Arbeitsjournal. Leipziger Buchmesse 2009 (2). Arbeitsjournal mit Rückschau auf gestern. Sonnabend, der 14. März 2009.

Guten Morgen, Leser,
es ist 6.36 Uhr, Hotel Ibis, Zimmer 607, ich habe ausgeschlafen. Ja, ich bin derart müde gewesen gestern nacht, daß ich mich quasi gleich nach >>>> Daniela Danzens Lesung auf dem Verlagsfest von >>>> Wallstein davonmachte, nicht etwa, um, wie geplant, auf das Messefest in der Moritzbastei zu gehen, wofür ich eine Ehrenkarte zugesteckt bekommen hatte, sondern – ins Bett. >>>> Mare hatte es hinbekommen, mein Hotel noch umzubuchen, so daß ich tatsächlich n i c h t nachts die weiten Wege nach Leipzig Süd machen muß, sondern direkt gegenüber dem Bahnhof einquartiert bin. Das gab mir derart viel Erleichterung, daß ich vorgestern nacht nicht über die Stränge schlug, nein, aber doch ziemlich trank d a: nachts im Presseklub in der Alten Nikolaischule; und es wurde vier Uhr morgens, bis wir im Bett lagen. Wir. Ja. Denn der Profi war nachmittags herangefahren, um bei meiner ersten wirklich legalen Lesung aus >>>> MEERE dabeizusein, die um 21 Uhr im >>>> Café Puschkin stattfand. Nun hatte der Profi kein Zimmer und hätte auch keines mehr bekommen, Leipzig ist zimmertechnisch dicht zur Messe; also schmuggelte ich ihn in mein Hotelzimmer mit ein. Das ging so: Wir wanken zur Rezeption, ich sage: „Guten Abend“ (!), „ich bin noch nicht eingecheckt, aber für mich ist ein Zimmer reserviert.“ Darauf der Profi zu mir: „Wie? Du bist noch nicht eingecheckt? Okay, dann geh ich schon mal auf mein Zimmer. Sorry, aber ich bin müde.“ „Na klar“, sag ich, „gute Nacht. Bis morgen früh.“ Und er fährt mit dem Lift in den ersten Stock, wo ich ihn dann aufpicke… Es ist ein Doppelbett hier, es war nicht mal eng. Mit irre dickem Kopf stellte ich den Wecker, der wie gewohnt um 4.30 Uhr klingelte, eine halbe Stunde später also, auf sechs Uhr um, und tatsächlich kam ich um 6.30 Uhr hoch, während der Profi bis neun Uhr weiterschlief. Ich brachte ihm Kaffee, ein geschmiertes Brötchen und etwas Obst dann mit hoch.
Die Lesung selbst war fein. Ich hatte sie nicht vorbereitet, wie ich so etwas sonst tue, sondern las gleichsam aus dem Blättern heraus. Eigenartigerweise traf ich immer Stellen, die das Meer beschreiben, das vor Polen, das vor Sizilien und das Arabische Meer vor der Spinneninsel. Nachher ging’s mit dem Verlag essen in >>>> Niemanns Tresor“ an der Thomaskirche. Man wartete zwei Stunden, bis die Vorspeise kam; die Küche war gut, gar keine Frage, mit Ausnahme des Entrecôtes, das zäh war. Problematisch die Bedienung: eine Azubi, die gleich sagte, daß sie es noch sei, aber kein Oberkellner, der auf sie achtete; man ließ sie einfach in ihr Unglück laufen, so daß man als Gast das Gefühl bekam, sie vor ihren Vorgesetzten beschützen zu müssen. Hübsch für ein Oberklasse-Restaurant ist auch dieses: „Könnten wir bitte einen Salzstreuer haben?“ Wir bekamen einen. Nach fünf Minuten kommt ein anderer Kellner und sagt: „Entschuldigen Sie, aber wir brauchen den Streuer jetzt auf einem anderen Tisch.“ Spricht er, nimmt den Streuer und stellt ihn zu anderen Gästen. Ich laß mir den Oberkellner kommen: „Darf ich davon ausgehen, daß Sie in Ihrem Haus auch z w e i Salzstreuer haben?“ Also gemessen an den Preisen, sollten Sie dieses Restaurant meiden. UF kann Ihnen übrigens noch ein anderes Restaurant nennen, das Sie meiden sollten – d a sogar unbedingt, es sei denn, Sie schätzen es, mit Bauchschmerzen (nicht) zu schlafen.S e h r müde also schon auf die Messe gestern. Wir kamen kurz vor elf an, um elf begann die Signierstunde der Schuber, der Zulauf war mäßig,

man hätte Wein ausschenken sollen oder schlechte Musik spielen, dann klumpen die Leute i m m e r:
so, wie beim Empfang der >>>> Jungen Welt gestern um 16.30 Uhr mit Cuba libre und einem Sängerquintett von Stimmkünstlern, die wirklich was können, aber w a s sie da sangen, war so grauenvoll, daß ich zu >>>> Sukov, der mich aus >>>> Giwi Margwelaschwilis Lesung herbeitelefoniert hatte, sagte: „Sorry, aber mir dreht das einen Schraubenziehen durchs Ohr, ich mag das nicht aushalten“ und hinausging, um gegen das Elend zu rauchen. Das sich, auf andere Weise, dann nicht nur fortsetzte, sondern ausholte, um mir eine Kopfnuß zu verpassen, die mir spontan die Tränen vorschießen ließ. Also, bei >>>> Wunderhorn, das die Edenbobener Weinkönigin mitgebracht hatte, welche guten Wein ausschenkte, traf ich W., der mich, nachdem wir über Lyrik geredet hatten, fragte, ob ich dort und dort noch in der und der Funktion sei. Was ich verneinte. Da erzählte er mir, G., der dortige Repräsentant, sei jahrelang Spitzel eines Unternehmens gewesen, das dem, sagen wir, Geheimdienst unter Idi Amin um nichts, aber auch gar nichts nachgestanden habe. Es war weniger ein Schock, es war eine Welle von Trauer. Ich bin mit G. lose befreundet, kann ich sagen, „es geht doch gar nicht darum, daß wir ihn anklagen“, sagte W., „sondern einfach darum, daß er zugibt und daß er mit denen spricht, denen seine Kassiber derart geschadet haben“. Die Akten seien ganz eindeutig, er aber leugne Punkt für Punkt, bis er immer wieder Punkt für Punkt widerlegt werde. Usw. Ich habe mich als Mediator angeboten. Es ist mir wichtig. Wir werden uns treffen, wenn ich in Berlin zurückbin. Und die anderen Betroffenen müssen einverstanden sein. Ich nenne hier selbstverständlich keine Namen.
Lange mit >>>> Dielmann gesprochen und immer wieder. Bei Mare schaue ich jetzt immer nur noch sporadisch vorbei, da sind jetzt auch einfach andere Autoren ‘dran’. Daniela fiel mir in den Arm, als wir uns plötzlich sahen auf dem Gang, ganz glücklich sah sie aus, und ich war glücklich, daß es >>>> ihre herrlichen Gedichte jetzt bei Wallstein gibt. Aber als ich mit UF die Messe abends verließ, der Profi war bereits mittags wieder nach Berlin zurückgefahren, war mir schon klar, daß ich den Abend nicht durchhalten würde. Wir aßen beim Spanier, ich zog zu Danielas Lesung los, Dittrichring 18, Café Telegraph, Keller, gerammelt voll alles – und es stellt sich heraus, daß ich auf dem Verlagsfest von Wallstein gelandet bin. Da es sich um einen kleinen Verlag handelt, nicht um weitöffentliche Repräsentation, kam ich mir plötzlich deplaziert vor; die Getränke waren frei, und ich mag nicht auf jemandes Kosten trinken, mit dem ich mal heftig aneinandergeraten bin; die Messe ist eh so voller Schnorrer. Also hörte ich Daniela noch zu, dann setzte ich mich vorsichtig ab und schritt ins Hotel, wo ich zwar versuchte, noch einem Film im Fernseher zu folgen, aber nicht mal versuchte, nach Pornos zu gucken wie sonst immer, wenn ich im Hotel bin. Sondern schlichtweg einschlief. Um zwölf wachte ich wieder auf, weil der Fernseher noch lief. Ausschalten, weiterschlafen. So bin ich heute wirklich wach. Und hol mir eben von unten den zweiten Kaffee, bevor ich dies hier formatiere und einstelle. Übrigens ist es hier schwierig, über Funk ins Netz zu kommen; keine Ahnung, woran es liegt.
Ah ja, à propos Junge Welt: Bongartz hat für diese Zeitung das wohl Klügste und Einfühlsamste geschrieben, das über MEERE jemals gesagt worden ist. Die Kritik erschien bereits gestern. Der für mich wichtigste Satz, weil er so wahr ist, darin:Es geht in diesem leidenschaftlichen, verzweifelt schönen Buch um nichts anderes als um die Rettung des Subjekts durch die Kunst.Ja.
Zum Schuber dann immer wieder die Diskussion, ob man eine zweite Tranche auflegt. Mein Verleger Gelpke möchte das nicht. „Das Ding ist Kult. Und es geht mir um eine Geste gegenüber dem Autor und seinem Werk. Ich möchte nicht, daß man denkt, ich wolle damit Geld verdienen.“ Ich selbst sehe es anders, ich denke an die rund 2000 Exemplare, die auf dem Lager aufs Makulieren warten; die Vorstellung ist mir grauslich. Weshalb nicht auch diese Bücher überkleben? Aber sowas muß bezahlt werden können, der Prozeß hat zu viel Geld einfach verbrannt, unproduktiv verbrannt; es muß irgendwie gerechtfertigt werden, wenn man noch einmal Geld in das Buch hineinsteckt, das Geld muß irgendwoher kommen. Da die gesamte Schuberauflage innerhalb von drei Tagen weggewesen ist, werde ich, achtungsvoll und vorsichtig, immer wieder weiterbohren. Es ist nicht leicht, ein sechs Jahre altes Buch, das von der Geschichte begraben wurde, wieder in diesen kurzlebigen Markt zu bekommen – zumal es nicht mein einziges ist, sondern immer weitere Bücher entstehen und auch auf die anderen „alten“ Bücher zu achten ist: g e g e n den Zeit„geist“, der sich nur an Novitäten delektiert. Da steht dann ja auch immer noch die >>>> ANDERSWELT-Trilogie und die Frage, wie mit den zwei bereits erschienenen Bänden und dem dann neuen Band umgegangen werden kann und muß, damit nicht auch das einfach weggespült wird. Und auch der >>>> WOLPERTINGER muß im Bewußtsein gehalten werden. MEERE führt eine Ästhetik aus, die anderen Bücher aber entwickeln sie.
Auch >>>> Diadorim lesen hören, am Donnerstag bereits, das war schön. Ich mußte aber schon zum nächsten Termin weiter, es war keine Zeit, ein persönliches Wort zu wechseln. Aber wir lächelten kurz mit den Blicken von hie nach da und da nach hie.

ANM.: Die Bilder stelle ich später ein; meine Netz-Verbindung ist aus diesem Hotelkasten einfach zu langsam, um sie hochzuladen. Duschen. Frühstücken. Sò.

10.52 Uhr:
[BuchMarkt, 3 B 103.]
Bilder stehn drinne. Mit >>>> Rainer Weiss gefrühstückt und zur Messe gefahren. “Jetzt erzähl mir doch mal, wie das zu diesem Schuber gekommen ist.”

4 thoughts on “Arbeitsjournal. Leipziger Buchmesse 2009 (2). Arbeitsjournal mit Rückschau auf gestern. Sonnabend, der 14. März 2009.

    1. @stulli. Ob man Ihnen zu dem weiteren Leseversuch raten oder Ihnen davon abraten soll, ich vermag’s nicht zu sagen: da ich’s so unwichtig finde. Es kommt über Versuche ja doch nie hinaus.

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