Haben wir genug bedacht. 18.09. 2009. Paul Reichenbach fragt.

Komm, letztes Menschenkind, das hören und sehen kann,
komm, fühle und taste, du wirst die Wissenschaft noch früh
genug lernen, ganz sicher wirst du sie lernen (Michel Serres)

Es ist Zeit: Nicht mehr breiten sich aus göttliche Landschaften, Hügel und Täler, weiche Wiesen; verloren die sinnlichen Dinge, Lustgeflüster der Welt, Geschmack und Duft, Zitterpappel und Ehrenpreis. Haben wir genug bedacht? Der Garten der Sinne geplündert, Ruine, vergessen, überwachsen, Unkraut hochschießender überwuchernder Sprache, die für Gärten und Parks, die wirklich tot sind nur mehr taugt. Ach, haben wir genug bedacht? Vernichtet: Augenfalter, Tüpfelfarn, Narrenfleisch und Lustkegel. Umgebracht: Das zärtliche Geräusch, das heisere Wort, steinern wurden die Lippen und Arme die sich breiten wollen, unmöglich zu kosen, sind sterbende Phantome, die in fernem Abstand sich umkreisen.
Schatten um Schatten werfen die Codes.

Scherzo deutscher Spiegelschrift.

Der Fisch schwimmt. Wir drehen’ s um und sagen: Schiff
Und wo wir’ s nicht tun, bleiben wir unmenschlich.
Wir sagen Tod und töten uns.
Können wir tot in Spiegelschrift nicht glücklicher deuten?
Heißt tot, wie wir’s auch drehen, immer tot?
Doch, dass tot tot bleibt, ist das nicht ein Glück?
Muss aber Leben immer Nebel bleiben
in deutscher Spiegelung?
Den Spiegel her: da steht der Kaiser immer nackt
in immer neuen Kleidern! Fallen wir denn immer
Auf Spitzbuben herein, die Luftgespinste weben,
und sehen nicht, dass in den wechselnden Gewändern
der Kaiser immer nackt bleibt? Sollte nicht aus dumm( lies tum)
Mut werden endlich, wahre Spiegelschrift?
Zu sagen das, was ist! Wird dann nicht nackte Dummheit,
die furchtgeborne, mutig an den Webstuhl selbst sich setzen
und statt der luftigen Nebel Leben weben?
„ Seht, welch ein Muster, welche Farben!“
Schreit statt der Spitzbuben dann Volk und Kind,
das noch im Märchen rief: „er hat ja gar nichts an.“
Und niemand trägt des Kaisers Schleppe mehr…
Ach, haben wir’ s genug bedacht?

Georg Maurer 1965

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