Arbeitsjournal. Mittwoch, der 1. Oktober 2008.

5.03 Uhr:
[Am Terrarrium.]
Spontaner Entschluß, bis etwa sieben Uhr hierzubleiben; einfach um den Zwillingen diesen 5-Uhr-Turnus abzugewöhnen, der allein auf *`s Nervenkostüm geht; hingegen, wenn ich etwas sage in meiner ein bißchen autoritären Art, dann schlafen die Kleinen immer erst einmal weiter, wenigstens bis halb sieben, danach bekommen sie ihre Fläschchen, und dann kann ich meinethalben in die Arbeitswohnung hinüberradeln. Normalerweise wird kurz nach sechs Uhr auch unser Junge geweckt, wegen der Schule (nur ist er in dieser Woche auf Klassenfahrt); vielleicht stelle ich, wenn ich hier übernachte, wirklich ein wenig was um. Sie merken, ich habe so eine Tendenz, strukturieren zu wollen; ich merke es selbst. Drüben muß, auch das gehört dazu, wieder Ordnung geschaffen werden; die beiden Ror-Wolf-Collagen, die ich an Tammen für >>>> die horen gegeben hatte und die gestern mit dem Plakat zurückgekommen sind, müssen auch wieder in ihre Glasrahmen; und dann habe ich, völlig irre, meinen kleinen Goldring mit dem Smaragdchen verloren, den ich seit Jahren immer am kleinen Finger rechts trug, seit Jahrenzehnten, muß ich sogar schreiben; ich habe ihn mir, glaube ich, anfangs der Achtziger fertigen lassen; seither. Vorgestern früh schwing ich mich aufs Rad, seh auf die Hand (auf die ich doch beim Celloüben vorher alle Zeit gesehen hatte) und merke, der Ring ist weg. Er fand sich gestern in der Arbeitswohnung n i c h t. Ich habe auch keine Erklärung, allenfalls die, daß er mir, als wir am Samstag auf dem Wannsee waren, beim Einholen des Ankers vom Finger gestreift worden ist. Wahrscheinlich ist aber auch das nicht, er saß eigentlich immer viel zu fest.
Es gibt Dinge, die zu den Mysterien gehören, auch wenn man sie für Alltagsschrott hält. Der Profi erzählte mir in der Bar von seinen verschwindenden Paschmina-Schawls: „Ich lege ihn noch um, bevor ich losfahre, komme im Büro an, und er ist weg. Ich weiß nur, ich hab ihn während der Fahrt vom Nacken gezogen, weil er zu warm war im Auto, und mir auf den Schoß gelegt.“ Einzige Erklärung dann: er sei ausgestiegen und habe nicht mehr an den Schawl auf dem Schoß gedacht, so sei er unbemerkt auf die Straße gefallen; ein zwei Meter langer, 40 Zentimeter breiter Schawl. Tja. (Hübsch, Schal wieder in seiner alten Form zu schreiben. Ich hatte als Kind Bücher, in denen das noch normal war.]

Ich mache mit der Dritten Elegie weiter. Es wird Zeit, daß ich vorankomme. Von >>>> Dielmann weiter keinen Laut.

7.15 Uhr:
[Arbeitswohnung. Berlioz, Sinfonische Sätze aus Romeo & Julia, Giulini (Cass.-„Projekt“ Nr. 68).]
Es lief wie vorausgesehen und vorgenommen. Um halb sieben bekamen die Kleinen ihre Milch, ich brachte * einen Kaffee ans Bett, packte zusammen und fuhr her. Es regnet. Noass bün ü. Ruhe in der Arbeitswohnung, latte macchiato, die Gedanken schlingern; es ging auch ganz gut mit der Elegie am Terrarium; worauf ich, wenn ich mit der Fisselarbeit dieser Revisionen fertig sein werde, werde achten müssen: darauf, daß die Dramaturgie des Gesamtzusammenhangs nicht auseinanderfließt; die Dinger sind ja ursprünglich wie an einem Stück geschrieben worden; durch die Detailarbeit verkleinteiligen sie sich, ist mein Eindruck; da muß ich dann später – aber auf dem Papier, nicht in der Datei – noch einmal mit dem Rasenmäher drüber. Außerdem haben sich in den zwei Jahren, seit ich an den Elegien arbeite, meine Perspektiven verändert, auch Sichtweisen, das merke ich jetzt, wenn ich an die Glut mancher Aussagen mit dem Eis gewonnener Distanzen gehe. Wichtig ist, daß diese Glut nicht dabei verlöscht. Imgrunde bearbeite ich die Texte unterdessen als die eines Fremden, zumindest eines Anderen. Das ist eine objektiv g u t e Voraussetzung.

8.17 Uhr:
[Strauss, >>>> Sonate für Cello und Klavier.]
Gehängt:Außerdem schadet es nichts, sich bisweilen >>>> als Arschloch inszenieren zu lassen; manchmal ist das sogar dringend nötig. Damit man nicht unversehens zum „Bruder“ wird.

Und soeben ruft völlig begeistert UF an, der den Horen-Band bereits in die Redaktion geschickt bekommen hat. Ha!

17.10 Uhr:die horen sind gekommen. Jetzt ist man glatt von sich selbst beeindruckt (lacht). Aber mal im Ernst: Was für ein Gefühl. Da kondensiert sich dann eben doch Lebenszeit, und ich habe den Eindruck einer Rekapitulation, die zugleich das ist, was ich in der >>>> Kleinen Theorie des Literarischen Bloggens zweidreimal >>>> einen „Zwischenbefund“ genannt habe: Befund, ja, aber mitten auf der Strecke.

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