das wochenende verlief ok. ich darf mich nicht beklagen. meine nichte traut sich alles zu und ist völlig unbekümmert, meine schwester findet alles neu und spannend. gestern im masp allerdings die ewig alte wunde der interessendivergenzen. meine schwester interessiert, meine nichte bockig und ich unwillig kunstgeschichtliche basics runterzubeten. dann die sich anschließende ursachenforschung, in der schule war der unterricht zu schlecht, bei uns zuhaus hingen keine gainsboroughs, ach was, und sowieso, mama habe ja auch anfangs nur heftchenromane gelesen und damals hatten wir für sowas weder zeit noch geld. dazu seien wir ja alle als heiden aufgewachsen, worüber ich nicht gar so traurig bin.
tjo, hab ich da gedacht, auch ich hab in diesem haushalt 20 jahre gelebt, gut, ich war auf dem gymnasium, es mag ja an allem was dran sein, aber auch auf dem gymnasium haben sich 99 prozent der schüler nicht für kunst interessiert. es muss ja vielleicht doch auch etwas an mir gelegen haben, dass ich den ersten leistungskurs in der provinz zusammengetrommelt habe und es seitdem dort immer wieder einen gibt. ich denk dann immer nur an die cardigans: don’t blame your mom for all that you’ve done wrong. so. ja.
irgendwie neidet man mir mein leben, aber auf welcher grundlage frage ich mich, denn all das habe ich mir draufgeschafft, weil es mich gepackt hat, ich kann nicht dafür, wenn das interesse fehlt und werfe es niemandem vor, aber ich muss für die komplexe der anderen herhalten, dass ich mich mal für was interessiere. seltsame logik.
die sushis wussten zu überzeugen und auch sonst bin ich vielleicht nicht die schlechteste stadtführerin, aber was soll ich über architektur erzählen, wenn man die avenida paulista langgeht, ohne auch nur wirklich einen blick dafür überzuhaben? dazu meint meine nichte in ihrer flapsigen art, für sie sei das alles sowieso kein problem, sie würd sich dann hier einen wagen mieten und es würd schon gehen, sie sei ja schliesslich schon überall auf der welt gefahren und das mache sie schliesslich immer so und sie fahre ja seit zehn jahren. ich sage, klar fährst du seit zehn jahren, aber doch zumeist in der provinz und das eine jahr in den usa, aber usa ist mit brasilien nicht vergleichbar, in chile hast du ähnliche strassenverhältnisse, aber in brasilien allenfalls noch im staat sao paulo vergleichbares. ach, was solls, ich hätte ja gerne was von ihrer unbekümmertheit. ihr ist nur wenig zu blöd, und mit ihrem ziemlich dreckigen lachen nimmt sie alle schnell für sich ein, ohne auch nur ein vernünftiges wort auf portugiesisch zu sprechen. aber die brasilianer mögen ihre art und ihr strohblondes haar. da denke ich dann, ok, soll sie machen. geh ich mit ihr in den stadtbekannten sehen und gesehen werden spot und sage, hier gibts die hübschesten kellner, stellt sie als erstes fest, hier darf man ja noch rauchen und hat keinen blick für unsere bedienung, der wirklich süß war, da denke ich dann, muss sie auch wieder nicht klagen, wenn es immer bei affären bleibt. diese vollblutpragmatikerin, es ist unglaublich. dazu ist mein volk ein manchmal fussfaules. na ja, was will man erwarten, was kennen wir schon von uns, wir sind halt verwandt, mehr nicht, benn würde etwas gemein sagen, ich wünsche meinen verwandten ein schönes leben in fernen ländern, ganz so würde ich es nicht behaupten wollen, aber so ähnlich geht es mir auch oft, nur mit meiner mutter war es immer anders. man muss eben selber damit klarkommen lernen, dass man die familie enttäuscht. man wäre ja gerne selber so viel interessierter an ihnen, aber letztlich siegt das ego, was sich fragt, was bindet uns denn aneinander ausser ein paar blutsbande? wenn ich wirklich wen brauche, rufe ich schon lange nicht mehr meine familie an. ist das jetzt so schlimm? hm. ach ja, nein, eigentlich habe ich es versäumt, wen anzurufen, wenn es wirklich schlimm ist. aber, lieber n, wenn du es hier mitliest, ich hab dir nur was vorgeheult, und du hast dich gesorgt, und im grunde ist doch alles ok und mehr als das. und dann mache ich nur alle kopfscheu, das will ich nicht. und in mir hallt so ein satz nach, du weisst, dass das depressive symptome sind. ich wusste das nicht so genau, also hab ich es gegoogelt und einen test gemacht, was soll ich sagen, ich liege nicht wach, ich esse normal, und es gibt 1000 sachen, die mir noch vergnügen bereiten, der test sagt, sie leiden an einer depressiven verstimmung, wenn das länger andauert, suchen sie einen arzt auf. ja, was soll der arzt mir sagen, ziehen sie nach berlin und bleiben sie da, aber meiden sie bewölkte tage und kälte. hm. und was heisst länger, das dauert mein ganzes leben schon an, aber es hat ausgelassen euphorische phasen, die auch recht hartnäckig sind.