Arbeitsjournal. Dienstag, der 30. März 2010. Erweckung.

9.51 Uhr:
[Arbeitswohnung. Brumel, Et Ecce Terrae Motus.]
Es geht mir wieder gut. Wenn ich mich rasiert und geduscht haben werde, was höchst fällig ist, werden auch die letzten Reste der gestrigen Depression abgeschabt und weggewaschen sein, dann brauch ich noch eine feine Sprühung >>>> Patou pour homme, das zumindest in Deutschland alleine i c h tragen darf, eine ausgewählte Kleidung noch, bewußt mit Krawatte, und ein Frühstück – : und ich werde wieder der dominante Macho sein, der sich hierzudschungels immer wieder der Anwürfe erwehren muß, sie eigentlich aber auch bloß stehenlassen könnte. Ich sag Ihnen: da ist ein B i l d… ah! das werde ich im Laufe des Tages nach-einstellen und mit einem fein gewürzten Einwort-Kommentar versehen, der rein aus seelischem Chili gemahlen worden ist. Sò. Vor allem war die Kritik zu schreiben, dazu ein dreieinhalbtes Mal >>>> Furrers Oper anzuhören; >>>> der Text steht bereits drin. Er hat nicht wenig zu meiner Besinnung, die etwas von Erweckung hat, beigetragen: indem er mich positioniert, indem ich wieder Haltung bekomme, die immer Klarheit voraussetzt. Zu arbeiten erlöst; aber, selbstverständlich, nur dann, wenn jemand seine Arbeit auch will; ansonsten demütigt sie.
Ein gutes Gespräch mit شجرة حبة tat das übrige Wohl, bereits ein erstes in der Nacht schenkte die erschöpfte Milderung. Letzten Endes bin ich für diese Depressionen, die Ausdruck von erlittener Hilfslosigkeit sind, sogar dankbar: sie waschen einen, während man hindurchströmt. Sie stehen wie zu dicke Luft zwischen mir und einem Ziel, man kann nicht drumrumgehen, man muß hindurch; es wäre ein Verhängnis, spürte man sie nicht mehr, sondern lederte sich gegen sie ab. Sie sind auch das Prüfbett für Kraft, wobei ich mir im klaren darüber bin, daß es sich eigentlich um Depressionen nicht handelt: Depressionen sind eine Krankheit, die oft ihren Grund verloren hat, indem sie entweder endogen, also physischer Natur (dann helfen nur Medikamente), oder aber als Ausdrucksform chronifiziert ist. Das ist bei mir, sehr dankenswerterweise, nicht der Fall. Insofern bin ich auch heilfroh, nämlich stolz darauf, dem verlockenden Griff zum Lexotanil widerstanden und auch keinen Alkohol getrunken zu haben. „Trinken” darf man nur, wenn es einem gutgeht. Wahrscheinlich ist es mit anderen Drogen ganz dasselbe.
Soviel dazu.
Dringend ist heute der Widerspruch gegen den geschätzten Steuerbescheid zu schreiben; außerdem muß ich Ralf Schnell anrufen und mich wegen gestern abend entschuldigen. Danach will ich an die zweite Kritik, welches meine letzte zur Maerzmusik sein wird, und wenn s i e steht, setze ich mich ans Cello. Dann wird es bereits Zeit sein, für meinen Jungen das Mittagessen zu kochen, das vorher noch eingekauft werden muß. Mittagsschlaf sodann. Der Nachmittag ist noch so unklar wie der Abend. Wobei ich meine Routine des sehrfrühmorgendlichen Aufstehens wahrscheinlich erst wieder hinbekommen werde, wenn ich wieder an einem durchgehenden Projekt sitze. Erst um zehn nach sechs stand ich heute auf. Egal. Ich lebe, wie ich lebe. Und trenne mich, wenn sich getrennt werden m u ß.
Leser! — : Guten Morgen.

11.55 Uhr:
[Heinz Holliger, Siebengesang (auf Vinyl).]
Sò:13.43 Uhr:
[Abermals Holligers Siebengesang.]
Das Fleisch köchelt in Stückchen, auch das Wasser für die Penne wird schon erhitzt.

„Ich mag dich, egal, wie du aussiehst.” So vorhin شجرة حبة. Da dieser Satz emphatisch gesagt war, als Euphemismus, konnte ich nicht anders, als mir ein weiteres Mal einzugestehen, daß ich selbst, ohne zu lügen, so etwas n i c h t sagen könnte. Ich bin tatsächlich, was Frauen anbelangt, auf Schönheit programmiert, und mein Verständnis darüber, was schön s e i, ist durchaus nicht unabhängig von den Vorgaben und Bildern der medialen Weiblichkeitsindustrie. Das war immer schon so, längst auch, bevor „medial” überhaupt ein Begriff war.
Man mag mir deshalb mit einigem Recht Oberflächlichkeit vorwerfen, nur ist zweierlei zu bedenken. Ästhetik ist ja gerade ein Schauen auf die Oberflächen, die Haut, die Strukturen, das Leuchten oder besser Scheinen; zum anderen sind Schönheitssucher, Schönheitsverfallene keine neue Erscheinung; es gab sie, vor allem als Künstler, zu allen Zeiten. Ich meine nicht, als Mann in dieser Hinsicht eine Ausnahme zu sein. Ich gebe es nur zu. Frauen, übrigens, wissen selbst dann darum, wenn sie sich dagegen empören. Sie würden sich sonst nicht schminken, auch nicht Stunden mit der Wahl und Probe ihrer Garderoben zubringen.

16.44 Uhr:
[Skrjabin, Zweite Klaviersonate.]
Kann ich schon verstehen, daß man nach dieser Musik süchtig wurde.
Die Kinder, mein Junge und ein Freund, kamen um Viertel vor drei, aßen enorm und gingen um halb vier; da ging ich schlafen. Tief. Gut. Jetzt beende ich den neunten Brief an >>>> Melusine. Mit Ralf Schnell, der nur wegen gestern nacht nur ein ganz kleines bißchen angesäuert war, dann aber schnell wieder lachte, für Donnerstag abend zum Essen verabredet. Da er >>>> schöne Frauen mag wie ich und jeder andere Mann, werd ich mal bei >>>> Aléa Torik fragen, ob sie mich begleiten mag. Z w e i Männer sind >>>> nicht gefährlich, sogar noch weniger nichtgefährlich als diesich’nKeks freuen. Isso. Ich würde (>>>> Löwin, bitte weghören) Aléas wegen sogar mit der Tram hinfahren, weil man auf der nächtlichen Rückfahrt dichter aneinandersäße als jedes Fahrrad erlaubt.

Facebook ist lustig: aus purem Übermut hab ich die Einladungen zu einer unbezahlten Lesung in Fulda angenommen. Mehr davon ein andermal, wenn es an der Zeit ist.

14 thoughts on “Arbeitsjournal. Dienstag, der 30. März 2010. Erweckung.

  1. Löschung Dass Sie Anna Häuslers Beiträge gelöscht haben, finde ich nicht sehr souverän, Herr Herbst. Man muss nicht auf Unsouveränes unsouverän antworten. Aber Sie sind eben auch nur ein Mensch.

    1. @Juliane. Das stimmt. Ich hatte einfach die Faxen dicke. Heute seh ich das schon anders. Dennoch, es gab Klarheit. (Ich habe die Beiträge aber abgespeichert, nur Ihr Kommentar ist mir leider verlorengegangen.)

    2. @Herbst, @Juliane Herr Herbst,
      auch wenn Sie es jetzt anders sehen, weil Sie besser informiert sind, seien Sie doch bitte so konsequent ALLE meine Beiträge zu löschen, da Sie mir die Möglichkeit dazu genommen habe, bitte ich Sie nun auf diesem Weg offiziell darum. Sie brauchen nicht zu antworten, ich werde es sowieso nicht lesen, tun Sie es einfach.

      Frau Juliane,
      ich hatte ihren Beitrag stehen gelassen, mir wurde angeraten die Kommentarfunktion auszuschalten, ich wusste nicht dass der Beitrag dann gelöscht wird. Es hatte ursprünglich einen Grund warum es möglich war zu kommentieren, ich hätte in diesem Fall auf mein Gefühl hören sollen. Ich wollte dass kommentiert werden kann.

      A.

  2. Sie werfen ihrem Sohn sein sich Einlassen auf die Mode vor (Stichwort Yu-Gi-Oh Karten) und verfallen dann wissentlich selbst dieser Oberflächlichkeit, die sie dann auch noch Ästhetik schimpfen?

    1. @Benjamin. Ein bißchen nachdenken hat noch niemandem geschadet und würde auch Ihnen ganz sicher gut stehen: dadurch würden auch sie an Schönheit gewinnen. Ich kann allerdings, da dem nicht so zu sein scheint, ungefähr nachvollziehen, daß es Ihnen Freude bereitet, die, sagen wir, Amphitrite Klingers an Daisy Duck und wiederum diese am Hamburger Astra-Pils zu messen: Der “Geist” gleicht dem, was er begreift. Es würde ihm aber schon helfen, einfach einmal unter “Ästhetik” nachzuschlagen, dazu braucht man in den Zeiten des Internets nicht einmal mehr eine Bibliothek.

      Übrigens habe ich meinem Sohn die Yugo-Oh!-Karten nicht vorgeworfen, sondern sie ihm weggenommen und entsorgt. Es waren so ungefähr 2000.

    2. @albannikolaiherbst Warum sollte ich Begriffe notwendig verzerren, in vorgefertigte Definitionen zwängen, die nichtmehr dem entsprechen, was sie eigentlich haben bezeichnen wollen? Mode meint mehr als das, was ein Fremdwörterbuch anzugeben vermag. Genauso verhält es sich mit Ästhetik.

      Aber das sind Standpunktfragen.

  3. Egal wie Er aussieht. Ja. Mögen ist freundlich, Begehren nicht. Hätte Er gefragt, ob ich Ihn begehrte, egal, wie er aussähe, ich hätte abgewunken: Nein.

  4. Lieber ANH, ich habe diese kleine Andeutung hier gelesen und war gespannt, ob das noch direkter kommt. Und siehe: es kam noch direkter.

    Die Einladung freut mich, die freut mich sogar sehr. Leider muss ich Ihnen einen Korb geben: ich bin der Auffassung, dass man sich seine Todesart nicht aussuchen kann, aber man kann die eine oder andere vermeiden. Mitten in der Großstadt von einer Löwin angefallen zu werden, gehört ganz sicher zu den vermeidbaren Todesarten. Dennoch – also wie soll ich das formulieren?, ich bin eine Frau und Frauen, aber das wissen Sie sicher sehr viel besser als ich, sind manchmal, na ja, etwas gewunden oder indirekt oder wie auch immer – was ich sagen will ist dieses: Sie können‘s ruhig weiter probieren! Die nächste Einladung nehme ich dann sicher an. Oder die übernächste.

    Ich habe Seitenstiche vor Lachen.

    Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend und ich danke, dass Sie an mich gedacht haben, in einer wahrscheinlich, wie es bei Wallace heißt „von der Hausordnung nicht gedeckten Weise“.

    Demnächst, hatte ich Ihnen das schon angekündigt?, höre ich auf mit Zitaten eines Amerikaners um mich zu werfen und verlege mich auf die eines Chilenen: Roberto Bolano.

    Herzlich
    Aléa

    1. Liebe Aléa Torik, wie froh ich bin, daß Sie Ihren, wenn Sie die Absage denn unbedingt so nennen müssen, “Korb” immerhin oben geöffnet haben mit Ihren späteren Sätzen. Denn was die Löwin anbelangt, so darf ich Ihnen versichern, daß sie ihre Krallen in Ihrem Falle in den Tatzenfalten lassen will: z u schön, sagte sie, sei Ihre Gestalt gegen das aufsteigende Morgenlicht; es gebe andere Beute genug. Ich frag mich jetzt nur, wen Ihre Seitenstiche verhöhnen: mich? gar Sie selbst?
      Was aber die “Frau mit Frauen” anbelangt: wie k a n n ich das besser wissen als Sie? weil ein “Mann mit Frauen” das gleiche sei? weil ich nicht Mann, sondern eigentlich Frau sei (ein hübscher Gedanke, weil er all meinen Machismo der Frauenbewegung zuschlägt)? Aber es ist ja nun so, daß mich gerade, daß Sie Frau mit Frauen sind, mit einer Art Fantasien füllt, die selbst ich nicht mehr für moralisch gerechtfertigt halte. Doch ist es meine Art, die “Sache” gerade darum um so zäher anzugehen und nicht eher darin zu ruhen, als ich nicht Olga und Sie auf jene Weise beisammen sah, wie Sie alleine Olga gesehen.
      Ihr
      ANH

    2. Sträuben macht das Blut süß, Alea; ich bin durchaus versucht, das Ihre zu testen. Sehen Sie sich also vor, bleiben Sie in den Dschungeln. Was Sie dort erwartet, wissen wir.
      Draußen bei mir sind die Schönen klug, wir jagen im Rudel: Wie schnell wären Sie den Dschungeln entwachsen. Und das wollen Sie doch nicht.

  5. Lieber Alban, das Lachen war ein freundlich gesonnenes, frei von Häme und Hohn. Das sind nicht meine Schauplätze.

    Ich fühle mich allerdings von Ihrem Machismo nicht angezogen, sondern abgestoßen! Und ich will mich auch nicht deswegen mit Ihnen treffen, sondern dennoch! Allerdings werde ich keinerlei Versuche unternehmen, Sie zu verändern oder zu verbessern, Verbesserung und Bekehrung sind ebenfalls nicht meine Spielfelder.

    Es könnte übrigens sein, dass Sie auf die eine oder andere Weise in meinen Roman hineingeraten. Das werde ich Ihnen bei Gelegenheit vis–à–vis erläutern, denn das bedürfte der Konsistenz der Idee, Ihrer Zustimmung und, wichtiger noch, Ihren eigenen Phantasien. Wenn das der Fall sein sollte, dass Sie im Unwetter meines Romans die Orientierung verlieren, dann brauchen Sie die Löwin noch. Dann schreien Sie nämlich wie „eine keltische Todesfee, die sich die Hand in der Türe geklemmt hat“ (Wallace, was sonst)

    Herzlich
    Aléa

    1. Liebe Aléa, Sie täuschen sich. Ihr “dennoch” verrät’s. Wollten Sie mich verändern und dabei erfolgreich sein, wären Sie unglücklich drüber. Deshalb nehme ich die Rolle in Ihrem Roman gerne an, zumal ich sowas gewohnt bin: auch Martin Mosebach und Klaus Modick haben aus meiner, tja, “Ur”form Romanfiguren synthetisiert, und bei beiden kommt sie nicht gut weg. Ich bitte Sie sehr, das ebenso zu halten; ich wahre zu gern die Tradition.

      Keltische Todesfeen klemmen sich nicht die Hände in Türen. Foster Wallace hat da keine Ahnung. Ich halte ihm zugute, daß er dafür nichts kann. Er sah halt niemals eine.

  6. Liebe Löwin, das kann man eigentlich nicht schreiben. Eine „liebe Löwin“, eine domestizierte Raubkatze, das ist ja geradezu lächerlich. Zweiter Versuch, der Tierreich und Tragik verbinden möchte:

    Rasende!
    Ich habe nicht einmal diese angespitzten Fingernägel, mit denen ich mich zur Wehr setzen könnte. Ich bin ein leichtes Opfer. Das dürfte Ihren Jagdinstinkt gar nicht wecken. Ich denke, dass Sie eher auf das schwer zu reißende Wild aus sind, das eine niederringen muss, bevor sie sich selbst niederringen lässt. Täusche ich mich da?

    Sollten wir einander je über den Weg laufen, ich bin das scheue Reh mit den braunen Augen, das werden Sie doch nicht einfach Ihrem unmäßigen Raubtierappetit opfern, oder?

    Wilde und schlaue Tiere gibt es auch bei uns in den Karpaten. Ob da jedoch die „Schönen klug“ sind, weiß ich nicht. Das ist eine gelungene Formulierung. Und gelungen formuliert gerissen zu werden, hingerissen nämlich, ist womöglich doch nicht die schlechteste Todesart. Jedenfalls eine, zu Lebzeiten, sehr aufregende.

    Aléa

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