6.36 Uhr:
[Am Terrarium.]
Wie Ostern auch gegenüber dem „Heiden”tum, wie Weihnachten zur Wintersonnwende und den folgenden >>>> Rauhnächten ist Pfingsten über Schawuot palimpsestiert; im Fall dieser so verwandten Religionen handelt es sich um einen symbolischen Vatermord, der eine quasi-organische Entwicklungslogik hat; in anderen Fällen war es schlicht Okkupation: ganze Eichen wurden gefällt. Daß allerdings in Schawuot, seiner so vieles zugleich, geradezu zusammenfassenden Feier, die Gründung der christlichen Kirche gestoßen wird, ist stark; nichts weniger brauchte das, als daß die babylonische Sprachverwirrung aufgehoben wurde: dagegen steht mosaisch die zweite Gabe der Zehn Gebote z u v o r, die kein Geschenk mehr war, sondern seit Pessach, über die „Wochen”, erbetet. Nicht uninteressant ist, daß der berühmte Pfingsthymnus die christlich Gläubigen um die Einschüttung des Heiligen Geistes bitten, sie anrufen, ja geradezu beschwören läßt – nicht anders, kann man den Eindruck haben, als in den „Wochen” die jüdischen Gläubigen um die zweiten Zehn Gebote gebetet haben: s o gesehen palimpsestiert der Pfingsthymnus das Fest ein nächstes Mal: als zöge man eine Schrift Aufstrich für Abstrich mit neuer Tinte nach. Daß Gustav Mahler, der konvertierte, den Hymnus vertont hat, hat auch von daher einer innere Logik: die Achte Sinfonie gehört zum Spätwerk, sie ist wie der Deckel, auf dem es steht. Da ruft vielleicht schon die Ahnung von Tod, der ja auch eine Heimkehr ist, ein Wiederzerfallen aus der Organik zum Jüngsten Gericht. Das Ältere, das Alte, unausweichlich, fordert. Nun möge der Heilige Geist den Menschen in den Asbest seines Atems hüllen, damit er vor den Flammen des zürnenden Gottes geschützt ist; das Unbewußte erkennt den Rechtsgrund dieses Zornes offenbar a n: es hat(te) ein schlechtes Gewissen behalten. Erst völlig säkularisiert, profan geworden, verliert sich das im Renten- und Versicherungsdenken. Veni creator spiritus.
Bin seit sechs Uhr auf, neben mir, schräghinterm Terrarium schlafen die Frau und die Kleinen; ich tippe so leise es geht. Mit der Kritik zu Dittrichs Kafka-Vertonung wurde ich gestern nicht fertig; aber der Entwurf steht; daran geh ich jetzt gleich. Und auf >>>> BRSMAs Einwand ist zu antworten… ich meine: zumal es heute doch eh um Theologie geht.
8.20 Uhr:
>>>> D a s hat mich nun irre gefreut; Böhmer, gestern nachmittag, rief an. Wir kennen uns seit 1981, lernten uns auf einer VS-Sitzung kennen, die wir beide entsetzlich fanden, umgeben von hobbyschreibenden Hausfrauen und Zoowärtern und Gewerkschaftern. Ich bin ja dann auch ausgetreten, angeekelt von so wenig Kunst. Allerdings ist gerechtigkeitshalber zu sagen, daß dem VS die Künstlersozialversicherung zu danken ist, ohne die es uns nahezu allen elend ginge. Durchgesetzt werden konnte sie nur von Kollegen, die, wie ich einmal schrieb, die Ästhetik an die Moral verrieten. Sie haben schlichtweg, und solche wie ich profitieren davon, andere Prioritäten gesetzt.
Immerhin, Böhmer und ich lernten uns kennen, freundeten uns an, und bald schon waren wir von Marika Kilius zu einem Gespräch über Goethes Gelder und Eise gebeten, das dann auch erschien; aber niemand, damals, verstand es. Tatsächlich stand es am Anfang eine ästhetischen Konzeption, aus dem erst die DSCHUNGELBLÄTTER entstanden, dann hob die ANDERSWELT daraus den Kopf.
10.51 Uhr:
[Walton, Cellokonzert.]
Die >>>> Dittrich/Kafka-Kritik fertigebekommen, während um mich die Kinder herumtollen; लक hat sich zum Weiterschlafen, seit das Kindertemperament nicht mehr zu bremsen war, nach nebenan verzogen. Es ist ein großer großer Vorteil, daß ich, wie es heißt, „multitaskingfähig” bin und mir auch herumtobende Kinder die Gedanken in gar keiner Weise stören können; wenn’s etwas zu heftig wird, sag ich einen Ton, und schon geht’s wieder. Aber das Wohnzimmer sieht grad nach einer ziemlichen Schlacht aus – allerdings wird sie mit dem Bettzeug aller drei Kinder und mehreren weiteren Kopfkissen, sozusagen über den Laptop hinweg, geführt. Ich formuliere geduckt darunter hinweg, was nicht ohne eigenen Humor ist. Dazu dann noch die Musik. Nein, mir geht es anders als der >>>> Kollegin Benrath: ich brauche k e i n e Ruhe.
So. लक wecken, sonst verschläft sie den ganzen Tag.
12.51 Uhr:
[Arbeitwohnung.]
Mittagsschlaf jetzt, kurz noch Post beantwortet. Um halb vier fahr ich dann wieder weg. Eine Stunde Arbeit (vor allem Musik hören!) dazwischen.