Arbeitsjournal. Mittwoch, der 29. Oktober 2008.

6.23 Uhr:
[Am Terrarium.]
N o c h einmal an >>>> „Verwundung“ gegangen, das ab heute „Opfer“ heißt und nun ein n o c h anderes, der letzten Bewegung konsequent folgendes Ende hat. Ich möchte den meines Erachtens jetzt fertigen Text nun aber nicht abermals in Die Dschungel einstellen, schon, weil der gedruckte Band in etwa einem Monat vorliegen wird und ich selbstverständlich gerne möchte, daß Sie ihn kaufen. (Ähnliches, also hier nicht auffindbare Veränderungen, hat es in einigen Gedichten gegeben; bitte halten Sie sich vor Augen, daß es sich bei Der Dschungel a u c h um eine Arbeitskladde handelt, in der ich sehr bewußt Entwürfe, Ideen usw. diskutieren lasse, um später dann a u c h aufgrund der trennenden („kritischen“) oder zustimmenden Äußerungen zu entscheiden; ich lerne dabei).
Nachts mailte >>>> Dielmann noch einmal; es werden jetzt doch nicht g a n z so viele Seiten, wie er vorausgerechnet hatte, veritabel ist der Band aber immer noch; momentan geht es um „ß“ oder nicht „ß“, also um Typographie; ich bin f ü r „ß“, wen wundert’s?, auch wenn das Satzbild durch diese Letter ein ganz klein wenig gestört wird. Im Zweifel für den Text; ich fand es immer absurd, wenn etwa eine Prosa geändert wurde, weil es auf der Seite kein >>>> Hurenkind geben sollte. Das ist aber, Sie werden es nicht wissen, gängige Verlagspraxis. Doch zum einen habe ich nichts gegen Huren, weshalb dann gegen ihre Kinder? Zum anderen wäre das schon ein Sieg des Designs über die Substanz.
Außerdem berichtet Dielmann von einem Interesse >>>> Sellerios, dem er die >>>> Sizilische Reise nahelegen will. In Palermo verlegt zu sein, würde mir selbstverständlich arg gefallen. Nicht nur, daß es immer noch Leute gibt (ich bekomme gelegentlich Post von ihnen), die mit dieser Erzählung reisen (und mir dann schreiben, welche Kneipe es nicht mehr gibt), sondern auch in Deutschland lebende Sizilianer sind schon mit dem Buch zunehmend beglückt durch ihr Heimatland getippelt. Sehn wir mal.

Ich muß den Text für Siegen schreiben. Die Idee eines Ansatzes hatte ich gestern nacht, als ich mir >>>> per Stream den wirklich sauschlechten starship troopers 3 ansah. Verblüffend ist immer wieder, daß so richtig schlechte Filme zu richtig guten Ideen führen können. So wird es Poe gegangen sein, als er >>>> Clauren las.

11.20 Uhr:
[Arbeitswohnung. Die Füße untgerm Schreibtisch im Bad.]
Eben erst in die Arbeitswohnung gekommen, die erste Stunde Cello hab ich am Terrarium geübt, außerdem etwas gearbeitet, mit *** geplaudert, mich um die heut morgen ziemlich quäkenden Kleinen gekümmert, weil sie bei mir hören. Was sehr unfair ist. Gerade das Bübchen nutzt, daß seine Mama so sensibel ist und daß es sie schmerzt, wenn er schreit, bedingungslos aus. Jetzt Post, abermals DER ENGEL ORDNUNGEN, Mails flogen wegen des „ß“’s bereits im Dreieck hin und her, ab 12 Uhr bis zur Mittagsruhe dann abermals eine Stunde ans Cello. Es ist kalt hier, aber wenn ich übe, gerate ich erstaunlicherweise immer ins Schwitzen; nur für die Beweglichkeit der Finger ist meine Heizlosigmanie nicht beglückend, die müssen sich hier immer erst „einlaufen“. Wie beim Fahrradfahren im Winter: den ersten Kilometer friert man. Aber eben nur den ersten, weshalb man sich auch bei Frostgraden nicht allzu verpacken sollte vorm Radfahren. (Was Sie heute alles so lernen von mir… krieg ich wenigstens ein Danke?)
Nach dem Mittagsschlaf geht’s dann endgültig an den Text für Siegen.

16.48 Uhr:
Irre verschlafen: nahezu zwei Stunden am Stück. Seit einer Stunde im Eiltempo voran. Dielmann will bereits morgen die pdf’s der Fahnen schicken. Dann ist zu lesen angesagt, damit er am Montag in der Frühe die pdf nach Jerusalem schicken kann, wo auch dieses Buch, wie >>> MEERE, gedruckt werden wird.

21.29 Uhr:
[Am Terrarium.]
Noch etwas Arbeit an den Fahnen DER ENGEL ORDNUNGEN, die Dielmann tatsächlich bereits geschickt hat; noch nicht vollständig, aber so, daß ich sie gut schon durchgehen kann. Ich habe dazu mein vorzügliches (kostenfreies, deshalb der Link) >>>> anote-Programm geöffnet, das wie Notizklebezettel funktioniert und mich nun schon einige Jahre begleitet; auf dem „Zettel“ notiere ich mit Seiten- und Zeilenangaben die Korrekturen. Aber nicht mehr lange; sowas gegen 22 Uhr werd ich den Profi treffen, auf ein Bier nur und um zu plaudern; er habe, sagte er vorgestern am Telefon, einiges zu erzählen.
Die Gedichte stehen sehr sehr schön auf der Seite, auch das „ß-Problem“ ist gelöst. Ein wenig Bedenken habe ich noch wegen der Titel-Typografie, vor allem in der Kombination mit Kiefers „Lilith am Roten Meer“. Aber auch das wird sich lösen. Bin momentan ausgesprochen zuversichtlich und genieße die Fremdheit, die die Gedichte jetzt, gesetzt, annehmen: eine Form von Objektivität ist das, die ihren Klang sehr unterstreicht (sie von mir, mir persönlich, wegnimmt).

5 thoughts on “Arbeitsjournal. Mittwoch, der 29. Oktober 2008.

  1. Hurenkinder und Schusterjungen Daß man zur Vermeidung von Hurenkindern und Schusterjungen den Text ändern muß, lieber Herbst, ist der Schnack unfähiger Typographen. Meinen Sie, bei einer Neuausgabe der „Wahlverwandtschaften“ würde es ein Hersteller wagen, ein paar Füllwörter in Dienst zu stellen, nur damit die Zeile besser „ausgeht“? Nein nein, ordentliche Typographen kriegen die Häßlichkeiten von Hurenkindern (sie sind es im Gedruckten wirklich) auch ohne Gewaltanwendung am Text hin.

    Im Journalismus freilich macht man da nicht soviel Gewese. Da wird gestrichen, aufgefüllt, oder man läßt die Unfähigkeitsausweise des Typographen einfach stehen.

  2. Sieg des Designs über die Substanz – und Ornament ist Verbrechen. Eigentlich hätte ich dergleichen hier nicht erwartet, wo sonst Fragen von Form, Stil und Haltung durchweg nicht mit Gleichgültigkeit behandelt werden.
    Doch dazu nichts weiter, sind Äußerungen dieser Art oft Keimzellen von Glaubenskriegen, und einen solchen will ich an dieser Stelle sicher nicht anzetteln.
    Die Bemerkung zur „gängigen Verlagspraxis“ allerdings kann in dieser allgemeinen Form so nicht stehenbleiben.
    Hurenkinder zu vermeiden gebietet sich schon aus Fragen der Lesetypographie – von der Ästhetik zu schweigen (s.o.). Jeder Setzer, der diesen Namen noch verdient (und ich rede nicht von den heutigen „Mediendesignern“ – ha, da ist dieses Wort ja wieder! – oder Verlagsmitarbeitern, die nach Überfliegen eines Handbuchs zu einem DTP-Programm bereits ausreichende Kenntnis gewonnen zu haben glauben), ist in der Lage, Hurenkinder oder Schusterjungen (die finden sich ja heute fast überall, vermutlich wegen der größeren Akzeptanz von Schustern, die es als Handwerker sonst kaum noch irgendwo gibt …) zu vermeiden, o h n e in den Text einzugreifen. (Selbst bei Autoren, die 20 Seiten ohne Absatz schreiben – wenngleich dies einige Mühe bedeutet.)
    Also Finger weg von Verlagen, die (oder deren externe Dienstleister) dazu nicht in der Lage sind und stattdessen lieber ein wenig im Text herumpfuschen!

    Und was das „ß“ angeht: Was soll denn heißen, das Satzbild werde durch diese Ligatur „ein ganz klein wenig gestört“? Sie wollen doch nicht etwa das ganze Buch in Versalien setzen? Oder wird gar die schweizerische Rechtschreibung verwendet?
    Nein, vermutlich soll nur der oberflächliche Eindruck erweckt werden, in dem Buch walte die „neue“ Rechtschreibung. Und das bei jemandem, der sonst so konsequent wie sicher ist in Fragen von Orthographie und Grammatik.
    Also entweder entscheiden Sie sich für die „neue“ Rechtschreibung – dann bleiben aber immer noch recht viele störende „ß“ stehen!, auch dürfte die halbwegs korrekte Umarbeitung einige Wochen in Anspruch nehmen -, oder Sie halten sich an das, was den Namen „Rechtschreibung“ noch verdient. (Im ersten Fall würde der Käuferkreis allerdings um mindestens einen kleiner sein!)

    1. @piperigranum. Meine Bemerkung mit den „ß“’s beruhte, wie ich heute morgen erst begriff, um ein Mißverständnis meinerseits. Infrage standen die „ß“’s in den Titeln, die versal gesetzt werden sollen, was im Typoskript anders ist. Ich bezog die Anfrage aber auf die Gedichte-als-Ganzes; da hat mir UF heute morgen sehr schnell den Zahn gezogen. Insofern: ‚tschuldigung.

      Und seien Sie beruhigt, für die neue „Recht“schreibung (hübsch, Ihre Anführungszeichen permutativ zu versetzen) gibt es bei mir zwar kein Nein, dazu ist die Angelegenheit zu banal, aber ein nasalstes „Nöö“. Wobei ich die – ha! – NDRS einmal eingesetzt habe, weil sich damit sehr schön ineinanderlaufende Erzählebenen d o c h markieren ließen: Besonders sinnig in Grenzsätzen, die dann logischerweise am Anfang z. B. in der alten, am Ende in der neuen Rechtsschreibung stehen. Insofern kann auch eine Rechtschreib“reform“ künstlerische Verwendung finden, ohne daß man seinen inneren Konservatismus verrät.

    2. NDRS & ß Bin hinsichtlich der NDRS ganz Ihrer Meinung – soweit es sich wirklich um ein „System“ handelte, das in ähnlich regelhafter Weise „Einheitlichkeit“ schaffte. Dies allerdings ist in all den Jahren nicht gelungen, wir sind weit ins 19. Jahrhundert zurückgeworfen worden. Insofern gibt es augenblicklich eigentlich gar keine Alternative.

      ß in Versaltext (auch Kapitälchen): das geht nun wirklich n i c h t ! Außer man verwendet eines der vor wenigen Monaten entworfenen neuen Versal-ß, die in meinen Augen aber nichts als Designer-Mist (da ist es wieder, das Wort) sind und auch in den besten Schriftschnitten ästhetisch nicht befriedigen. (Einmal ganz davon abgesehen, daß dabei in unübertrefflicher Ignoranz der Charakter dieses Zeichens geleugnet wird, das ja gerade eine Ligatur aus zwei Kleinbuchstaben darstellt! Ein „großes“ Schaft-s hat es ja ebenfalls nie gegeben.) Auch mir mißhagt es sehr, bei Versaltext ein „SS“ zu schreiben, wo eigentlich ein „ß“ hingehört. In Auslands-Mails (hier zwar nicht versal, aber aus bekannten Gründen notwendig) schreibe ich mittlerweile dann ausschließlich „sz“ für „ß“, weiß aber nicht, ob ich dies in „öffentlichen“ Texten auch tun würde. (Anderseits gibt es auch dafür ein unschlagbares Vorbild: Das Deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm schreibt bei entsprechenden Lemmata bereits seit mehr als 150 Jahren konsequent „SZ“. Immerhin hat dies den Vorteil auf seiner Seite, r i c h t i g zu sein. Und der „künstlerischen Verwendung“ ist sprachlich und orthographisch ja eigentlich alles erlaubt, oder?)

    3. @piperigranum. Absolut überzeugt. Ich hab das eben so an Dielmann hinübergemailt. (Er hatte mir das gestern bereits vorgeschlagen, ich hatte es aber abgelehnt, weil ich dachte, sein Vorschlag beziehe sich auf die Texte-als-solche. Da wäre es mir zu altertümlich gewesen. Außerdem mag ich nicht unbedingt >>>> für Vergil gehalten werden. S o aber, glaube ich, bei den Versalien, ist es richtig. Und der Hinweis auf Grimm schlagend.)

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