Überlegungen, morgens, zur Affirmation. Arbeitsjournal. Dienstag, der 6. Juli 2010. Moral und Kunst. Nachmittags Shrek 4, abends Salon Noir und Bar.

6.50 Uhr:
[Arbeitswohnung. Tschaikowski, b-moll.]
Vor zwanzig Minuten meinen Jungen geweckt, aber er schlummert noch etwas weiter; muß erst zur Zweiten in der Schule sein, die auch nur, da letzter Tag vor den Großen Ferien, bis elf Uhr gehen wird. Neben seinem Vulkanlager wird der Kakao im Becher kalt – nein, lau, weil es zwar nachts mit einem Mal losgegossen hatte, aber Kühlung hat das nicht eigentlich gebracht, seligerweise nicht. Es soll, plaudertest Du gestern abend, einen Regentag geben, danach aber, und den ganzen Sommer über, die Sonne wieder prallen. Ich erzählte ja schon, daß man an sich mit dem Klammerbeutel gepudert ist, wenn man Berlin im Sommer verläßt. Dennoch, in einundzwanzig Tagen werden wir erst nach Rom/Olevano Romano reisen, dann weiter nach Süden, wahrscheinlich wieder in den Solfatara-Krater, vielleicht auch für einen kleinen Trip nach Stromboli oder auch nur Richtung Positano. Zeit, eine Reihe von Arbeiten abzuschließen, auf jeden Fall die >>>> Paris-Erzählung, an die >>>> Kleine Theorie des Literarischen Bloggens ist für die e-book- und Printausgabe bei >>>> etk-books zu gehen usw. Mit den >>>> Kulturmaschinen ist abgesprochen, daß ich die Fahnen für AZREDS BUCH mit nach Italien nehme und dort korrigiere, die der Paris-Erzählung werden möglicherweise noch mit hinzukommen, während die >>>> BAMBERGER ELEGIEN bis zum September/Oktober Zeit haben dürften. Dann will ich auch die Überarbeitung von ARGO. ANDERSWELT wieder aufnehmen. Heute, vor allem, ist ans >>>> virtuelle Seminar zu gehen: am Mittwoch nächster Woche findet in Heidelberg das letzte „Real”seminar dieses Semesters statt; direkt im Anschluß werde ich meine Heidelberger Lesung aus >>>> SELZERS SINGEN haben; ich werde die Veranstaltung noch getrennt annoncieren, am, am Montag oder Dienstag nächster Woche.

Es gab >>>> gestern abend und nachts wieder eine Kommentar„schlacht”, in der anonyme Denunzianten neuerlich versuchten, mich, aber vor allem meine Arbeit zu diffamieren; das Ganze roch nach den alten Widersachern; ihre Zähigkeit ist bekannt; vieles davon lasse ich ganz bewußt stehen, einfach weil es zeigt, daß ich mir nichts einbilde, was meine Position in Literaturbetrieb und Gesellschaft anbelangt; anderes lösche ich unterdessen, weil ich trotz des ganzen Schlamms die Übersicht behalten, vor allem aber will, daß die Beiträge und Kommentarbäume lesbar bleiben; außerdem ist es nicht durchweg so, daß, w e n n denn mal argumentiert und nicht nur mit Dreck geworfen wird, manche Argumente zumindest bedenkenswert sind, etwa wenn Antitrans ausführt, es könne nur eine einzige Form des Widerstand und des Aufbegehrens geben: nämlich sich dieser Gesellschaft komplett zu verweigern. >>>> Sein Verteidigungstext, der sich >>>> kraftvoll auf die Seite jenes schwarzen Sicherheitsbeamten schlägt, ist durchaus nicht uninspiriert und selber drchaus keine schlechte Literatur. Wenn er nicht sofort auch gleich immer mir gegenüber Häme damit verbände, antwortete ich ganz anderes darauf, als ich’s tat. Die Zusammenhänge sind ja tatsächlich komplexer Natur, nicht so einfacher, wie meine wütende Aufwallung nahelegt; aber diese Aufwallung hat eben a u c h recht. Mit diesen Widersprüchen ist zu leben. Wobei eine Komplettverweigerung, wie sie Herrn Antitrans vorzuschweben scheint, weltfremd ist und sich auch der Möglichkeiten begibt, Einfluß zu nehmen – es sei denn, man wolle einen radikal-gewaltsamen Weg gehen, der indes seinerseits wieder ins Unrecht führt und im mehr oder minder weiten Komplex all dessen anzusiedeln ist, was man Terrorismus nennt. Daß ich statt dessen Billigflüge nutzte und insgesamt ganz gesichert in diese Gesellschaft eingebunden sei, war ein weiterer Vorwurf des Herrn Antitrans. Daran ist selbstverständlich etwas, aber eben auch etwas Unausweichliches, jedenfalls, wenn man sich Weite des Herzens und Geistes nicht verengen lassen will. Christlich gesprochen, macht man sich in jedem Fall schuldig. Es ist aber eine Frage, wo und inwieweit.
Mich beschäftigt das immer wieder, und nachdrücklich. Und immer wieder habe ich eine Art Sehnsucht danach, in die Entwicklungshilfe zu gehen. Nur, erstens, mit was? Als Dichter? Und zweitens bin ich als Vater meinem Jungen verpflichtet. Zum Dritten ist da mein Werk, ich habe nur eine begrenzte Lebenszeit. Da ist diese Vision. Und zum Vierten sind die Leidenschaften da, die meinem Werk das Leben geben, die Frauen, ihr Eros, diese – wie auch immer verschobene – Lust zu zeugen – : welch eine Nähe zwischen „sich fortpflanzen” und „bezeugen” in dem Wort!, als wäre zu zeugen ein Zeugnis, das du ablegst:: es bleibt ja unterm Strich meine Lebenslust und die Verweigerung, mich deprimieren zu lassen, egal, was kommt. Oder fast egal; wie das wäre, stieße meinem Kind etwas zu, weiß ich selbstverständlich nicht. Das ist etwas, das mich bei sehr >>>> Jan Wechsler irritiert: Die Frau verläßt ihn und vor allem: nimmt die Kinder mit, er aber flippt nicht aus, sondern bleibt in einer seltsam ichbezogenen Distanz. Ich würde die Wände hochgehen, wäre aber auch sofort kampfbereit und kämpfte. Sind zudem nicht selbst die Kindertotenlieder Mahlers ästhetische Lobpreisungen? Ist nicht, das Furchtbarst in Schönheit zu ästhetisieren, eben das, was einen Künstler ausmacht? was er i s t? Das Verhältnis von Moral und Ästhetik beschäftigt mich nach wie vor. So grundsätzlich wie die Frage, ob eine – normative – Moral überhaupt möglich ist, als begründete und damit verbindliche nämlich über die kulturellen Bedingtheiten hinaus. Jedenfalls wurde es mir der Schlammschlacht nachts dann zu viel, und ich schaltete für unregistrierte Leser die Kommentarfunktion aus, als ich schlafen ging. Jetzt ist sie wieder an.

Ich muß meinen Jungen mal wieder wecken, er ist wieder tief eingeschlafen…

8.37 Uhr:
[Verdi, Otello in Barcelona.]Und dann ist er schon außer Hauses. Bin auf sein erstes Gymnasialzeugnis gespannt. Er selbst ist ein bißchen nervös. Mußt Dir keine Sorgen machen, Junior: Hauptsache, Du hast das Jahr geschafft; im übrigen macht es mich glücklich, daß Du so voller Leben bist, voller Kraft und Neugier und Eigenwilligkeit.

Schade, daß ich Ihnen auf diese großartig manierierte Aufnahme keinen Link legen kann; es gibt sie offenbar nicht mehr… ah doch! >>>> da ist sie. Nur jpc hat sie nicht im Angebot, amazon aber sehr wohl. Wie lange ich keine Musik mehr gehört habe! Dank an meinen Sohn, der heute morgen wieder drum bat. Jetzt erstmal die Löwin in Wien anrufen (sie fliege heute, erzählte sie gestern, in die Serengeti zurück).

Bon, jetzt ans Rasiermesser und unter die Dusche.

Jedenfalls ist dieses meine Musik des heutigen Tages.

Ah! UF in Skype.

18.24 Uhr:
[Nach dem Kino, Shrek 4.]
Gearbeitet habe ich quasi nichts, auch kaum gelesen; grad mal etwas Post erledigt, dann kam schon mein Junge wieder aus der Schule und brachte sein Zeugnis mit. Na ja, vier Vieren, sonst dreien und in Kunst eine Eins; glücklich war ich nicht, aber auch nicht ärgerlich. Er hat sein erstes Gymnasialjahr geschafft, ist der Jüngste in der Klasse und seine Eltern haben ihn mit ihrem Beziehungschaos belastet; ich denke, für diese Schwierigkeiten ist es noch gut gelaufen. Also gingen wir Eis essen und danach noch ins Kino, um sein bestandenes Schuljahr zu feiern. Daß ich nicht restlos glücklich bin, weißt Du selbst; andererseits: Dein Vater war ein sehr viel schlechterer Schüler und hatte noch mehr als Du nur das im Kopf, was ihn interessierte und was er als nötig einsah. Also: die Verhältnismäßigkeiten sehen. Eine Rose brachtest Du mir mit, die Du für die Eins in Kunst von der Klassenlehrerin bekommen hast. Auch ungeschickt, anders als früher ich, bist Du nicht.

Die Sonne ist weg, es wird wohl regnen wieder. Ich hab mir überlegt, auf den Salon Noir zu gehen heute abend und danach wohl weil ganz nahbei,in >>>> die Bar; das Wetter mag meinen schwarzen Anzug, den ich >>>> in Paris gekauft habe. Vorher werde ich noch etwas >>>> in Steins Leinwand weiterlesen. Wenigstens, also, das.

8 thoughts on “Überlegungen, morgens, zur Affirmation. Arbeitsjournal. Dienstag, der 6. Juli 2010. Moral und Kunst. Nachmittags Shrek 4, abends Salon Noir und Bar.

    1. @ 🙂 Nein, nein, ich meine Sie. Ihre kleine, leicht aufwärts gerichtete Stupsnase, Ihr verspielter Mund und Ihr sanftes, zurückweichendes Kinn, das in einen kurzen, aber noch festen Hals übergeht. Auch der flache Hinterkopf läßt kaum Ihre unbändige Energie erahnen, allein das große Ohr wirkt seltsam barock. Wahrscheinlich hat Sie Ihr Sohn fotografiert. Ja, er kann stolz auf seinen zarten und süßen Vater sein.

    2. @Sarah. Ich fürchte, ich muß Sie enttäuschen; Täuschung nämlich ist die Stupsnase; wenn Sie genauer schauen, werden Sie erkennen, welch Lichteinfall sie bewirkt. Auch ist mein Hinterkopf sicher nicht flach, sondern es gibt einen geradezu Vorsprung, der dann in steilster Schräge zum Nacken abfällt; man würde hängen, kletterte man dort hinauf. Das zärtliche Kinn wiederum ist der cigarillohalber vorgeschobenen Unterlippe zu danken. Und was den „noch“ festen Hals anbelangt, so ist an Erschlaffung ohnedies nicht zu denken, jedenfalls nicht in den kommenden fünfunddreißig Jahren.
      Nun aber das barocke Ohr: Oh ja! Allerdings ist auch dieses nicht ohne Wehmutstropfen… seines Geschwisters nämlich, das allenfalls ein Drittel solcher Größe hat. In Dingen Ohr bin ich so asymmetrisch wie in der Färbung meiner Brauen, die Ihre Huldigung unverständlicherweise völlig vergaß. Und meine Fältchen an den Augen, geneigte Sarah, und der nasobiale Einschnitt? Oh, Sie sind ihm noch zu fremd, um der Lust meines Körpers zu dienen – was möglicherweise bedauerlich ist.

    3. Oh ja! Diese buschigen Brauen schmücken auch meinen Paps, auch er trägt – wie Sie – Glatze, weil er den übriggebliebenen Haarkranz „unerträglich“ findet. Auch er leidet unter dieser aschgraubraunroten Raucher- und Trinkerhaut. Ich früchte, so bleibt es denn, wenn es stimmte, was Sie schreiben, allein bei Ihren barock-asymetrischen Ohren.

    4. @Sarah. „aschgraubraunroten Raucher- und Trinkerhaut.“ – Na, Mädchen, da projezierst Du aber heftig. Weshalb Du, anstelle in dem hübschen ironischen Spiel zu bleiben, die pubertären Krällchen zeigst, die überdies noch stumpf sind – wie abgekaut, Mädchen, sieht das aus. Ganz eingerissen sogar die Nagelhaut. Doch fasse Dich, mein Kind: Wenn Du versprichst, ein bißchen erwachsen zu werden, dann darfst Du auch weiterhin dabeisein, wenn wir Erwachsenen uns unterhalten. Doch schau einmal: „ich früchte“: Das war gewiß ein Wunsch.

  1. Ich find‘ das schön, wie Sie Ihren Jungen sehen wahrnehmen.
    Außerdem trau‘ ich Ihnen zu, dass sie dem Buben keine „doppelten“ Botschaften in Wort und Haltung übermitteln.
    (nur so am Rande bemerkt, ganz impulsiv…)

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .