Pariser Arbeitsjournal des 30. Junis 2010: Mittwoch. Alles zu mondän, jedenfalls für mich.

10.10 Uhr:
[Av. Daumesnil, L’Excentrique.]Ich bin in Bercy, ziemlich nahe am Bois de Vincennes, einen Kilometer von der Périph, wohin ich auch schon spaziert bin vorhin auf der Suche nach diesem Markt, den ich aber nicht gefunden habe. Doch Bäckereien gibt es genug, auch eine Fromagerie, den schwarzen Café nahm ich auf der Straße, weil es wirklich irrsinnig heiß ist, schon morgens. Dabei hatte ich während der Nacht in dem viel zu großen Bett das Gefühl, es kühle etwas ab. In meinen Schlaf kam allezeit ein Raunen, von dem ich jetzt weiß, daß es das Autoecho von der Periph war.
Die Wohnung ist viel zu luxuriös für mich, ich hab das Gefühl eines Buben, der seines Vaters Schuhe anprobiert und darin herumschlurft. Ein Neubau, kein Pariser Haus, was mir ebenfalls nicht zusagt. Aber M. Hector – so heißt er und so sieht er auch aus – hatte bedauert: es sei heute nacht nichts anderes frei, bzw. für La Villette, offenbar war er vom Gräfin über meine Präferenzen sehr wohl informiert, sei „der Schlüssel verlegt” worden – was mir nicht wirklich wie eine Auskunft, sondern wie eine Metapher vorkam. Aber da war ich auch schon betrunken. Ich muß Ihnen unbedingt ein Foto von dieser Badewanne machen!
Aufgewacht bin ich um acht. Vertraut war nur, daß ich gestern nacht noch, trotz meines Dusels, meinen Arbeitsplatz eingerichtet habe, irgend etwas Vertrautes; immer, wenn ich an einem fremden Ort arbeite, ist es das erste, was ich tue, den Laptop aufzustellen, die Zigarren dazuzustellen und, wenn ich eins mithab, auch ein Typoskript dazuzulegen, sowie es aufzuschlagen: das ist mein Zeichen, daß ich jetzt hier bin. In der Tat habe ich bereits etwas gearbeitet und will auch gleich weiterarbeiten, an den Fenstern von Sainte Chapelle, ja sicher; weshalb ich erstmal Abstand davon genommen habe, mit der Métro nach Paris hineinzufahren. Um zwei kommt M. Hector ja ohnedies hierher, also ich nehme an, daß e r wieder kommt, und weil >>>> der Gräfin sich gestern abend sogar auf der Gesellschaft hat entschuldigen lassen, denke ich, ich werde ihn in diesen zwei Tagen wahrscheinlich nicht sehen. Ich spüre allerdings, daß er mich beobachten läßt. Auf der Daumesnil hatte ich das deutliche Gefühl, „beschattet” zu werden, Sie können das gern eine Einbildung nennen. Übrigens ist sie nicht unangenehm, denn das hat auch etwas von Schutz.

Was aber wirklich angenehm ist, das ist, einfach so in ein Flugzeug steigen zu können, nur mit Handgepäck, einem bißchen Arbeit darin, und in einem anderen Land auszusteigen, ohne sich um irgend etwas kümmern zu müssen, vor allem einfach an diesen Gepäckbändern vorbeizu-, ja, -hüpfen, wie in Tennisschuhen, und anzukommen, wo man sich nicht mal um eine Bleibe kümmern muß. Das hat etwas von doppeltem Zuhause, dem ich gern ein drittes, in Neapel zum Beispiel, dazugäbe. Läßt sich momentan alles machen bei den Flugpreisen, die weit unter denen für Bahnfahren liegen. Ich hab vorhin mal gecheckt, was man denn eigentlich bezahlt für Paris-Neapel, wenn man nur einen Tag vorher bucht. Daß man sich nicht monatelang vorher festlegen muß, sondern spontan aufbrechen kann, ist von einer irren Freiheit. Plötzlich lebe ich europäisch, mit einem Mal fühle ich, aus welcher Enge ich herausgekommen bin, aus welcher Kleinheit, welcher Bedrängnis. Das will ich unbedingt toppen, will mir – nicht heute und morgen, aber bei einem nächsten Pariser Besuch – das Vergnügen machen, von Paris aus spontane Trips zu unternehmen… mir morgens zu sagen: okay, einen Abend, eine Nacht jetzt in Palermo, und dann hier in ein Flugzeug steigen, um einen Tag später oder zwei eben nicht wieder nach Berlin, sondern nach Paris… ja, das i s t es: heimzufahren, und erst dann wieder von Paris nach Berlin.

Ich will arbeiten. Guten Morgen, Leser.Wenn Sie jetzt erwarten, übrigens, daß ich gleich eine neue Geschichte schreibe, bzw. eine Fortsetzung Der Fenster von Sainte Chapelle, dann täuschen sie sich. So etwas habe ich nicht vor. Allerdings will ich Skizzen für den Auftragsroman machen, das schon, doch die darf ich ja nicht veröffentlichen. Im übrigen will ich das Typoskript der Chapelle durchsehen, wie vorgehabt. Ah ja, und für die Netzpublikationen das zusammenfassende Inhaltsverzeichnis her- und dann einstellen, damit Sie jedes der Kapitel direkt ansteuern können. Außerdem ist man in einer fremden Stadt nicht fremd, wenn man gar nicht mehr herumläuft, sondern sitzenbleibt und was tut, aber weiß, daß man hier ist. S o kenne ich das nur aus Rom und Sizilien, wo ich meine festen Unterkünfte habe. Wenn sie frei sind.

11.39 Uhr:
>>>> Erledigt. Gut sieht das aus, gemein sieht das aus mit dieser Entenpresse. Hoffnungsvoll aber, zumal in meiner Lieblingstype, das Grün.

Ich geh mal was frühstücken und nehme das Typoskript dazu mit. Eine riesige Ringeltraube setzte sich eben in mein Fenster und sah mich fast fünf Minuten lang unentwegt an.

21.31 Uhr:
[L’Excentrique.]
Ich bin immer noch hier, also wieder. M. Hector kam pünktlich, um mich abzuholen, aber ich saß dermaßen ins Typoskript vertieft, daß ich überhaupt keine Lust hatte, etwas mit ihm zu ünternehmen. Kurz: Ich schickte ihn weg. Es tue mir leid, ich müsse mich konzentrieren. Er möge Le Duchesse einen höflichen Gruß und meine Entschuldigung übermitteln. Woraufhin er einfach nur sagte: „Mais sure, Monsieur! Comme vous voulez”, sich sogar ein Lächeln abrang und wieder ging. Ich schloß die Tür und setzte meine Arbeit fort, bis etwa 15.30 Uhr. Dann nahm ich den Schlüssel, den Laptop ließ ich in der Wohnung, nahm mein Handmanuskript, das neue Ifönchen für etwaige Bilder – die Ausbeute ist groß! – und fuhr mit der Métro bis ins Marais. Von dort spazierte ich den ganzen Nachmittag über herum. Erst gegen 19 Uhr machte ich mich, nicht ohne etwas gegessen und drei Flaschen Cidre, sowie Käse und ein Baguette gekauft zu haben, auf den Heimweg. Ich will weiterarbeiten, aber heute auch unbedingt mit der Löwin skypen, die ich sehr vermisse. Sogar an meine Cam hab ich gedacht. Mikrophone habe ich wegen etwaiger Tonaufnahmen ohnedies immer dabei. Schön war, daß ich sowohl Cellini als auch Aléa Torik >>>> jeder ein kleines >>>> Geschenk machen kann.

Arbeiten.

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