Arbeitsjournal. Sonntag, der 21. Juni 2009. Sommeranfang.

8.22 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Mir geht Arnold Stadlers Satz nach, den ich heute morgen in >>>> Volltext las:Das große Personal, das auch gewünscht wird vom großen Publikum, das kann ich nicht bedienen. Mir geht es um Erscheinungen, die, wie bei Robert Walser, so klein sind, daß sie fast gar nicht auf der Welt sind, also in der Wahrnehmung eines großen Publikums oder eines Kritikers, der sich die große Welt wünscht, nicht vorkommen.Aus dieser Bemerkung strömt sehr viel Wahrheit, eine innige innere Wahrheit, auch wenn ich mich frage, was mit „großer Welt“ denn gemeint sei. Gehören die Demonstrationen im Iran dazu? Wenn ja: wie? Gehört überhaupt Weltgeschichte dazu? Gehört dazu der von der Technologie bewirkte anthropologische Umbruch, und falls ja: inwieweit und in welcher Hinsicht?

Es sieht so aus, als müßte ich mich bereits wieder um einen neuen Laptop kümmern; mein Gerät wird neuerdings in kürzester Zeit enorm heiß und stürzt dadurch oft ab; ich muß dann einzwei Minuten warten, bevor ich ihn wieder anschalten kann und er hochfährt. Es ist der Lüfter, der auch dauernd läuft, nicht mehr in Perioden.
Mit Faulkner angefangen gestern nacht: „Das Dorf“. UF hat recht, der Text zieht einen sofort hinein. Vielleicht werde ich heute nur lesen, sowie ich >>>> Pruniers heutige Übersetzungs-Tranche eingestellt haben werde. Gut, mit meinem Jungen, wenn er nachher herkommt, möchte ich was unternehmen; er hat heute nacht wieder bei seiner Freundin geschlafen. Und ich sortiere abermals Bücher aus, es klaffen ziemliche Lücken in meiner Bücherwand. Ziemlich unerbittlich weg, was ich ziemlich sicher nie (mehr) lesen werde, auch wenn ich weiß: eigentlich sollte ich’s tun.

Aus den Gesprächen mit UF:
Eventuell folgendes tun. Sämtliche Rechte zurückholen, was an sich kein Problem darstellen dürfte bei meinen – euphemistisch ausgedrückt: „Erfahrungen“. Dann 1) damit beginnen, alle Bücher, die nicht in größeren Stückzahlen übers Moderne Antiquariat erhältlich sind, frei ins Netz zu stellen: „Bedient euch, wenn ihr wollt, es ist mir völlig schnuppe“ ist die Bewegung. 2) Diese Bücher als ebooks zugänglich machen, aber gleichzeitig 3) als book in demand für alle diejenigen, die den Fetisch noch haben möchten. Letztres ist weniger abwertend gemeint, als es vielleicht klingt: ich selber hänge an solchen Fetischen ja, auch für meine eigenen Arbeiten. Daneben wird es dann immer mal wieder solche limitierten Auflagen wie die >>>> AEOLIA geben, die einen Kunstcharacter haben und mit der Idee vom Original weiterspielen. Hier wird auch etwas angegangen, das persönlich notwendig ist: Wie überlebe ich? „Wovon willst du leben, wenn du alles frei zugänglich machst?“ fragte UF. Das sei längst kein Argument mehr, antwortete ich; von Verlagen und dem herkömmlichen Markt, der das Urheberrecht aus einkommen-besitzstandsrechtlichen Gründen als Basis hat, könne ich ja auch nicht mehr leben. Schon lange nicht mehr. Von meiner Rowohlt-Zeit einmal abgesehen, und das sind drei Jahre gewesen, nicht mehr, konnte ich das noch nie.
À propos: Ich gebe zwei weitere AEOLIA-Ausgaben mit Handzeichnung und Autograph ab, abermals zum Preis einer Monatsmiete für die Arbeitswohnung (175,50 Euro), zu überweisen an meinen Vermieter. Wer kaufen möchte, wende sich bitte an fiktionaere at gmx dot de.

6 thoughts on “Arbeitsjournal. Sonntag, der 21. Juni 2009. Sommeranfang.

  1. große welt/kleine welt

    auf diesem bild sehen Sie das, was jeder sieht, was etwas darstellt, greifbar ist (große welt)

    auf diesem sehen Sie das, was nur der sieht, der wirklich hinsieht (kleine welt)

    eigentlich ist die kleine welt die wirklich große

  2. @cellini @ ANH Das ist ein wunderbarer Kommentar liebe Cellini, vielen Dank dafür!.
    Sie dürfen das nicht aufgeben, Sie geben den Dschungeln so eine wunderbare Normalität, ohne damit ihr Leben profanieren zu wollen, was erstens ganz bestimmt nicht meine Absicht ist und zweitens auch nicht der Fall.

    Herbst,
    wenn Sie doch ein mal den Film schauen würden über den wir schon sprachen. An den Sie Ihre Toilettenbeleuchtung regelmäßig erinnert.
    Darin kommt eine ganz wunderbare Szene vor, die genau das zeigt:”Erscheinungen, die,… so klein sind, das sie fast gar nicht auf der Welt sind”. Aber wie sagte Eigner? Querkopf?

    1. @ovid (anonym):
      ja!… die ostsee ist ein binnenmeer, wird auch brackwassermeer genannt. und wem haben wir zu verdanken, daß 20 % des grundes dieses brackwassermeeres “todeszonen” genannt werden?. dem menschen. sie können ja mal googeln… stichwort “munitionsentsorgung in der ostsee”, oder “einleitung von schadstoffen in die ostsee”, oder “verunreinung der ostsee durch tbt”, welches bestandteil der schiffsfarben ist, um ein anwachsen von muscheln, algen, oder anderen kleinstlebewesen am schiffsrumpf zu verhindern, oder sich geologische berichte von exkursionen der letzten jahre durchlesen, die finden sie auch im netz. im gegensatz zur vollatlantischen regionen mit einem salzgehalt von 3,8 % liegt der salzgehalt der ostsee nur bei 0,8 %, weshalb zum großen teil nur angepasste tiergruppen mit sonderformen darin leben können. die geologische geschichte norddeutschlands sagt ihnen, warum die ostsee dieses eigene wasser hat, warum sich welches land um sie herum befindet, und welcher art die geschiebe sind, auf denen diese länder ruhen, und warum sie genau deshalb so schön ist.

      @ANH:
      danke! als ich gestern mit dem hintern auf einem stein saß, und über das meer blickte, dachte ich an diese/Ihre Worte.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .