Ihr spielt den nächtlichen Wind!
9.32 Uhr:
[Konzerthaus Berlin. Großer Saal.]
sDer erste Cellist erhebt sich, spricht in die Gruppe: „Können wir uns eben etwas einstimmen?“Im selben Moment erscheint Zag: „Also: Schönen guten Morgen!“ Dreht sein Pult. Zu den Cellisten: „Ich wende mich Ihnen zu.“ Lacht. „Wir steigen ein einen vor 21 im ersten Teil. So, ich schlage 3/2 drei, dann sechs, dann müssen wir von Takt zu Takt entscheiden.“ „Und was schlagen Sie bei den Klammern?“ „Im Prinzip Sechstel, aber nageln Sie mich nicht fest, es kann auch mal anders sein.“ – Kurzes Stocken. „Ah ja, ab da gibt es ein ganz neues Tempo.“ Hebt die Arme, bricht mittendrin noch mal ab: „Vorsicht, da! Genau… machen wir es mal etwas ruhiger, damit Sie eine Chance haben.“ – „Da deutlicher. Das ist eines der Hauptthemen, das mß prägnant kommen, nur die Bässe, bitte. – Gut, ja. Und dann dort, die Triolenstelle, das muß ganz deutlich kommen. Zusammen bitte, 32.“ Beim Flirren: „Vier… und jetzt geht es vorwärts: u n d….!“ – „Also nach 30, Folgendes, 5 Takte danach accelerando…“ singt vor „so müßte das klingen da…“ Friedemann: „So?“ „Ja, wunderbar. Das darf ein bißchen knacken. Drei nach 30 jetzt.“ Einspielen. Ein Bratschist: „Ist das forte da?“ „Das ist sogar fortissimo, ganz heftig. – Alle zusammen, drei nach 33… u n d!“ „i>Schwierig„, sagte mir Friedemann bei der Begrüßung, „vor allem: so lang, solch eine Masse haben wir zu stemmen!“ „Gut, noch mal, machen wir das einmal langsam, zwei nach 32, wo Sie wieder reinmommen. So: fünf – sechs….“ Spielen. „Bitte gleich noch mal. Fünf… sechs … – Fein, ja… Langsam weiter.“ Wie ein Auftakt: „Und.“ Neuerlich Abbruch. „Damit wir wissen, wo wir einsteigen… hier, fünf nach 32.“
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„Vierter Takt, vierter Takt bitte! Zwei – drei…“
Die Bratsche fragt nach, wieviele Stimmen eigentlich… „Bis 36 brauche ich Sie alle, danach wird es etwas dünner.“ Es sind offenbar nicht genug Stimmennoten da. „Bitte, in drei nach 33.“ – „Ja, das ist sehr schnell, sehr schnell, machen wir es noch mal in Vierteln, einfach nur für den Text. Selbe Stelle. – Gut. Also verstanden ist es. Das muß einfach erst noch in die Finger gehen.“ Abermals meine Erinnerung: dies ist eine V o rprobe, beinahe der erste Kontakt, den die Musiker mit diesem Stück haben, von hier aus geht die Arbeit überhaupt erst los. „Moment! Wir haben uns verloren. Wenn Sie bitte reinschreiben: zweite nach 39 und erst ab eins nach 49 wieder Ganze. – So, machen wir noch mal, Vierter nach 34.“ Schattenwalzernd, ein angeschieftes Scherzando. „Moment, Moment, dieses Chaos bitte einmal in Drei, nur zur Übung. – Gut, okay, wir machen gleich noch eine Stelle, die ähnlich schwer ist…“ Abermals Ferenc Gábor, Solo-Viola , mit einem Einwand. „A-G“, sagt Zag. „A?“ fragt Gábor. „Dann A-Cis-H“, sagt Zagrosek. „Bei mir steht A – G.“ „Laßt uns doch mal probieren.“ Friedemann Ludwig steht auf, zeigt in die Noten. Zag: „Nehmen Sie die für Sie bequemste und sicherste Lösung.“ Der Saal hallt sehr, ich verstehe nicht alles deutlich genug. Zag: „Die Stelle lese ich so, daß es wirklich halbehalbe ist.“ Friedemann zu seinen Cellisten umgewandt: „Dann müssen wir da etwas jonglieren.“ „Machen wir bitte 4 nach 34, Walzer, und auch die Zwischenstellen werden gesungen….“ Abermals der dunkel pizzicato-unterlegte Schattenwalzer. „Jetzt Ganze! – Und das Thema!“ Abrutschendes Flirren. „Bitte. Zwei nach 39, da müssen wir uns was überlegen, das muß richtig ein Choral sein.“ Friedemann, wieder aufgestanden: „Können wir das so probieren, daß wir pultweise…“ Zag: „Moment, ich habe hier eine Riesenliste schwieriger Stellen, die wir heute wenigstens anspielen sollten. Manchmal ist eine Probe einfach nur dazu da, für Probleme zu sensibilisieren.“ Vieles, in der Tat, muß zuhause geübt werden, aber man erfährt hier, worauf es ankommt. Es ist eh ungewöhnlich für solch ein Profi-Orchester, daß drei Wochen vor der Aufführung Vorproben angesetzt werden, es geht um Vertrautheit…. Ja, und dann strahlt Zagrosek, als der Schwung über die Musiker geht.
Lachen.
„Das ist einfach eine Liebeseuphorie, die sind einfach hingerissen, eine Sommernacht. Es gibt den König Waldemar, es gibt die schöne Tove.“ Und er erzählt nun die Geschichte. „Und am Ende gibt es ein Melodram, es gibt einen Sprecher, das macht Udo Samel… vorher einen Geisterzug, aber da sind wir noch nicht, jetzt sind wir noch im Liebesjubel. Celli und Bässe, eine Bitte noch…“ Eine Bassisten: „Wie schlagen Sie ab 42?“ Zag führt vor. „Wolln wir das eben machen?“ „Nein, ich wollte nur wissen.“ „Aber jetzt haben Sie mich scharfgemacht, jetzt machen wir das auch. Bitte, zwei nach 41.“
König Waldemar, verheiratet mit Helwig, liebt Tove, die er in dem Inselschloß Gurre im von den mittelalterlichen Dänenkönigen für ihre Entspannung bevorzugten Nordseeland sah. Nun reitet er zu zu einem Stelldichein mit ihr. In seinem inneren Dialog, zu dem sein Roß durch die Nacht sprengt, sprechen die Geliebten zueinander. Der durchrittene Wald reicht an das Meer, die Taube ruft den König. So gurren sie, und Waldemar lästert Gott:Nicht sehnlicher möchten die Seelen gewinnen/Den Weg zu der Seligen Bund,/Als ich deinen Kuß, da ich Gurres Zinnen/Sah leuchten von Oeresund./Und ich tausch’ auch nicht ihren Mauerwall/Und den Schatz, den treu sie bewahren,/Für Himmelreichs Glanz und betäubenden Schall/Und alle der heiligen Scharen!Noch liegt die Christianisierung keine zweihundert Jahre zurück, Gott muß hart sein, um sich durchzusetzen. Zumal, Waldemar betrügt die heilige Ehe. Die Geliebten finden sich zwar, doch Helwig, die Königsgattin, läßt Tovelille ermorden. Und die Waldtaube singt:Weit flog ich, Klage sucht’ ich und den Tod!/Helwigs Falke war’s, der grausam/Gottes Taube zerriß”
Dies ist der erste Teil.
Der zweite ist kurz: Waldemar klagt Gott für den Tod seiner Geliebten an.
Dritter Teil: Waldmar ist ewigem Suchen durch die Nächte verdammt, er galoppiert in seinem Heer der Toten des nachts, immer wieder nach Gurreburg.Gegrüßt, o König, an Gurre-Seestrand!/Nun jagen wir über das Inselland,/Holla! Vom stranglosen Bogen Pfeile zu senden/Mit hohlen Augen und Knochenhänden,/Zu treffen des Hirsches Schattentgebild,/Holla! Daß Wiesentau aus der Wunde quillt!/Holla! Der Walstatt Raben/Geleit uns gaben…./Deutlicher als hier, „der Walstatt Raben”, kann die Spur nicht sein. Hier legt sich der Geisterzug über einen alten, einen viel älteren Zug, die Wilde Jagd, auf die ich in der Folge noch mehrmals zurückkommen werde, über die und ihre Lesarten ich auch ein wenig spekulieren möchte. Jedenfalls hört ein Bauer den Zug nahen und warnt vor ihm. Der Zug zieht vorüber. Und als der Tag anbricht, geht Schönbergs weltlich-mythisches Oratorium mit einem der strahlendsten Sonnenaufgänge zuende, die in der ganzen Musikgeschichte jemals komponiert worden sind.
(Eine kurze Zusatzbemerkung zu meiner Gurre-Erzählung findet sich >>>> nach 7.58 Uhr des heutigen Arbeitsjournals).
„Ah! Steht das n i c h t bei Ihnen? Eins vor 86… Sie können das paraphrasieren… Machen wir einmal ab dem letzten Takt, nur, damit Sie den Ablauf verstehen… – so, jetzt mit Beschleunigung, und machen wir einen Takt mehr…“
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„Eine Stelle habe ich jetzt nicht verstanden.“ Zu den Cellisten: „Wer spielt da die Unterstimmen?“ Es melden sich drei oder vier. „Das muß klarwerden.“ Wendet sich zurücj. „Nach 94 eins zwei drei vierter Takt. Nächster Einsatz.“ Diskussion. „Na, irgend jemand muß da die Führung machen.“ Nächste Frage. „Okay. Bitte schön, wir beginnen nach 94 fünfter Takt, da bahnt sich jetzt eine Tragödie an. Tragödien zeigen immer die Bratschen an. Und. – Ja, gut, aber jetzt machen wir das mal in halber Geschwindigkeit… – Gut, also da ein bißchen nach den Vorzeichen schauen, wo was steht. Und dort etwas abkürzen, nicht so dehnen. – Jetzt gehen wir bitte auf 98.“ Hebt den Taktstock. „Weich und klangend“: singt vor. „Bitte, 6/8…. nein, drei vor 98… Bitteschön.“ Hebt den Taktstock. Bricht wieder ab. „Die Bässe beginnen ganz allein, da brauchen wir einen Absprung. Ist das klar?“ – „Gut, das ist total offen, da sind Sie ganz allein, das muß sehr schön sein. – Da jetzt zart. – Steigern. – Schluß kurz… kurz….“ Bricht ab. „Undsoweiter. Also. Wir können gleich den Zweiten nach 98 machen.“ Wie ein Troststreicheln. – „Jetzt bin ich zwei Takte vor 100. Schneller da.“ Flirren.“ „Undsoweiter. Also das ist eigentlich einfach. Hier wird geschildert, wie die Taube von dem Falken, den die Königin ausgeschickt hat, gerissen wird. Gut. Die 101. In Sechs.“ Dirigiert. Trauermarsch. „Also das ist der große Trauergesang. – Bitte nur noch mal diese Stelle. Vier nach 102 mit Auftakt.“
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„Gut, das kommt dann noch mal mit der Vier. Dann gehen wir noch mal auf den Zweiten Teil.“ Blättern, Blättern auch durch die Streicher, „und zwar steigen wir ein in Vier, Viertel.“
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„Vorwärts!“
Drängen.
Gerissene Stufen, dazu die Bratschen hoch klagend, wieder das wegreißende Flirren. Und das Thema darunter.
„Danke. Das genügt erst mal. Bitte ein Crescendo wegstreichen in Drei. Machen wir nur das fortepiano… Machen wir da, wo Ziffer 2… eins vor Ziffer 2, das ist besser. Drei – vier…“ Singt vor. „Bitte nochmal.“
Momentlang Verwirrung. „Ah, das kann jetzt eine der Stellen sein, an denen wir verschiedene Ziffern haben.“ Verschiedene Ziffern in den Noten, das ist ärgerlich, hinderlich. „Das müssen wir angleichen. Bitte, drei vor vier.“
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„Steigern!“
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„Ah, da ist jemand aus der Kurve geflogen. Und achten drauf, bitte, das ist dauern pianoforte, das hat seinen Sinn, wenn die Sänger dabeisind. Machen wir nochmal, zwei vor 7.“ W e i t e r Bogen! Und Klagethema.
„Schwer!“
Eingestapft. Es sind einige Bemerkungen sinnvoll, aber darum kümmere ich mich später, weshalb der vom Judaismus zum Protestantismus konvertierte Schönberg sich ausgerechnet dieses Sujet hier gewählt hat. Aber „sò! Dann machen wir jetzt Pause.“
11.04 Uhr:
„Prima, alle Bässe schon da, die können wir gleich traktieren. Da gibt es eine tolle Stelle… hier… zwei vor 7… Machen Sie bitte mal?“ Bricht ab. „Spielen wir da daselbe?“ Lacht. Erneut die Bässe. „Fein. Und jetzt machen wir es einmal im Tempo. Ich zähle vor: Eins – zwei – drei – vier…“ – „Also bitte, so klar wie möglich. Ich weiß, das ist nicht so leicht. Jetzt das Pizzicato bitte, sehr klar. Ich glaube, Schönberg wollte hier ganz bewußt eine bestimmte Art der Unruhe, sonst hätte er das anders, bequemer, komponiert. Da müssen wir durch. Bitte.“ Dazu, als die Celli alle da sind: „Jetzt aber machen wir den dritten Teil von Ziffer 1. Den Anfang bitte. Die Celli ganz allein.“ Und wie man da den Tristan heraushört! „Spielen mal alle mit, bitte! Mal sehen, wie das dann klingt… Ja, die Celli, das hat hier etwas ganz Eigenes. – Und die Bratschen bitte, wie weit seid ihr? Fünf nach 1, bitte.“
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„Ja, diese letzte Stelle in Sechs. – Ah, den zweiten Takt in Fünf und Sechs nicht zu spät. – Ja, prima. Die Bratschen jetzt, macht das auch mal in sechs, schnelle Sechs. – Bitte nochmal. – Jetzt alle, das geht jetzt genau gegeneinander. Vier – fünf – sechs – …“
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„Nochmal! Vier – fünf – sechs -:…“ – „Wir müssen aufpassen, daß wir bei den langen Noten rechtzeitig wegkommen, das ist momentan immer noch eine Spur zu ausgehalten.“ Pikant ist übrigens, daß Gurre die althochdeutsche Bezeichnung für ein einzelnes weibliches Pferd gewesen ist. Noch im Alt- und Mittelhochdeutschen hat stuot eine H e r d e weiblicher Pferden bezeichnet. Die Bezeichnung Stute für das weibliche Pferd hat sich erst in der Neuzeit durchgesetzt. S o gesehen, sind Schönbergs Gurrelieder Stutenlieder. „Jetzt bitte eins vor 8.“
„Die Viertel laufen eigentlich genau durch. Machen wir noch einmal 11.“
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„Schreien!“
„Bitte?“
„Vier Takte nach 11.“
„Die Bratschen müssen ein bißchen… Tremolo… da geht die Post ab. Ich weiß, das ist riskamt. Noch mal, selbe Stelle. – Sehr schön. Aber bitte alle dran denken: das letzte Viertel ist genau am Steg. – Nächste Stelle, nach Vier…“ Klagen. „So, schön, ich brauche nur zwei Takte noch einmal, fünfter nach 12. Bratschen nicht so sehr“ :singt. Dirigiert. „Danke schön. 15. Das beginnt langsam und steigert sich s e h r.“ Beugt sich zu den Celli herunter. „Machen wir es so, daß wir möglichst viele Haare mitnehmen, das muß ein völlig verzerrter Klang sein hier.“
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„Das ist heftig. Ich schlage vor, wir steigen mal etwas langsamer ein. Zwei nach 17 in Vierteln.“ – „Und!“ – „Weiter! Nächste Stelle in 4. Bitte nur Bratschen.“
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„Bitte jetzt… ich weiß, das ist schwer, aber ich fände das schön, wenn wir… G a n z verzerrt, ja. Ich schlage einen ganzen Takt vor. Eíns und Zwéi…“
– „Ah und jetzt! Jetzt die Bässe dazu! Die stören jetzt ganz ganz gewaltig… und das sollen sie auch. – Jetzt alles im Tempo, damit sie merken, wie das geht. Alle, tutti. Und! Kräftig!“ Er legt das Stück ausgesprochen schnell an, schneller, als ich das von meinen Aufnahmen bisher kenne. „Z u schnell da. Da ist eine Pause. Dadam Dadam dà! – Machen wir es einmal in Viertelns. Drei – Vier… – Viel besser. Nun los. Jetzt ist es super! Zu 2 bitte!“
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„Jetzt nimmt es Gestalt an. – Bitte?“ Mit wem sonst sie das zusammenspielten (die Musiker haben in aller Regel nur ihre Stimmen als Noten vorliegen). „Moment, das muß ich erst nachsehen. Ja.“ Erklärt. „Weiter bitte.“ Die Bratschen haben einen sauschweren Part, darüber wurde in der Pause auch gesprochen, an der Kantinentheke, icn hörte zu, machte meine Notizen im Kopf, die ich später da herausschreiben will. „Bitte die sieben vor 29, gleich die Bässe.“ Dirigiert. Bricht ab. „Moment, Moment! Nochmal, selbe Stelle. Zu spät nach der 1! Únd. – Okay. Nummer 27, da die Verdichtung, müssen wir noch lösen. Únd. Schneller starten! Únd.“ Abbruch. „Hier waren Sie ein bißchen zu schnell, Gut. 27. Bitte? Ja, das heißt s c h o n knapp gestrichen, aber getrennt. Só, bitteschöän, Celli und Bässe nach 27, zweiter Takt. – Und wir haben noch zwei verschiedene Tempi. Bitte noch mal? Bitte? Ja, das kann ich versuchen, aber wir haben da noch eine Triole dazwischen.“
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„Gleich drei vor 26? Gut. Ùnd!“ Bricht ab, dirigiert und singt vor. „Mal gleich den Takt vor 26, damit Sie das Tempo einmal spüren, dann machen wir den Übergang. – Stop, drei Takte mehr, drei vor 26…“ „So, bitte alle zusammen. Eins vor 24 steigen wir ein -“ : „Nein! Kein Piano. Ein begleitendes Forte… da sind drei Männerchöre dabei, die stehen auch um uns rum.“
– „Gut. Dabei lasse ich es jetzt. Aber bitte, ich sage Ihnen jetzt noch die Stellen, die Sie sich unbedingt zuhause ansehen, die sie ganz unbedingt proben müssen. Das sind vier vor 33 bis 36.
Dann 48. Da sehen Sie ja dann, wo sich das wieder lichtet. Ja, genau, bis etwas bewegt, bis 49. Dann 51 bis 57. Das ist relativ heikel. Dann bitte vor 60, und zwar wo vorwärts steht. Und dann der Schluß in den Celli, das muß heftig sein: wegfliegende Geister. Okay. Dann bitte für die Soli: 76 bis 84 gut anschauen. Und das Tutti kommt in 51 dann noch mal… in 91, ’schuldigung, nochmal. Also im Prinzip will ich gerne morgen alle diese schweren Stellen machen. Das ist so in allen Gruppen. Bitte? Ja, 76 bis… die Soli begjnnen ein bißchen später, nach 90 mit den 6/8 etwas, und das Tutti kommt dann in 91 dazu. Also das lege ich jetzt in Ihre bewährten Hände.“
So daß auch ich jetzt etwas Pause habe. Die Stimmen ziehen sich jetzt, Bratschen, Celli, Bässe, in eigene Räume zurück und proben bis 16 Uhr für sich. Ich werde da dann überall kurz hineinschauen. Hier, im Großen Saal, geht es in einer halben Stunde, mit Harfe, Holz und Taste weiter.
14.30 Uhr:
Nun also die Holzbläser… „Wir spielen erst einmal alles einfach so, wie es da steht.“ – „Gut, prima. Noch einmal, aber im sechsten Takt spielen wir k e i n Crescendo. Notieren Sie das bitte? Nächste Stelle: machen wir eins vor 5. – Bitte lassen Sie uns versuchen, das bereits zusammenzukriegen. Zwei vor 5. – Undsoweiter. Gut. Das war nur eine kurze Stelle, Jetzt 9.“ Blättert in seiner DIN-A3-Partitur. „Bitte!“ – „Okay, ja, wir müssen bei neun dann gleich mit einem Piano… es geht dann da da ins Forte.“ Hier schwirren die Klänge. „Also, da passiert Folgendes: das Presto in 2. Dann, zwei vor 12 der Takt geht in zwölf. Fangen wir beim Schluß jetzt an, eins-zwei-drei-vier, sechs vor 12. – Nein, nicht zu breit. Únd!“
–
„Gut. Also. Nächste Stelle. Ich schlage zwei, dann gehen wir ins Allegro, und das bleibt dann so. Beginnen wir eins vor 15.“ Stelle für Stelle läßt Zag die Heikelkeiten der Komposition jede seiner Orchestergrppen wenigstens einmal anspielen, bevor er morgen mit allen in die erste Tutti-Vorprobe geht. „Okay okay, schaun Sie, das das stimmt mit den Trillen nach der dritten Stelle, unbedingt. Sò!“ Vom Fagott: „Aber ist das wirklich anders da bei der 18 mit dem Einsatz?“ „Ja. Ich mache noch einmal zwei Takte vor 18. – Nein, das war zu früh. Nochmal bitte. Eíns-zwéi – …. Halt. Irgend jemand spielt da auf der Drei.“ „Ja, ich. Deswegen habe ich gefragt.“ „Ah, das hab ich mißverstanden. Nein nein, Sie müssen dort…“ Immer wieder der Griff zum Bleistift, um in den Noten Angaben zu modifizieren. Derweil proben in den kleinen Nebensälen des Hauses die tiefen Streichergruppen je für sich.
Es ist so still in mir.
So seltsam stille.
Eine wie ferne, in sich selber höchst geheimnisvolle Klangcollage, als ich durch die in halbem Dämmer, nur direkt vor den hohen Fenstern im Licht liegenden Gänge gehe auf der Suche nach den anderen Probenräumen, in die sich die Streichergrppen zurückgezogen haben. Ein Schwirren, immer wieder, hochkieksend, nasal, dann schwebend kommt aus dem Großen Saal, der wie verschwunden ist. Ich gehe den Ohren nach, finde die Cellisten, find die Bratschisten, deren Parts nun wirklich schwer sind. „Und er schaut ratlos auf die Seite 51“, sagt Benker über Gábor. „Was machen wir denn jetzt damit?“ „Ja wir spielen das.“ „Aber ich kann das bei mir gar nicht lesen.“ „Jeder spielt Zuhause einfach nur mal seinen Part, am besten, ihr könnte das gleich auswendig.“ „Oh, jetzt spielen wir aber“, mit Blick auf mich, der ich leise eingetreten und nicht sofort bemerkt worden war, „etwas, das schon klingt.“ „Ich schneide nicht mit.“ „Das weiß man bei dem nie“, bemerkt die blonde Bratschisten gleich mir gegenüber. „Man weiß bei dir nie“, so Benker, „was du alles in der Tasche hast.“ „Nicht aber doch schon jetzt“, sag ich. „Wollen wir bitte?“ : so Gábor. Während im Musikclub die Cellisten durchaus ihren Spaß haben, es hat etwas von kammermusikalischer Freundschaft, was auf der kleinen Bühne vonstatten geht. Die Bässe hab ich noch nicht gefunden, weil ich nicht weiß, wo das Stimmzimmer ist und ich keinen Musiker mit einer Frage stören will. Benker hätt ich fragen können, klar, aber das fiel mir erst ein, nachdem ich die Tür schon wieder geschlossen hatte und mir noch etwas anderes einfiel, nämlich >>>> daß ich heute abend selber noch auftreten muß und noch überhaupt kein Programm zusammengestellt habe.„Das ist schwer, das ist sehr schwer“, sagt soeben, in ihrem höchst reizvollen Dialekt, die grandiose Flötistin Silvia Careddu zu Zagrosek; ich habe einen Ton wie den ihren, af ihrem Instrment, niemals vorher gehört und >>>> schrieb das auch schon so. „Na selbstverständlich ist das schwer“, antwortet Zagrosek. „Also bitte, in 2.“ Dann fand ich, zur nächsten Pause abermals durchs Haus streifend, die Bässe d o c h. Im für soviel Rieseninstrumente höchst beengten Baß-Stimmraum hatten auch sie soeben zu zehn Minuten Pause aufgerufen. Aber es wird noch hier und dort etwas in die Noten notiert; wenn die Musiker hier drinnen alle gleichzeitig forte spielen, schwingt der ganz Gang. Ein Doppeldecker-Graubrot manpfend stapft mit Friedemann von oben entgegen, aus dem Großen Saal höre ich bereits wieder die Bläser, noch sitzen die beiden Harfenistinnen, anders als Friedemann, brotlos da. „Von 79 eins, zwei, drei, vier, fünf Takte bitte.“ Das ist schon die Ankündigung des Sprechers, manches hat man für ewig im Ohr. „Zwei genau. Undsoweiter. Ich gehe auf 4. Vor 87 geht es dann hier weiter. Und jetzt machen wir bitte 89. Sechs Takte davor. Ganz ruhig hier. Bitte schön.“ „Langsam?“ „Ja, langsam, in Vier.“Ganz imprssionistisch hier, man findet in englischer Musik der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts diese Klänge oft; diese Komponisten sind der Spur des Impressionismus nachgegangen, haben sie weitergeführt bis hin zu Finzi.
So tanzen die Engel vor Gottes Thron nicht,
Wie Waldemars Seele dir.
Nein, das konnte dem Gott nicht gefallen. „Machen wir noch mal eins vor 36.“ Da sind nun auch die Harfen. Alles wird Naturlaut. „Und jetzt noch einmal eins vor 38.“
– „Eins vor 28. Die Fagotte haben hier die Hauptstimme, alle anderen müssen sie begleiten. Nein. Moment, schlagen wir Viertel, damit jeder weiß…“
14.48 Uhr:
„Gut, prima. Und jetzt machen wir nur noch den Beginn.“ Ab 15 Uhr sind die Musiker für heute entlassen: in die privaten Überäume, hier im Haus oder je bei sich daheim. Morgen werden zum ersten Mal für dieses Stück alle auf der Bühne zusammenkommen, die man für Konzerte „Podium“ nennt. Ich selbst, und sei es nur für mich, setze nachher noch etwas zur Wilden Jagd hier hinzu.
>>>> Gurre 4 (Die dritte Vorprobe)
Gurre 2 (Die erste Vorprobe) <<<<
guter artikel!