>>>> Jens Peter Jacobsen, Gurrelieder.
13 Uhr:[Konzerthaus Berlin. Großer Saal.]
Und es geht los. Nur die hohen Streicher heute mittag,
Einstimmen.
Zag: “Also. Es ist ein wunderbares Stück, wunderbar, aber sehr schwer. Deshalb die vielen langen Proben. Beginnen wir.”
–
“Einmal bis da…. Gehn wir einfach mal mitten rein, vor 29 zwei Takte..” Schnelles, dann hochfahrendes Zittern … ein Tasten, des Thema wird angespielt… aber noch nicht satt, wir ahnen es nur. “Gehen wir ein bißchen vor, hier das Thema, immer wieder… vier vor dreißig bitte. – Ah! Beschleunigen… ein bißchen beschleunigen…” Gibt den Ansatz, bricht ab: “Bitte zusammen, wir müssen aufpassen, jedes Viertel hat einen Akzent… – bitte noch mal, dritter nach dreiunddreißig, schwer hier…. Gut! Einmal die erste. Eins probiern wir. Gt, einfach mal dim-dam—dimm-damm—dimm-damm – Okay, direkt bitte, Geige eins von vierundddreißig… – Gut okay, dann die anderen zwei… dieselbe Stelle. Und! — Und jetzt bitte beide Gruppen zusammen…” Freundlich ich die Atmosphäre heute… Blobb Blobb Blobb Blobb durch die tiefen Seiten. Und dann ziiiiehen sie…. scherzando…. Wien ist zu hören, ein bereits schönbergsch anklingendes Wien…
Bricht ab.
“Und jetzt gehn wir alle noch mal zurück… Sò! Bitte… Zeit lassen, Zeit lassen….” In den Wellen. Seufzer, die flirren. “Ja, also das ist… Machen wir nochmal 2 nach 41. Bitte, zwei nach 41…” Eine der Geigerinnen, wir treffen uns bisweilen in der UBahn, dreht sich zu mir um, lacht: “Auch wei!” macht sie, weil die Stelle so schwierig ist. Zag bricht auch wieder ab: “Also Sie merken, das ist eine wirklich schwierige Stelle. – Machen wir jetzt mal…”
Geraune.
“Gehn wir 68… 68, 68…” Blättern.
Alle blättern.
“Ja, 68 bitte. Das kann später etwas schneller sein, aber jetzt erst einmal ganz langsam.”
Ein ganz weiter, gehobener Bogen, bevor dieses Trappen losgeht, Trippeln, Hunderte Füßchen, aber aufwalzernd, flüssig…
Hat dein Auge je gesehen
Sonnenspiel auf Feld und Wellen,
Während bang die Ohren lauschten
Hufgeklirr und Hundebellen
Von der wilden Jagd,
Nächtlich wilden Jagd.
“Ganz kontinuierliche weiche Bewegungen… ja!… und… hier ein bißchen aufmachen… noch etwas mehr aufmachen….” Bricht ab. “So, 84, wir beginnen mit dem zweiten Takt. In vier.” Hebt die Arme.” Weit aufsteigend… “Dort ein bißchen ritardando… Klatschlaute… “Und stop! – Also es ist in dem ganzen…. nein, das machen wir, wenn die anderen dazukommen. Jetzt aber vier nach 88, da ist ein Einschnitt davor… – Ja, gut, das geht die ganze Zeit steigernd…” Warten. Drei Geiger beginnen zu diskutieren, schnell, konzentriert. “Nur noch 92… da subito… nur da, wo es steht…”
“Einsatz, jetzt… da, ja! Da kommt jetzt ein großer Choral…” Man merkt, wie Zags begeisterte Achtung hier überspringt, Achtung vor dieser Komposition. “Kann ich bitte mal nur die Unterstimme haben? Nur die Unterstimme, zwei nach 93…” Versuch, wieder wird abgebrochen. “Ich weiß nicht, ob… er hat hingeschrieben: ‘arpeggio mit hüpfendem Bogen’… dort… – Aber Sie haben recht, das ist ein bißchen… – So, jetzt müssen wir noch einmal ein bißchen zurückgehen… Bitte. Jetzt mal im Tempo, bitte.” “In vier?” “Ja, in vier. Bitte? Sprinbogen, nicht… ja, richtig, Springbogen. – Ah ja? Bitte? Geklärt?” Alle Lachen. Eine wunderschöne Geigerin, ich sehe sie zum ersten Mal, spielt ganz vorne die Erste… Sprechen, Zag grinst plötzlich. “Ist das jetzt klar, oder solln wir das nochmal spielen? Klar?” “Klar.” “So bitte vor 95, zwei Takte. Einmal langsam. … – drei . vier….” Erster Versuch. Abbruch. “Bitte gleich nochmal… drei – vier…” Zweiter Versuche. Abbruch. “Diese ganze Stelle beginnt irrsinnig schnell, wird aber n o c h schneller… noch einmal….” Noch einmal. “Gut. Nächste Stelle.” “Wo?” “103. Entschuldigung: 103. Ich beginne einen Takt davor. Sò! – Stop… noch einmal, beginnen wir da, wo diese ganze Musik losgeht, das ist drei vor 103….”
Wie die Hindin ängstlich bebend,
Während wild du vorwärts sprengtest,
Deinen Speer zum Wurf erhebend,
In der wilden Jagd,
Nächtlich wilden Jagd.
Immer wieder bin ich erstaunt, was man in Einzelproben hört, das einem auch bei mehrfachem intensiven Hören eines Stücks entgeht… und entsinne mich des Satzes von Johannes Brahms: die Wahrheit einer Musik sei nur zu hören, indem man die Partitur liest. “Hier bitte jetzt sehr langsam.”
“Gut. S e h r schön. – Die nächste Stelle wäre vier vor 108. Bitte. Vier vor 108. Sò. Okay. Bitte… – – – Sehr glatt bitte… ohne Unterbrechungen… Crescendo… UND! Groß aufbauen… Ja!” Bricht ab. “Bitte? Ja, stimmt. Hm… Warten Sie. Gut, ja, besser: das Crescendo da streichen, aber fortepianoforte da spielen, wo es steht… das geht hier sehr hin und her…” Die schöne Geigerin spielt vor, führt vor, zeigt, fragt. Leichtes Lächeln auf Zagroseks Gesicht, aber er ist völlig entspannt, lauscht, ja, das ist gut, was sie da macht. Zu allen: “Jetzt machen wir die Stelle nochmal alle, zwei vor 5, aber langsam, alle. – Zwei – vier…. – Gut. Gut. Gleich noch einmal….” Er nutzt den linken Zeigefinger wie einen zweiten Taktstock. “Gut, wir müssen es jetzt alle einmal im selben Tempo machen, und zwar steigen wie ein bei…” Wischgesten. Zag die linke Hand in der Hüfte, hört nur, grinst. “Gut, also bitte. Noch einmal.” Einsatz. “Bißchen schneller… dann weiter… Okay, und der Schluß ist klar… immer diese Abschlußfigur ist klar. Oder? – Machen wir bitte die Sechs… – Ja, ja, das meine ich mit Piano. Da sind wir piano. Jetzt weiter bitte, zwei vor 7. U n d – e i n s – —- fabelhaft! – … jetzt gaaaaanz breit…. – Gut, ja…. jetzt… jetzt….” Bricht. ab. “Ab 7. Ganz schnell. – Gehen wir zurück auf zwei vor 7.” Und. “Das Problem ist hier: den zweiten vor 8 müssen wir ganz s c h n e l l abschließen, sonst schaffen wir das danach nicht. Nochmal bitte. Vier vor 8.”
Ängstlich über Sumpf und Feste,
Während du mit gellen Tönen
Scheuchtest Vögel von dem Neste
In der wilden Jagd,
Nächtlich wilden Jagd.
“Zeit lassen! Zeit lassen! Mit ganz großem Einsatz. – Ja. Stop. Dritter Teil. Ab Ziffer 1. Machen wir das mal? Vier – fünf – …. – Super! Super! Aber wenn Sie noch ein Auge dafür haben: das sind versetzte Akzente alles… ja, so! Mut! Nur Mut!” Bricht ab. Eine Sprechwoge geht durch die Musiker, ü b e r sie, wie über Gras…. “Wir können d a einsteigen: neunter Takt… Wie? – Ja, neun nach 2… – Ähm, können Sie mich da schlecht verstehen?” “Ja.” “So.” Richtet sich auf. “Also!” Dirigiert an, unterbricht. “Gleich noch mal: vier – fünf – s e c h s….” – “Gut. Jetzt im Tempo von 2…. – ah, hier bitte mezzoforte, nur einen Takt, dann erst crescendo… Nein, nein… also: bei mir steht Crescendo, Takt… eins, zwei… wie? Nein, gut, dann lassen wir das, wie es bei Ihnen steht…. machen wir nochmal” zählt durch die Partiturseite “neun nach zwei”, die Streicher bekommen deutliche Fahrt… Risse, aufschaunkelnd, Lachen, “bitte mal langsamer, einen vor 4… – Gut. Jetzt mal den letzten Takt langsam… – Dann bitte weiter: eins vor 10. – Und ab dem nächsten Einsatz jetzt in Halben…. – Ah! Machen wir nochmal d i r e k t das Presto!” Einsatz. “G r o ß e Striche, große Striche!” Er singt mit, singt vor. “Nee, so nicht. Nochmal bitte. – Undsoweiter.” Bricht aber. “Also Sie wissen, worum es geht. Es klappt noch nicht, daber vielleicht üben Sie da noch ein bißchen zuhause. Jetzt machen wir erst einmal eine Pause.”
Besprechung am Pult. “So viele falsche Töne hört man selten”, sagt eine Geigerin zu mir, die mich jetzt begrüßt. Ich lache. “Aber die Stimmungist sehr gut”, sag ich. “Na ja”, sagt sie, “das ist auf so kleinen Proben immer so. Da merkt man immer, wie im Glashaus man selber sitzt.” – Bei der Besprechung geht es, höre ich gerade, um meine Probenerzählung. Zagrosek kommt auf mich zu. “Es gab eben Beschwerden… man möchte in diesem frühen Stadium nicht, daß da…. Sie schneiden auch mit?”
14.50 Uhr:
“Also: sechs nach 15.”
(ALSO. Die Unstimmigkeit. Das Gerätchen habe ich bereits wieder weggepackt. Einigen Musikern, die mich nicht >>>> vom Krenek her kannten, war es unlieb, daß ich bereits aus einer so frühen, ja der ersten Probe überhaupt berichte – und daß ich mitschnitt, sowieso. Man habe meine Arbeit gerne, aber erst ab einem Zeitpunkt, an dem noch nicht so vieles nicht wirklich sitze, man möchte sich, was ich gut verstehe, nicht auf den Präsentierteller setzen, ohne schon genügend vorbereitet zu sein. Die Musiker haben einen Hochleistungsberuf, dies hier ist ja nicht das einzige Konzert, das sie einstudieren, das sie zugleich auch spielen… wenigen Außenstehenden ist klar, unter welchem Druck Musiker eines solchen Orchesters stehen… und: d a ß ich bereits heute hiersein würde, wußte eigentlich keiner.. die Kommunikation im Haus ist immer wieder, sagen wir: sperrig; es hätte mich fast schon gewundert, wäre das diesmal anders gewesen… – Zagrosek spricht mit mir, versucht einzulenken, will keinen verletzen, es ist auch gar keine Zeit, um jetzt andere als musikalische Probleme zu lösen. Ich sag: “Lassen Sie mich mit den Musikern direkt sprechen, ich erkläre ihnen, worum es geht und was es, von sehr früh aus den Proben zu erzählen, dramaturgisch bedeutet: für den Spannungsaufbaus einer solchen Erzählung ebenso wie für ihre Dynamik… Denn das ist a u c h keine Frage: wie tatsächlich schwierig diese Gurrelieder sind.
Dann verstehst du, was ich zeige,
Was ich nicht kann offenbaren,
Daß vereint wir durch das Leben
Flüchten, und zusammenfahren
In der wilden Jagd,
Nächtlich wilden Jagd.
So kommt es denn wieder einmal zu einer meiner Einsprachen ans Orchester; bereits beim Krenek war es so gewesen. Ich weiß genau, was ich tue, und deshalb kann ich es vermitteln. Jedenfalls sitze ich noch hier. Nach dieser ersten Probe werden alle noch mal sprechen, vielleicht, hoff ich, in der Kantine; ich hab seit dem Aufstehen noch nichts gegessen. Und zu den Blechbläsern, nachher, sage ich g l e i c h was: bevor deren erste Probe überhaupt beginnt. Zurück in die Probe:)
“Nach dem dritten in 33 in Zwei. Wo etwas drängend steht, geht es in Vierteln weiter. In Halben ist es dann wieder nach… so, bitte schön, nochmal 33…. – Danke. So:” laut hineingezählt: “…zwei… drei… vier…” Drängendste Tonbögen. “Ja! Hier darf das gerne etwas giftig sein… noch giftiger…” singt vor. – “So, jetzt beginnen b e i d e… beginnen beide mit einem b.”
“Ja, so wird das später klingen: d a wollen wir hin.” Man muß sich einfach klar darüber sein, daß dies für einige die erste ausführende Begegnung mit dem Stück ist und wohl auch sein kann; von hier aus b e g i n n t die Arbeit. “Ich brauche jetzt nur noch die Soli, bei allen anderen bedanke ich mich für heute… vier Geigen, ja, es sind vier Geigen, bei 84 sind es vier Geigen.”
Während die vier sich in Position setzen, sprechen noch mal eben zwei Musiker vom Vorstand und ich, freundlich, imgrunde ist alles ganz klar, drüben höre ich Zag zu den Geigern sagen: “Das ist sauschwer, ich weiß, ganz schwer, und wir müssen aufpassen, weil da dann der Sprecher drunterspricht… das ist ein Sprecher, kein Musiker, der fliegt sonst ganz aus der Kurve. Also, bitte noch einmal.”Wunderschön, wie sie das spielt. “Großes Rubato”, sagt Zagrosek. Und ich gehe jetzt etwas essen. Bei den Blechbäsern sage ich gleich v o r der Probe etwas.
PAUSE.
16.07 Uhr:Und weiter geht’s (so schnell habe ich, der ich seit dem Aufstehen noch nüchtern bin, noch niemals eine Portion Spaghetti in mich hineingeschlungen). Zagrosek e i l t auf die Bühne, ich steh bereits da, er führt mich kurz ein, gibt mit das Wort; mit der Gelassenheit vom Turnierkämpen nehmen die Ritter mich hin, winken ab, “bleib da”. So wäre auch das geregelt.
“Machen wir bitte eins vor 2.” Das gibt schon mal eine völlig andere Monumentalität: um die zwanzig Blechbläser, eher mehr, ich kann von hier aus schlecht zählen. “Machen wir noch mal von hier aus, ohne die Trompeten.” Vorher war hübsch, wie einer der Hornisten zum Tubaisten, der seinen Platz suchte, sagt: “Komm doch einfach h i e r her”… was witzig ausgesehen hätte. Enorm in sich auf- ja eingefächert ist die PartiturDesBlechs; freilich sind Pauke und Glockenspiel mit dabei; der Eindruck ist dennoch, wegen des schweren, möchte ich sagen, “Ganges”, komplizierter, ja fast komplexer als bei den hohen Streichern vorhin. “Können wir bitte noch mal, zwei vor 5…” Trompeten als Fanfaren… “Wir setzen jetzt ein mit dem Choral.” Aber es gibt eine Differenz zwischen der Dirigierpartitur und den Noten der Einzelstimmen, einer der Musiker kommt ans Pult, die Fassungen werden verglichen. “Gut, dann müssen wir das s o machen…” Überhaupt sind die Blechbläser, das fiel mir schon bei Krenek auf, resoluter in ihren Positionen, jedenfalls stellen sie sie in den Raum mit der präsenten Klangmacht ihrer Instrumente: nicht unangemessen, sondern einfach nur klar: wie ein Kämpe sagt, daß er’s sei. “Und der fünfte nach 11?” “Ja, ja… und da ist auch vier Takte vor 11 ein Halt. Das würde ich jetzt gerne noch mal machen, und zwar 9, Ziffer 9. Sehr deutlich bitte zweites und drittes und viertes Horn zusammen. – Das… das ist echt schwer. Bitte nur Trompete, Baßtrompete zusammen… ah, das ist alles noch etwas zu hoch, wenn Sie sich damit dann bitte auseinandersetzen.” Vergessen Sie, Leser, nicht: hier lernen diese Musiker die Partitur gerade erst kennen, sie spielen quasi von einem fremden Blatt, was vielleicht die härteste Art ist, eine Musik kennenzulernen: ihr immer gleich ganz ausgesetzt zu sein; hart, doch eben deshalb effektiv. “Sechs nach 15!”
Blickt herum. Blick zur Trompete links oben: “Das ist nicht gut, daß sie da alleine sitzen, Sie haben fast alles mit” Blick und Taktstock weisen nach rechts, “denen zusammen. Aber umsetzen tun wir uns später… jetzt müssen wir erstmal Trompete und Xylophon synchronisieren. – Gleich allegro… tutti, ja, tutti… Und! – Ui! Das ist sicher jetzt zu laut. Da singt später der Chor dazu, da dürfen wir wirklich nur begleiten. – Die 18. Bitte. – – Okay, okay! Einmal noch koordinieren, eins vor 19, also die Baßtrompete und… u n d! Ah, können Sie sich nicht rübersetzen? Jetzt schon? Danke. Ja, so ist es besser. So, gut, darf ich bitte die Trompeten haben, eins vor 19, bitteschön… eins, zwei… – – V i el besser! Viel besser.” Bricht ab, hebt die Arme: “Tutti, ab 18.” Riesenaufbruch zum den Schluß beherrschenden Thema… jetzt aufpassen, spür ich, nicht schleppen… “So, wenn wir uns da an der Stelle, tempo primo, mezzoforte reinschreiben, n i c h t fortissimo. Sò. Okay. Bitte. Können wir jetzt mal ein bißchen auf Intonation achten? Und zwar steigen wir ein 23… bei 23…” Das gibt grad solch eine Kraft, daß einem die Ohren wegfliegen. “Tempo primo… u n d … strikter Rhythmus, genau übereinander. Und! 22. 22. U n d! – – ” (Ich muß, während da ein Fafnir unter dem Blech hindurchschlängelt, abbrechen, muß los; es wird ohne mich bis 18 Uhr noch weitergehen -) “Dann machen wir bitte mal weiter mit zwei nach 24…”
>>>> Gurre 3 (Die zweite Vorprobe)
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