Arbeitsjournal. Dienstag, der 10. März 2009.

6.08 Uhr:
[In der Muschel. Küchentisch.]
Um halb sechs erst auf. Nu’ is’ die Kleberei vorüber, und ich sitz hier und weiß nicht recht, womit ich weitermachen soll. Nicht, daß da nichts wäre, ah bewahre! Aber in was will ich mich einfuchsen, da vor allem übermorgen bereits wieder unterbrochen werden muß, wegen der Leipziger Buchmesse, auf die ich ziemlich früh morgens bereits fahren werde? Ab elf gibt’s Termine. Abends am Donnerstag Lesung; ich werd sie auf der Hauptsite Der Dschungel noch ankündigen, aber für die Leser meiner Arbeits-Sit-Com hier schon mal Ort und Zeit: Donnerstag, 12.3., 19 Uhr, Café Puschkin (Chillum), Karl-Liebknecht-Straße 74. Eigentlich hatte die Lesung am Sonnabend abend stattfinden sollen, irgendwer von Leipzig liest warf aber die Termine durcheinander und versah damit das Programmheft. Also mußten wir uns nach dem Programmheft auch richten. Na gut. Und am Freitag, liebe Bleistiftsgezückte, um elf Uhr morgens werden am Mare-Stand 5 D 202 >>>> die Schuber von mir eigenhändig signiert: es lohnte sich nicht, eigens einen Autogrammstempel in Auftrag zu geben.

Zwei Aufsätze stehen an: Zum und „ob-igem“ Niedergang der politisch engagierten Literatur für den PEN und über Miniaturen für das Oster-Musikfestival in Hamburg. Dann muß ich dringend die Arbeit am >>>> virtuellen Seminar wieder aufnehmen. Und muß an die Steuer: Jetzt hat das Finanzamt mich geschätzt, was ja eigentlich süß ist, wenn man so geschätzt wird, zumal mir die Schätzung selbst realistisch zu sein scheint: die Leute kommen auf 11.000 Euro Jahreseinnahmen; das könnte der Wirklichkeit entsprechen. Nu’ aber kommt der Hammer: Auf diesen Betrag habe ich bis Anfang April etwa 2200 Euro Umsatzsteuer zu entrichten, weil ich ja als Unternehmer gelte, nicht etwa als Arbeitnehmer und auch nicht als frei praktizierender Arzt, der von der Umsatzsteuerzahlung befreit wäre; auch Leute, die fest angestellt 150.000 Euro jährlich verdienen, auch freiberufliche Anwälte müssen keine Umsatzsteuer berechnen und entrichten. Fies ist, daß ich die Umsatzsteuer z.B. den Funkanstalten nicht in Rechnung, also als Vorkasse durchlaufen lassen kann, weil die nicht umsatzsteuerpflichtig sind; und sowieso haben sich die Honorare seit 1981 (!) numerisch nicht verändert; bzw. wurden sie durch die Währungsreform des Euros halbiert… Jedenfalls muß ich nun dringendst die Steuererklärung nachholen, schon um anhand von Belegen (sowas sammle ich a l l e s) den zu entrichtenden Umsatzsteuerbetrag aufgrund bezahlter (durchgelaufener) Mehrwertsteuerbeträge zu reduzieren. Nun rechne das bei diesen Beträgen mal auf die Arbeitszeit um… – Wobei mir meine Steuerberaterin, deren Dienste ich nun schon seit drei Jahren nicht mehr in Anspruch nehmen mag, weil sie noch so viel Honorare von mir bekommt, die ich nie bezahlen konnte… nun schrieb sie mir: „Wenn Sie mir die Belege herüberreichen, dann machen wir das gerne für Sie…“ – tja, aber dann könnte ich sie w i e d e r nicht bezahlen, und bei Menschen hab ich damit ein Problem.
Ein anderes solches wird sich um die Wohnungssuche drehen, die ja nun ebenfalls ansteht, weil mein Junge zu mir zieht: Neuerdings werden, ich bekomme das gerade mit, Selbstauskünfte von der Schufa verlangt, zudem Einkommensnachweise aus ungekündigter Stellung… süß, das. Ich hab keine Ahnung, was in „meiner Schufa“ steht, aber rosig kann das nicht sein. Also werde ich tricksen müssen. Der Kapitalismus will den Betrug, übrigens ja auch bei der Steuer: er ist ein Fundament des Systems, genau wie Schulden ein solches Fundament sind, weil der Geldhandel von ihnen lebt und mit ihnen Politik gemacht wird; zugleich wird man für Schulden aber bestraft – wenn es zu wenige sind. Ich erinnere mich daran, daß ich Privatkonkurs anmelden wollte – nur werd ich dann erst recht keine Wohnung kriegen. Mal sehn, was mir einfällt. Vielleicht hat Daniello ja >>>> was Funktionierendes aufgetan (genau so denkt man dann nämlich in der Enge, auch wenn man zugleich den Kopf drüber schüttelt – und selbst, w e n n es funktionierte, bleibt die Ahnung kaum aus dem Kopf, wieviel Blut an solchem Geld hängen mag: vielleicht verdiente man’s besser, wenn man seine Geschichte erzählte…) Zu leben hat was von snow boarding mit verbundenen Augen. Eigentlich, ich geb es zu und erwarte die nächsten Gerichtsvollzieher, bzw. Eintreiber des Finanzamts, gefällt mir das.
S c h ö n aber ist d i e s e Geschichte, von neulich. Also ich radle von meiner Cellolehrerin heim, den Cellokasten hinten auf dem Rücken, so daß ich nicht merke, wer mir so folgt. In Höhe U Eberswalder stopt mich der Polizeiwagen. Beide Beamte steigen aus, ich drück mir Sanftmut auf die Cholerik und lächle. „Bei Ihnen“, sagt der eine von beiden, „weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll: Erst überfahren Sie eine rote Ampel, dann fahren Sie in falscher Richtung durch eine Einbahnstraße, dann überfahren Sie die nächste rote Ampel, und dann nehmen Sie noch eine Strecke, die nur die Straßenbahn nehmen darf, von den Stücken Fahrt auf dem Fußgängerweg mal ganz abgesehen… Was soll ich jetzt denn tun?“ Da hatte er eigentlich recht, fand ich. Zwar waren die Wege alle freigewesen, und ich steh prinzipiell nicht an roten Ampeln, wenn links und rechts kilometerlang alles frei ist… ich bin kein konditoniertes Huhn, sondern habe einen, meinen K o p f… aber rein sachlich juristisch hatte der Mann völlig recht. Also lächle ich weiter und wage nur des Angeklagten-Status halber eine weiche Verteidigung: „Es w u r d e aber gerade grün“, „jaja, nach zehn Sekunden, da waren Sie schon lange drüben“, worauf ich lachen muß, weil es ja stimmt. Aber schon mischt sich ein Passant ein, der härteste Strafe für mich verlangt, so Kapo-Typ, der’s jahrgangshalber nach Auschwitz nicht mehr geschafft hat als Aufseher, sondern mit einer Hauswartstelle vorlieb nehmen muß, Elend der späten Geburt usw. Jedenfalls will der, daß man mich einsperrt. Jedenfalls fast. Das ist nun den Polizisten genau so unangenehm wie mir. „Sie haben auch schon mal Fehler gemacht“, sagt der eine zum Kapo, während der andere aus meinem Ausweis die Personendaten in ein Formular überträgt. „Darum geht es nicht“, sagt der Kapo, „sondern darum, daß man solche Radfahrer unschädlich machen muß.“ Mischt sich ein weiterer Passant ein: „Aber Radfahrer verpesten wenigstens nicht die Luft“, sagt er. Das Ganze hätte eine prima Filmszene werden können, zumal auch nächste Passanten jetzt worttätig werden. Es klumpt eine Art Auflauf. Derweil erledigen wir, die Leute sich selbst überlassend, die Formalien, verabschieden uns dann höflich voneinander, und ich radle meiner nächsten Ordnungswidrigkeit zu, hör aber noch was von „appen Beinen“ und dem irrsinnigen Risiko, in das man als Autofahrer heutzutage fährt, weil es diese Radfahrer gibt, die man sowieso insgesamt verbieten sollte, wegsperren, vielleicht auch abschießen, das wäre was: der AvD zahlt Prämien nach Skalps.
Vor dem Bußgeldbescheid, ich geb es zu, hatte ich Angst. Dennoch. Also. Und gestern kam dann die Zahlungsaufforderung. 15 Euro.Das ist fair. Das ist eine Art Wunder: wieder:: menschlich. Keine Ahnung, welches Bagatellvergehen die beiden Beamten aufgeschrieben haben. Was es war, jedenfalls, kann es so nicht gewesen sein. Ich würd Ihnen beiden gerne ein Buch von mir schenken.

22.37 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Ich habe einen s o schönen Sohn. Immer wieder schaue ich glücklich auf das „Vulkanlager“ vor meinem Schreibtisch, auf dem er ganz tief schläft. Und nur, wenn ich an die Zwillingskindlein denke, die ich mit auf die Welt bringen half, denen ich dann zwei Jahre lang Vater war und denen ich es gerne geblieben wäre, ist dem ein wenig Bitterkeit beigemischt: zwei Kinder habe ich verloren. Sie haben jetzt einen neuen Papa, der sich auf der Homepage ihrer Mama mit „ich sehe gut aus als Vater“ eingetragen hat.
Aber mein Sohn ist geblieben. Ich wäre nicht mehr ich ohne ihn.
Ich schaue Filme auf DVD. Rauche (das Oberfenster steht weit auf), esse Schokolade und trinke Bier dazu. Mag nicht arbeiten vor Glück und Traurigkeit.

4 thoughts on “Arbeitsjournal. Dienstag, der 10. März 2009.

  1. Guckst Du! Es handelt sich um eine Verwarnung.
    Die Verwarnung muss mit einem Hinweis auf die Verkehrszuwiderhandlung verbunden
    sein.
    Das Verwarnungsgeld wird in Höhe von 5, 10, 15, 20, 25, 30 und 35 Euro erhoben.
    Bei Radfahrern soll das Verwarnungsgeld
    10 Euro betragen, sofern der Bußgeldkatalog nichts anderes bestimmt.
    Hat der Betroffene durch mehrere Handlungen geringfügige Ordnungswidrigkeiten
    begangen oder gegen dieselbe Vorschrift mehrfach verstoßen, so sind die einzelnen
    Verstöße getrennt zu verwarnen.
    Es handelt sich also nicht um Kulanz. Was die Polizisten taten lag eindeutig im bestehenden Rechtsrahmen.

  2. hihi. es gibt kneipenbücher, es gibt fahrpläne, gibt es eigentlich schon ein berliner fahrradbuch? ich wäre dabei. und kastanienalleesitzer und gucker sind, könnt ich drauf wetten, radfeindlich gesinnt, die gucken nur, dass man in die strassenbahnschienen fährt. tausende geschichten. am radfahrer scheidet sich ein gerechtigkeitsempfinden, wie es oft beispielloser nicht sein könnte. dem radfahrer sein natürlicher feind ist seit je her der bmw, ich weiss nicht, warum, aber es ist so, wenn ich mit autofahrern aneinander gerate, dann ist es immer ein bmw. und das weltweit. bmw-fahrer haben weltweit ne macke, ich weiss nicht, obs die ab werk oben drauf gibt. muss wohl. ich hoffe nur, auch so was lässt sich abwracken.

  3. sie müssen sehr glücklich und sehr traurig sein.
    vergessen sogar ihre strenge und ihre disziplin.
    werd mich wohl selbst löschen müssen,
    bevor meine phrasen in der wortspielhölle
    verfauln.

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