Arbeitsjournal. Dienstag, der 23. Juni 2009.

7.54 Uhr:
[Arbeitswohnung. Latte macchiato. Morgencigarillo.]Bücher abstoßen ff. Αναδυομένη kommt gleich vorbei, um durchzuschauen, was s i e davon haben möchte. Ob ich es allerdings schaffen werde, gleich noch eine Fuhre zur Schule zu fahren, ist ungewiß, weil ich um elf beim Cellounterricht in Charlottenburg sein muß.

[Kopfschmerzen. >>>> Old fashioned und drei Bier vertragen sich nicht. Erst um halb acht hoch, nach unruhigem Schlaf.]

…ah… es klingelt…

220.23 Uhr:
Ich hab keinen Plan mit der Neuordnung. Vorher war alles perfekt, jetzt ist’s durcheinander…
Um 21.30 Uhr treff ich Eigner im Prater; der Profi will dazukommen. Ich überlege, wie alles neu anordnen hier, bin verwirrt. Gehört Verwirrung zur Klärung?

0.21 Uhr:
Jetzt noch eine halbe Stunde Faulkner lesen; dazu Wein. Dann schlafen. War ein guter Tag, letztlich, trotz des (oder wegen des?) Chaos.

[Ich habe noch viel viel Zeit – dachte ich gerade.]

5 thoughts on “Arbeitsjournal. Dienstag, der 23. Juni 2009.

  1. Das Verwirrung vor der Klärung da sein m u ß, wissen doch wohl Sie selbst am besten, mich wundert diese Frage aus Ihrer Feder. Oder wundern Sie sich jetzt darüber, daß Sie mit Ihrem “Aufräumungswillen” im Grunde Verwirrung schafften, womit Sie nicht rechneten.

    Hören Sie auf aufzuräumen, eine äußere Ordnung, die das eigene Innen nicht akzeptiert, ist keine eigene Ordnung, weil sie nicht der inneren entspricht. Vorher fanden Sie alles, oder? Und es sah für Sie gut aus, oder?.

    Stellen Sie die Bücher, die Sie behalten wollen erst einmal irgendwo ins Regal, die Ordnung findet sich später von allein, weil Sie hier eines rausnehmen, es d a wieder rein stellen, später noch einmal und noch einmal umgruppieren. Wenn man in eine neue Wohnung zieht, stellt man auch erst einmal alles dorthin, wo es einigermaßen hinpaßt, später räumt man eh wieder um, die uneigentliche Ordnung, die kommt später von ganz allein, und diese Ordnung entspricht dann auch dem eigenen Innen.

  2. Für Cellini – wegen dort fehlender Kommentarfunktion hier her gestellt Die Mergelgrube

    Stoß deinen Scheit drei Spannen in den Sand,
    Gesteine siehst du aus dem Schnitte ragen,
    Blau, gelb, zinnoberrot, als ob zur Gant
    Natur die Trödelbude aufgeschlagen.
    Kein Pardelfell war je so bunt gefleckt,
    Kein Rebhuhn, keine Wachtel so gescheckt,
    Als das Gerölle, gleitßend wie vom Schliff,
    Sich aus der Scholle bröckelt bei dem Griff
    Der Hand, dem Scharren mit des Fußes Spitze.

    Wie zürnend sturt dich an der schwarze Gneis,
    Spatkugeln kollern nieder, milchig weiß,
    Und um den Glimmer fahren Silberblitze;
    Gesprenkelte Porphyre, groß und klein,
    Die Okerdruse und der Feuerstein —
    Nur wenige hat dieser Grund gezeugt,
    Der sah den Strand, und der des Berges Kuppe;
    Die zorn’ge Welle hat sie hergescheucht,
    Leviathan mit seiner Riesenschuppe,
    Als schäumend übern Sinai er fuhr,
    Des Himmels Schleusen dreißig Tage offen,
    Gebirge schmolzen ein wie Zuckerkand,
    Als dann am Ararat die Arche stand
    Und eine fremde, üppige Natur,
    Ein neues Leben quoll aus neuen Stoffen. —

    Findlinge nennt man sie, weil von der Brust,
    Der mütterlichen, sie gerissen sind,
    In fremde Wiege, schlummernd unbewußt,
    Die fremde Hand sie legt’ wie’s Findelkind.
    O welch’ ein Waisenhaus ist diese Heide,
    Die Mohren, Blaßgesicht und rote Haut
    Gleichförmig hüllet mit dem braunen Kleide!
    Wie endlos ihre Zellenreihn gebaut!

    Tief ins Gebröckel, in die Mergelgrube
    War ich gestiegen, denn der Wind zog scharf;
    Dort saß ich seitwärts in der Höhlenstube
    Und horchte träumend auf der Luft Geharf.
    Es waren Klänge, wie wenn Geisterhall
    Melodisch schwinde im zerstörten All;
    Und dann ein Zischen, wie von Moores Klaffen,
    Wenn brodelnd es in sich zusamm’gesunken;
    Mir überm Haupt ein Rispeln und ein Schaffen,
    Als scharre in der Asche man den Funken.
    Findlinge zog ich Stück auf Stück hervor
    Und lauschte, lauschte mit berauschtem Ohr.

    Vor mir, um mich der graue Mergel nur;
    Was drüber, sah ich nicht; doch die Natur
    Schien mir verödet, und ein Bild erstand
    Von einer Erde, mürbe, ausgebrannt;
    Ich selber schien ein Funken mir, der doch
    Erzittert in der toten Asche noch,
    Ein Findling im zerfallnen Weltenbau.
    Die Wolke teilte sich, der Wind ward lau;
    Mein Haupt nicht wagt’ ich aus dem Hohl zu strecken,
    Um nicht zu schauen der Verödung Schrecken,
    Wie Neues quoll und Altes sich zersetzte —
    War ich der erste Mensch oder der letzte?

    Ha, auf der Schieferplatte hier Medusen —
    Noch schienen ihre Strahlen sie zu zücken,
    Als sie geschleudert von des Meeres Busen
    Und das Gebirge sank, sie zu zerdrücken.
    Es ist gewiß, die alte Welt ist hin,
    Ich Petrefakt, ein Mammutsknochen drin!
    Und müde, müde sank ich an den Rand
    Der staub’gen Gruft; da rieselte der Grand
    Auf Haar und Kleider mir, ich ward so grau
    Wie eine Leich’ im Katakomben-Bau,
    Und mir zu Füßen hört’ ich leises Knirren,
    Ein Rütteln, ein Gebröckel und ein Schwirren.
    Es war der Totenkäfer, der im Sarg
    Soeben eine frische Leiche barg;
    Ihr Fuß, ihr Flügelchen empor gestellt
    Zeigt eine Wespe mir von dieser Welt.

    Und anders ward mein Träumen nun gewandet,
    Zu einer Mumie ward ich versandet,
    Mein Linnen Staub, fahlgrau mein Angesicht,
    Und auch der Skarabäus fehlte nicht.

    Wie, Leichen über mir? — so eben gar
    Rollt mir ein Byssusknäuel in den Schoß;
    Nein, das ist Wolle, ehrlich Lämmerhaar —
    Und plötzlich ließen mich die Träume los.
    Ich gähnte, dehnte mich, fuhr aus dem Hohl,
    Am Himmel stand der rote Sonnenball,
    Getrübt von Dunst, ein glüher Karneol,
    Und Schafe weideten am Heidewall.
    Dicht über mir sah ich den Hirten sitzen,
    Er schlingt den Faden, und die Nadeln blitzen,
    Wie er bedächtig seinen Socken strickt.
    Zu mir hinunter hat er nicht geblickt.
    »Ave Maria« hebt er an zu pfeifen,
    So sacht und schläfrig, wie die Lüfte streifen.
    Er schaut so seelengleich die Herde an,
    Daß man nicht weiß, ob Schaf er oder Mann.
    Ein Räuspern dann, und langsam aus der Kehle
    Schiebt den Gesang er in das Garngesträhle:

    »Es stehet ein Fischlein in einem tiefen See,
    Danach tu ich wohl schauen, ob es kommt in die Höh’;
    Wandl’ ich über Grunheide bis an den kühlen Rhein,
    Alle meine Gedanken bei meinem Feinsliebchen sein.

    Gleich wie der Mond ins Wasser schaut hinein,
    Und gleich wie die Sonne im Wald gibt güldenen Schein,
    Also sich verborgen bei mir die Liebe findt,
    All meine Gedanken, sie sind bei dir, mein Kind.

    Wer da hat gesagt, ich wollte wandern fort,
    Der hat sein Feinsliebchen an einem andern Ort;
    Trau nicht den falschen Zungen, was sie dir blasen ein,
    Alle meine Gedanken, sie sind bei dir allein.«

    Ich war hinaufgeklommen, stand am Bord,
    Dicht vor dem Schäfer, reichte ihm den Knäuel;
    Er steckt’ ihn an den Hut und strickte fort,
    Sein weißer Kittel zuckte wie ein Weihel.
    Im Moose lag ein Buch; ich hob es auf —
    »Bertuchs Naturgeschichte; lest Ihr das?«
    Da zog ein Lächeln seine Lippen auf:
    »Der lügt mal, Herr! Doch das ist just der Spaß!
    Von Schlangen, Bären, die in Stein verwandelt,
    Als, wie Genesis sagt, die Schleusen offen;
    Wär’s nicht zur Kurzweil, wär’ es schlecht gehandelt:
    Man weiß ja doch, daß alles Vieh versoffen.«
    Ich reichte ihm die Schieferplatte: »Schau,
    Das war ein Tier.« Da zwinkert’ er die Brau
    Und hat mir lange pfiffig nachgelacht —
    Daß ich verrückt sei, hätt’ er nicht gedacht!

    Annette von Droste-Hülshoff, 1844

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