklich ebenso baff wie beschämt. „Nein“, sage ich, „ich möchte das Buch einfach schenken, ich möchte nichts dafür haben, es ist ein Impuls… lassen Sie ihn mir.“ So geht er denn und gibt mir noch die Hand. Und ich sitze hier, höre Bach und denke, daß es, so lange es Menschen gibt, eben auch Menschen gibt. So, und jetzt lese ich in dem Dauthendey weiter, dann dusche ich, dann geht’s noch mal ans Cello. Die eigene Dichtung ist heute still; es ist, als ob sie schlummert.

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