Auf dem Blocksberg. 24.09. 2008. Paul Reichenbach in Quedlinburg

Mephistopheles (der auf einmal sehr alt erscheint).
Zum jüngsten Tag fühl’ ich das Volk gereift,
Da ich zum letzten Mal den Hexenberg ersteige,
Und weil mein Fäßchen trübe läuft,
So ist die Welt auch auf der Neige. (Goethe, Faust I)

War Einer einige Tage abwesend und kommt dann nach Haus, findet der Heimkehrende seine Welt in der Regel, sieht man von eingegangen Blumen auf dem Fensterstock und einem vollgedröhnten Anrufbeantworter ab, fast unverändert wieder. Jede Regel bestätigt, indem sie sich Ausnahmen schafft, auch wenn man es nicht glauben will, gleichsam ihre normative Existenz. Der allgemeinen Naturordnung, dem einen ordre en générale der 4 Jahreszeiten, entkommt niemand. Es wird Herbst, dachte ich, als ich hoch oben über Quedlinburg die >>>> Stiftskirche betrete. Die Wucht der Geschichte und der Verzicht auf Fernsehen und Zeitung in diesen Tagen, ordnen meine Existenz in jenen Kreislauf der Gezeiten ein, der der sonstigen alltäglichen Hektik mit sanfter Energie widerspricht. Es ist wie ein Sog, Heinrich I. and Himmler was here, kein Klopstock kann dagegen an. Quedlin-
burg erscheint durch seine Vielzahl mittelalterlicher Fachwerke wie eine massive Negation der Gegenwart. Ein Ausflug zum Blocksberg wird nur dadurch deromantisiert, weil ich ihn mit der Bahn erfahre. Am Gipfelplateau holt einen glücklicherweise die Realität wieder ein. Stände von Chinesen und Friesen umlagert, mit Brockenhexen verhangen, Ansichtskarten und gefakten Thüringer Bratwürsten, verneinen, so scheint es mir, durch ihre Präsenz geschichtliche Sedimente, die keiner mehr wirklich abzutragen im Stande ist. Die Gegenwart, egal welcher Kostüme sie sich bedient, negiert die Geschichte, die Vergangenheit. Auf der Heimfahrt kaufe ich eine Zeitung, lese von der vermeintlich „dümmsten Bank“ Deutschlands und vom Bankencrash in den USA und mir fällt ein, dass der wirtschaftliche Niedergang des Frauenstifts damit begann, als das >>>>Freigeld der Ottonen dem Zinsgeld weichen musste.

P.S. In eine Bank im Garten der Stiftskirche hatte jemand, neben Herzen und einer Vielzahl von Namen, „Himmler was here“ geritzt.

>>>Bildquelle: Peter Cornelius, Walpurgisnacht

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