45. Tag des Jahres ZwanzigZehn

Die Russen. Meine Leseentwicklung kommt mir heute vor, wie durch die Brust ins Auge, jetzt komme ich bei dem an, was die Grundlage für das legte, was ich lange Jahre las und verehrte.
Fragte man mich heute, welches Buch ich mit auf eine Insel nähme, ich müsste keinen Moment zögern, ich würde weinen um alle die Bücher die ich zurück lassen müsste, und schnell den Drucker anwerfen, d.d.s Tagebuchseiten auswerfen lassen und sie als Kissen zuunterst legen für „Ada“.
Schließlich und endlich glaube ich, dass alles Illusion ist. Man kann sich nichts gewiss sein, nicht einmal den hochwissenschaftlichsten Experimenten, auch das mag eine von Anwars Metastasen sein…
Während Ada mich mit der Männerwelt verbindet, dem Erblühen als Frau, stellt d.d. eine Verbindung zu meiner Generation her, die ich nicht missen will und mag. Ihr Blick auf die Welt, ihre, meine Fernsehserienprägung plus Testbild und sie hat Recht wenn sie sagt es ist ein Generationenkonflikt, wenn frau selbstverständlich emanzipiert aufwuchs und mann die Emanzipationsbewegung in ganzer Länge durchlebte.
Und dann das:

Denn jede persönliche Katastrophe ist doch nur die genauere Auskunft
über den Zustand der übrigen Welt

—-> hier

Dieser Satz knallt.
Sagen Sie diesen Satz mal —-> Caterine Millet, die 2001 ein äußerst sachliches Buch über ihr ausschweifendes Sexualleben veröffentlichte und kurz darauf feststellen musste, dass ihr Mann ein eben solches hat. Sie stürzt in eine Eifersuchtskriese, macht eine Analyse und schreibt ebenfalls ein Buch darüber.
Warum erwähne ich das hier? Weil ich glaube, das offene Beziehungen nicht funktionieren, oder nur wenn man immer wieder redet, wenn es eben ganz genau keine Geheimnisse gibt. Millet entspricht mit Ihren Büchern dem Zeitgeist, dem ich-ich-ich-Trend des Voyourismus. Niemand will mehr Geschichten erzählen, jeder will sein Schicksal oder das anderer ausbreiten, Geschichten zählen nur noch, wenn man zumindest vermuten kann, das Teile, möglichst pikante autobiographischer Natur sind. Das aber genau der Moment der Imagination so irre ist, will das denn keiner mehr begreifen? Der Punkt an dem man eine Grenze überschreitet, ob das nun tatsächlich geschah in der Luft stehen bleibt, das macht gute Literatur aus.