8.45 Uhr:
[Arbeitswohnung. Amseln draußen. Entfernt das Grollen einer S-Bahn. Sonst Stille. Nein: der Laptop rauscht.]
Latte macchiato. Das Leere Blatt (kann man das noch sagen?). Zigarette. Ich sah eben den Schulranzen meines Jungen durch und fand die letzte Seite einer Mathearbeit, benotet mit 1. Undatiert aber, weil eben die Vorseiten fehlen. Doch die Aufgaben entsprechen dem, was wir in letzter Zeit geübt hatten. – Die nachgeschriebene Arbeit? Du hast mir überhaupt nichts erzählt… Daneben die Arbeit eines „Verkehrsquiz“‘: 2 +. Auch davon kein Wort. Als interessierte es nicht. Gestern schobst Du los, 5 Euro in der Hosentasche. „Weißt du, was er damit vorhat? Er will seine Freundin einladen. Dein Sohn.“
Das Leere Blatt: der leere Screen? „Schreibst Du mir die Erzählung vom Pflanzenort? Ich habe am XXX Geburtstag.“ Hm. Frauen. Ich pfleg grad meinen Dreitagebart, vier oder fünf hat er jetzt; vielleicht hat es mich genervt, daß ich im letzten KulturSpiegel mal wieder „Glatzkopf“ genannt werde. Jetzt seh ich a bisserl so aus wie van Gogh auf dem Selbstbild mit dem verbundenen Ohr. Das ja fehlt, dem Vernehmen nach. Der Satz geht so: „Noch radikaler geht diesen Weg Alban Nikolai Herbst, 54. Der Glatzkopf ist bekannt für sein ehrgeizig experimentelles Erzählen (…).“ Immerhin kommt der Autor auf eine, gemessen an meiner „Werk“-Wut, interessante Conclusio: „Herbsts Internet-Methode zerstört das Werk als Ganzes, es existiert öffentlich sichtbar in einer Vielzahl von Varianten.“ In der Tat, eine begründete Beobachtung, auch wenn sie etwas beschreibt, das meinen bewußten Intentionen gar nicht entspricht, einem, das meine eigene Klassizität unterläuft. Vielleicht gehört das aber zusammen?
Ich habe bis halb neun geschlafen, wirklich. Bis etwa Anfang der Neunziger trug ich immer einen Vierfünftagesbart. Die Frauen klagten, das kratze so. Manche, mit empfindlicher Haut, wurden ganz rot im Gesicht von dem Gepieksel, pustelig. Da gab ich nach, gewöhnte mich daran, schon ging das Wort vom Glatzkopf rund und scheuerte sich in den Sprachgebrauch ein. Im übrigen jucken Vierfünftagebärte mich selber. Es gibt keinen Grund mehr, auf Frauen Rücksicht zu nehmen. Außerdem wird meine untere Gesichtshälfte der meiner Mutter immer ähnlicher, was mich bisweilen erschreckt. Ich ähnelte lieber meinem Vater. Aber das ist nicht so. Mal gucken, was im Netz geschah.