Arbeitsjournal. Sonnabend, der 20. Juni 2009.

9.44 Uhr:
[Arbeitswohnung.]Nun saßen wir wieder zusammen im >>>> Prater Berlin, >>>> Gerd-Peter Eigner und ich; der Streit hat ein Ende, beide nannten wir uns Querkopf, leise, mit einem Lächeln. UF war dabei, >>>> Giwi Margwelaschwili und sein >>>> Verleger Sundermeier kamen hinzu, der Profi kam hinzu; wir gingen immer wieder hinaus, um zu rauchen; dem erkrankten Eigner war es zu kalt draußen, er war deutlich angeschlagen; aber wir trafen uns in der Grundstimmung, meine ist wie seine momentan: Wir wissen, was vom Betrieb zu halten ist, von mir ist derzeit dieses Kämpferische ziemlich abgefallen, ich kenne neuerdings plötzliche Zustände der Meditation, sehe einfach so vor mich hin, denke nicht mal, aber finde, es sei eigentlich alles eigentlich eigentlich so schon in Ordnung, wie’s gelaufen ist und weiterläuft. Eigner: „Ich kam, wie man zu recht sagt, vom Regen in die Traufe.“ Dann nahm er den Literaturagenten *** auf die Spitze des Floretts; von des Literaturagenten Mund troffen schmierige Anfälle des Lächelns; der Profi zu Eigner, draußen, beisammenstehend ohne den Agenten: „Das war elegant. Herbst nimmt ja immer gleich das Schwert, du nimmst das Florett.“ Vor der Verabschiedung nahm ich nicht das Schwert, sondern den Hammer; aber daran waren die vier Halben schuld – und ich, weil ich sie trank. Na gut.

Ich bin wirklich nicht sehr arbeitsintensiv zur Zeit; zu Leukert, vorgestern nacht, als er nach meiner Arbeit fragte, sagte ich: „Weißt du, ich habe so viel geschrieben in meinem Leben, es sind so viele Bücher jetzt da, Hörarbeiten, Theorie, daß ich denke, ich kann auch mal nix machen, gar nix.“ Was so auch nicht stimmt, Die Dschungel laufen ja weiter, das eine und andere Gedicht entsteht, Pläne habe ich auch schon noch, aber momentan fällt der Druck von mir ab, dieser Produktionsdruck; es hat – aus einer anderen Perspektive betrachtet – allerdings auch was >>>> Rentenneurotisches. Es ist nicht eigentlich Kraftlosigkeit, es ist eine Form der Lustlosigkeit gegenüber Wänden, an die man immer wieder rannte; von Rente kann ja eh keine Rede sein. Lustig war, daß Eigner und ich uns gegenseitig anbehaupteten, je der andere sei der Betriebsunhold mit dem Danebenbenehmen, der Sturköpfigkeit, der in die Tat treibenden Tendenz, verschmierte Betriebsler möglichst nachdrücklich zu beleidigen: nachdrücklich und laut und ohne Hintertür. Unterm Strich nehmen wir uns beide nichts, was die Unfähigkeit anbelangt, sich zu beugen. Eigner erhält jetzt den Eichendorff-Preis, was mich glücklich machte, als er’s erzählte. Wir sprachen über >>>> Dieckmann, wir sprachen über Olevano, wo die Niederschrift des >>>> New-York-Romans, bei bitterer Kälte und einem so qualmenden Kamin, daß ich immer wieder lange das Fenster aufreißen mußte, um nicht zu ersticken, und, um nicht zu erfrieren, es schnell wieder schließen. Meines Sohnes Mama war hochschwanger, sie blieb tags unten im Ort, in der anderen Wohnung, die in den Fels gehauen ist und wo es sich heizen ließ. Weihnachten 1999. Das ist neuneinhalb Jahre her.

Heut will ich mit >>>> Pruniers New-York-Übersetzung weitermachen, die ich schleifen ließ. Außerdem möchte ich ans Cello, sowas von elf bis eins. Bis neun Uhr habe ich geschlafen. Unfaßbar. Mein Morgenbrötchen strich ich an den Brüsten einer Frau, Sie müssen schon verzeihen, wenn mir die Tage durcheinandergehen. Als ich Eigner von meiner Erkrankung – irgendwie ist das Wort falsch, auch wenn es richtig ist – erzählte, erzählte er zurück. „Damals gab es keine Medikamente. Ich bekam eine Spritze in die Nille… Nille—“ Umherblick in die Runde: „… sagt man das noch?… also die Spritze, dann merkte man nichts mehr, und dann wurde ein kleiner Bunsenbrenner genommen… nein, nein, das tat nicht weh, also nicht währenddem, aber es roch unschön.“ Das sind so Szenen. Die man behält.

Andere Frage: Wie bekomme ich >>>> Schleim in ein Gedicht, also Sekret? Das beschäftigt mich ziemlich. Alle Wörter sind trocken.

16.38 Uhr:
Gegen halb eins kam UF; wir plauderten, gingen ans Netz, „>>>> dropboxten“, überspielten Musiken; er brachte mir Faulkners Snopes-Trologie mit; „ich müßte mich schwer täuschen, wenn Dich dieser Roman nicht begeisterte!“ – Vor einer halben Stunde zog er wieder ab, ich ging zu meinen Vietnamesenschmugglern; heute stand einer da, der nicht ein Wort Deutsch verstand. Danach fürs Abendessen eingekauft, mein Bub kommt heute her. Jetzt wieder etwas ans Cello. Ach ja, Verlagspläne schmiedeten wir. „Bitte halte dich mit einer Netzpublikation des dritten Anderswelt-Bandes noch zurück. Bitte. Sizilien ja, Dolfinger ja, Arndt ja… aber bitte erst einmal nicht Anderswelt.“ Ich fange an, auf andere zu hören. Sofern sie mit mir befreundet sind.

20 thoughts on “Arbeitsjournal. Sonnabend, der 20. Juni 2009.

    1. @chatnoir. Das geht g a r nicht, weil das Wort eine ungute Empfindung auslöst. Es geht aber darum, daß es zur Ambivalenz fähig ist: was es ausdrückt, muß zugleich bis zur Gier anlocken wie abstoßen können. “Schlotze”, wahrscheinlich, wiel “Rotz” darin anklingt, erreicht genau das n i c h t. Dem Begriff wäre sogar “Schleim” vorzuziehen; aber auch “Schleim”, eben, löst bereits Abwehr aus.

      [“Chatnoir”, fällt mir gerade erst auf, ist nicht nur die schwarze Katze, sondern auch das “schwarze Plaudern”…]

  1. Ein potentieller Privatmäzen könnte sich eventuell davon abgestoßen fühlen: Der Ärger über “schmierige Beriebler”, Herr Herbst, ist so alt wie der Betrieb, hörn sie doch einfach auf damit. Der Betrieb funktioniert. Und er ist so groß, dass eigentlich alle Arten und Stile in ihm Platz finden: Er vergibt alle Nase lang Stadtschreiberstellen, auf die sich jeder bewerben kann. Viele Autoren bekommen diese Stadtschreiberstellen. Auch Anfänger. Aber auch solche, die durchaus nicht einfach massenkompatibel schreiben. Er vergibt jährlich so viele Preise, kleine und große, und Stipendien, dass man sich schon wundern muss, dass man sich schon Mühe geben muss, keinen Preis zu bekommen. Ingo Schulze oder Katja Lange Müller haben auch einmal klein angefangen. Ihr Status kann also nur an einer selbstgewählten Antihaltung sich spiegeln.

    1. zur selbstgewählten antihaltung, siehe thomas kling, itinerar, 1997 und dem wer-nicht-will-der-hat-schon, was man nicht müde wird, jedem bartleby vorzubeten.
      ihren kommentar werte ich als verhöhnung all derer, die keine preise kriegen. und warum man um manchen stadtschreiberposten o ä lieber einen bogen macht, davon weiss die ganz zunft zu singen. wie soll denn jemand, der ein schulpflichtiges kind hat zb, einen stadtschreiberposten überhaupt antreten? oder ein stipendium, das residenzpflicht verlangt? selbst schuld, wenn er dem anderen elter das nicht zumuten kann, mag, will? was vermehrt der sich auch, der dämliche autor?
      es geht doch gar nicht um schmierig oder nicht, es geht darum, dass man stipendien oft völlig an der lebenswirklichkeit von künstlern vorbei vergibt.
      jaja, das selbstgewählte. so wie es auch ein pasolini wollte, dass man ihm vom schuldienst suspendiert, klar, alles selbstgewählt, ein letzter trost ist mir geblieben, ich lass die schuld gern mir zuschieben. soso. ich finde die argumentation höchst, na, sagen wir, seltsam.

    2. @R.F. Sie irren vor allem woanders; auf eine Diskussion, wie sie sehr entgegenkommenderweise diadorim mit Ihnen beginnen zu wollen scheint, lasse ich mich gar nicht erst ein. Sie irren h i e r: Schulze und Lange-Müller sind klein geblieben; es sind aber nette Menschen, das mag ich gern betonen.

    3. Klein, herr herbst oder groß, ist doch gar keine kategorie, die hier in diese diskussion passt…die auch jemand, der selbst Schwierigkeiten mit seinen Schreibversuchen hat, kaum beurteilen kann. Weil er nämlich befangen ist. Selbstverständlich sind die beiden genannten große deutschsprachige Autoren.
      Ich sprach davon, dass auch Mäzene günstig gestimmt werden, wenn sie selbst das Gefühl haben, einen Autor für förderungswürdig zu finden. Sie müssen wissen, dass Mäzene zumeist selbst ein wenig eitel sind, und es gern haben, wenn sie sich für eine Unterstützung entscheiden, dass der Autor sich dann so verhält, dass er seinem Mäzen nicht durch unbegründete Selbsterhöhung peinlich ist. Davon wollte ich sprechen, von diesem Geschick wollte ich sprechen.

    4. @R.F. (ff). Die Kategorie der Größe haben Sie selbst eingeführt, nicht ich; wiewohl sie von mir stammen könnte. Bei Ingo Schulze, den ich für r e s t l o s überschätzt halte, und bei Lange-Müller, deren Schnauze ich schätze, sind wir literarisch halt verschiedener Meinung. Sowas kommt vor. Die Zeit wird die Wahrheit herausspülen.
      Was Mäzene anbelangt, soweit sie mir bekannt und an Kunst interessiert sind, interessiert sie eine mögliche Selbsterhöhung des Künstlers kaum; sonst hätten wir signifikant weniger Mäzene gehabt als… na ja “wir” hatten. Dem oft schlimmen Selbstzweifel, der bis in die Zerknirschung langen und wirklich auch zerknirschen kann, entspricht nicht selten eine Tendenz ins Gegenteil, ohne die wiederum manch ein Werk nie entstanden wäre. Das hat was manisch-Depressives, das zu einigen Künstlernaturen innig gehört. Daß Sie da, im Namen vermeintlicher Mäzene, eine moralische Kategorie ins Spiel bringen, ist lächerlich. Und glauben Sie mir, ich schriebe Ihnen das auch dann, wenn Sie ein potentieller Mäzen für mich wären. Allerdings habe ich mit anonymen Überweisungen bis heute niemals Erfahrung gemacht.

    5. na Gut, Herr Herbst, da kann man nicht vorgreifen, ich weiß nicht, ob sie Ingo Schulzes Erzählungen kennen, insbesondere die, wo er von seinen schriftstellerreisen im offiziellen Auftrag berichtet, wo er auf Kongresse eingeladen wird von Goetheinstituten, darüber schreibt er und verbindet sein schreiben mit seiner stellung, die er sich mit gutem Schreiben verdient hat. das nenne ich geschick

    6. @R.F. (fff). Sie haben’s absolut erfaßt: er ist ein geschickter Schriftsteller – so geschickt, daß es im gesamten Betrieb niemanden gibt, der ihn nicht persönlich sehr sehr sehr sehr sehr sehr sehr sehr sehr sehr mag. Man ist gern in seiner Gesellschaft, es ist so rücksichtsvoll harmonisch. Geradezu beeindruckend. So warmherzig, der junge Mann, derart liebevoll-aufmerksam. Und gut sieht er auch nicht aus, nicht mal d a ist Gefahr. Das alles würde ich nie nie nie nie nie nie bestreiten.
      Die Prosa ist marginal. Wer halt Ossiwessi dufte findet, wer Betriebsnudeleien, auch kritische, so wunderschön selbstironisch findet, so kitzelnd, so wärmend noch in der Distanz…

    7. wie jemand aussieht, kann kein Kriterium sein. Sie unterstellen, dass Menschen die
      nicht besonders gut aussehen, es leicht haben. Im Gegenteil, sie haben es schwerer, und müssen extra mit Qualität überzeugen.

    8. @R.F. (ffff). In einigen Zusammenhängen haben Sie recht, in anderen unrecht; und es kommt auf die Hinsichten an. In d i e s e m Fall irren Sie ein weiteres Mal. Der Literaturbetrieb mag keine Schönheit: sie wäre… nein: i s t den Betriebslern über. “wie jemand aussieht, kann kein Kriterium sein” ist an sich schon eine völlig rumpestilzchen’sche Haltung. Hätten Sie geschrieben “sollte kein Kriterium sein”, wäre ich Ihrer Meinung. S o aber sag ich nur: wo lebt denn diese(r) R.F.?

    9. gut ich schieb mal vor da ist erst einmal ein rumpelstilzchen.
      es zerreisst sich – dechiffrierterweise – in zwei hälften :
      die eine ist angepasst kapitalistisch, die andere urchristlich / kommunistisch.
      dazwischen steht der held : columna vertebralis verhaftet, einer der kohle macht.

    10. naja gibt es da noch jemanden, der einen auf einen “europäischen gedanken” macht?
      wenn dann wäre mir das zu wenig.

    11. es gibt desweiteren eine instanz, welche anforderungen anmeldet.
      sie kündet : ich bin allwissend.

  2. Fiktionales Was die Netzpublikation der “Anderswelt” betrifft, hat der Ratgeber aber mal Recht. Der “kaisertreue Cyberpunk” ist so ziemlich die einzige Facette des Autors, die mich interessiert…

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