meine liebe großmutter…

… dein schaukelstuhl steht jetzt wieder draußen, wie früher, unter einem flieder.


ich werde ihn nächste woche abschleifen, nicht mehr lasieren, sondern mit einem wachs behandeln, damit das holz wieder seine natürliche farbe bekommt, dann darf er wind und wetter ausgesetzt erst nachdunkeln, und dann ausbleichen, so wie das holz auf dem alten steg, auf dem wir immer saßen, häufig auch mitten in der nacht bei vollmond, und der see seinem namen „silbersee“ alle ehre machte. „weißt du, ein see ist wie eine bühne…die uns mit ihrem spiel lehrt, was sie für die seele des menschen bedeutet“, sagtest du einmal. viele jahre stand dein stuhl im wohnzimmer, manchmal im keller, oder auch auf dem dachboden… ich trug diese jahre immer ein schlechtes gewissen mit mir, weil ich wußte, daß es dir lieber gewesen wäre, wenn er diese jahre draußen verbracht hätte. es würde dir sehr gefallen, ihn auf meiner terrasse unter dem flieder so zu sehen. du brachtest ihn damals, wie deine nelkenzigaretten, aus indonesien mit. „dieser stuhl muß draußen stehen, wind, wetter, dem regen, der sonne ausgesetzt, muß er atmen können, darf alt und grau werden, sein holz darf reagieren und springen.“ du wolltest nie ein kissen unter dem hintern, wolltest immer direkt das holz spüren, draußen auf der alten veranda in der sonne sitzen, lesen, kaffee trinken, rauchen, dem himmel einen eigenen augen:blick schenken. links von dem stuhl werde ich eine englische rose pflanzen, rechts vom stuhl in einem topf eine clematis, die auch im winter ihr grün behält, beide dürfen an der holzwand ranken, deinen stuhl umwachsen, auf dem boden wird vorn unter der japanischen azalee gleich am anfang deine christrose zu sehen sein, sie hat dort den schatten, den sie braucht. ich möchte dir in meinem garten eine ecke widmen, eine nur für dich. immer wenn ich diesen stuhl erblicke, sehe ich dich dort sitzen, mit deinem grinsen im gesicht, meistens schütteltest du energisch deinen kopf mit den kurzen wilden locken, auch als dein haar schon ganz weiß war, trugst du es immer noch kurz… aber es waren locken, ungeordnet, wild, einen fön hast zu zeit deines lebens nie benutzt, dein haar immer so trocknen lassen. du gingst morgens im sommer grundsätzlich mit nassem haar durch den garten zur alten veranda, setztest dich in die morgensonne, trankst deinen kaffee, rauchtest eine. das war dein frühstück, und gelächelt hast du wirklich selten. „das leben spielt mit uns, deswegen braucht’s das grinsen. wer lächelt, ohne wirklich einverstanden zu sein, beugt sich.“