An sich, wenn Okko Kamu dirigiert, ist es gar keine Frage, ob man da hingeht. Kamu gehört, gerade auf seine minimalistische Dirigentenart, zu den Ausnahmeerscheinungen eines klassischen Musikbetriebes, worin, um das Absatzbedürfnis zu erfüllen, die Stars das Repertoire wieder und wieder rauf- und runterdirigieren. Er indessen, unterdessen, hält sich damit sehr zurück, hat’s ja auch nicht mehr nötig, sondern, so ist zu hören, schippert lieber auf seiner Yacht übers Meer, anstelle sich im Rummel ovatonieren zu lassen. Ach, das ist schon zu beneiden, wenn’s einer finanziell nicht muß und lächelnd zu verstehen gibt: Leute, leckt’s mich … Kein unnötiges Ge- und Verbeuge, keine Verdrehungen in den Markt und auch das Showgemätzje nicht länger vor einem Publikum.
Kamu war, als junger Mann – in der Hinsicht muß man das ein Lebensglück nennen – Protegé >>>> Herbert von Karajans, das machte ihn in dem bevölkerungskleinen Finnland schnell unanfechtbar. Ein- und ausgegeangen, wie alle dort, ist aber auch e r – h i e r:Ab 2011 wird er Chefdirigent des großen Lahti-Sinfonieorchesters werden und zugleich Künstlerischer Direktor des Internationalen Sibelius-Festivals >>>> Helsinki. Nun aber ist er hiergewesen, im Rahmen der Nordischen Musikreihe >>>> „NordNote” des Konzerthauses Berlin und des Berliner Finnland-Institutes, von der ich >>>> schon geschrieben habe und die ich ausgesprochen gerne ein wenig mit„promote”.
Man m u ß t e also hin, zumal neben Griegs Klavierkonzert-„Schlager”, ohne den wir den Namen dieses Komponisten wahrscheinlich gar nicht kennten, zwei der späten Kompositionen Jean Sibelius’ auf dem Programm standen, deren eine ich tief liebe und die ich derart schön wie gestern abend bisher nur vom Chamber Orchestra of Europe unter Paavo Berglund gehört habe: Sibelius’ eigenwillige, so klangschöne wie sperrige letzte Sinfonie, die fast erschreckend einsätzige Siebte. Aber bereits bei Hugo Alfvéns tongemalter, sicher nicht weltbedeutender, doch fantasievollster Schärensage op. 20 zeigte das Konzerthausorchester wieder, zu welch einem Klangkörper es sich schon entwickelt hat. Kamu, warmherzig distanziert, geringst in den vorausmalenden Bewegungen, wie kaum mehr als über den Gedanken zugegen, hielt die Einsätze derart geschmeidig, daß ich den durchaus nicht-modernen, etwas unscharfen Klangcharakter des Saales minutenlang nicht mehr wahrnahm; dazu, im zweiten Grieg-Satz, ein so characteristisches erstes Cello – man hielt wie im Hören ein. Dann der noch immer jugendlich wirkende Henri Sigridsson, der seine Parts deutlich mitsang und schließlich auch gar nicht mehr zu spielen aufhören mochte. Nicht nur, daß er als Zugabe ausgerechnet Sibelius’ Orchesterreißer „Finlandia” gab; an sich wäre die von Sibelius selbst transkribierte Klavierfassung ein eigener Programmpunkt gewesen; gegenüber der Orchesterkomposition hat sie den eindeutigen Vorteil, daß das aus der Zeit des finnischen Kampfes um Selbständigkeit zwar verständliche Heroische zugunsten eines härteren, weil – der deutlichen Arbeit wegen – weniger manipulativen Solismus zurückgedrängt wird: ähnlich ist es mir bisher nur bei Liszts Klaviertranskription von Beethoven V gegangen; das Solistische hebt das Corpsgeistige nämlich auf, die Komposition wird in den Einzelnen zurückgenommen.
Aber Sigridssohn wollte auch ein bisserl „réverieren” und legte Sibelius’ Fichte obendrauf:
Freilich war, „Finlandia” zu spielen, auch ideologisches Programm, wie eine Verbeugung vor Sibelius, an dem in Finnland nach wie vor keiner vorbeikommt; ein ziemlich einzigartiges Phänomen, das wiederum nur aus den politischen Zeitläuften um eine nationale Freiheit zu erklären ist und deshalb, etwa für Großbritannien, nicht einmal in Edvard Elgar eine Entsprechung hat.
Kamus Programm erfüllte aber Sigridssons indirekten Aufruf n i c h t. Denn Sibelius’ späte Kompositionen sind alles andere, als daß sie sich als Kampfuntermalung und Stechschrittmacher ge-, geschweige mißbrauchen ließen: zu dunkel der Ton, zu trauernd die Klangbilder; außerdem verläßt gerade „Tapiola” mit seiner Tendenz zur Wiederholung nicht von Melodie, sondern von unerfüllten Klangfolgen sowie mit seinen expressiven Ausbrüchen die sentimentale Übereinkunft, in die uns Griegs zweiter Klavierkonzertsatz hineingleiten ließ. So angenehm dieses auch gewesen war – ja, man darf auch ins Konzert gehn, einfach um schöne Musik zu hören -, nach der Pause wurde überaus deutlich, was Musik, außer Unterhaltung, eben a u c h ist: Ausdruck von und Suche nach Menschlichkeit jenseits kompositorischer und weltanschaulich-politischer Ideologeme. So daß Adornos kaltschnäuziges Verdikt über Sibelius um so entmenschter dasteht und man eigentlich nur noch den Kopf schütteln kann.
Das Konzert des Konzerthausorchesters unter Okko Kamu dürfte nun einer der Höhepunkte, wenn nicht d e r Höhepunkt der NordNote gewesen sein. Daß da noch Sitze freigeblieben sind, freilich, das sagt einiges über die Wahrheit der späten Sibeliusmusik. Es gibt ihr nämlich recht.